Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Mt 11,25 - 12,21 - „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig..."Mt 11,25 - 12,21 - „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig..."
„Zu derselben Zeit" — was war das für eine Zeit, für eine Stunde, für eine Erklärung? Der Herr hatte das Wehe ausgerufen über die großen Städte — Chorazin und Bethsaida, diese Mittelpunkte, wo die meisten seiner Taten geschehen waren, aber vergebens. Sie haben nicht Buße getan. Und dann sieht man, wie die Verantwortung eine sehr verschiedene sein kann. Sie sind nicht umgekehrt zum Herrn und haben damit noch eine ganz andere Verantwortung auf sich geladen als Tyrus und Sidon, die seinerzeit gerichtet wurden, weil sie nicht Buße taten. Es gibt Grade der Verantwortung. Jeder wird gerichtet nach dem, was er empfangen hat, und was Tyrus und Sidon empfangen hat, ist gering im Vergleich zu dem, was Chorazin und Bethsaida empfangen haben an Licht — und zwar durch den Herrn selbst, durch sein Auftreten. Es gibt also verschiedene Stufen im Gericht. „Wem wenig gegeben ist, von dem wird wenig gefordert — wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel gefordert." „Zu derselben Zeit sprach der Herr . . ." Bei allem Rätselhaften, was vor ihm lag, was ihn beschäftigen und belasten konnte, stillt der Herr fein Herz vor dem Vater und preist ihn: „Vater", sagt er, „ich preise dich, Herr Himmels und der Erde, daß du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn ist es also wohlgefällig gewesen vor dir." Möge das auch unser letztes Wort sein: „Ja, Vater", bei allem Schweren, was uns begegnen mag, „es ist also wohlgefällig gewesen vor dir" — nicht vor einem Tyrannen, sondern vor einem Vater — und was der beste irdische Vater empfinden kann für ein Kind, ist nur ein schwaches Abbild von der Liebe unseres himmlischen Vaters. Es ist nicht Willkür, der wir preisgegeben sind, sondern unser Leben ist geleitet von einem Vater, der für jedes seiner Kinder eine eigene Schule und Durchbildung hat auf den Tag der Zukunft Jesu Christi. Und dieser Vater im Himmel hat alles seinem Sohne übergeben. „Niemand kennt den Vater, als nur der Sohn, und wem der Sohn es will offenbaren." Und nun ladet der Herr die Mühseligen und Beladenen zu sich und bietet ihnen Erquickung an. Zu diesen Mühseligen und Beladenen aber gehören alle, die belastet sind von Furcht für die inneren oder äußeren Lebensverhältnisse, für die sie keinen Schlüssel haben, die beengend und beängstigend sein könnten, und immer wieder dürfen wir — ob es sich um äußere oder innere Lasten handelt — alles beim Herrn niederlegen und finden da Erquickung für den weiteren Weg Tag für Tag. „Nehmet auf euch mein Joch ... so werdet ihr Ruhe — Erquickung — finden für eure Seelen." Das natürliche Herz lehnt sich gegen das Joch auf, und im Joche ist man immer zusammengeschirrt mit einem anderen. Und da haben wir alle Lebensverhältnisse, wo wir Schritt halten müssen mit anderen — wo wir dann Gelegenheit haben vom Herrn zu lernen — seine Sanftmut und seine Demut, und wo wir immer wieder bei ihm ablegen dürfen unseren eigenen Willen und unsere eigenen Pläne, um einzugehen in seine Ruhe. Wenn jedes andere Joch niederdrückt, so hebt das Joch des Herrn empor, und seine Last bietet Erleichterung im Vergleich zu allen anderen Lasten und allen anderen Lasten gegenüber. „Zu derselben Zeit", in die uns Vers 25—30 versetzt hat, ging Jesus Lurch die Saat. Wer barmherzig ist, verdammt nie einen anderen, und der Unbarmherzige riskiert, dann und wann auch Unschuldige zu verdammen. Das Gericht steht Gott zu, wir haben nie jemand zu richten. Wir haben nur zu dienen in Glaube, Liebe, Hoffnung und Demut. Wie gesagt, das Gericht gehört dem Herrn. Wir können anderen nachhelfen, ihnen zurechthelfen durch ein freundliches Wort der Warnung, in dem kein Richten liegt, sondern nur ein Dienen. In der Welt heißt es je und je: „Ich will diesem oder jenem den Kopf waschen." Das tut man von oben herunter. Der Herr wäscht uns die Füße. Da muß man sich bücken — niedriger sein als der, dem man die Füße wäscht. Das ist ein kapitaler Unterschied, und darin liegen Geheimnisse für unsere Stellung zum Herrn und zum Nächsten. Vers 9: „Und er ging von dannen fürbaß und kam in ihre Schule . . ." Ein Dienst reiht sich an den anderen an, nach göttlicher Vorsehung — nicht nach menschlichem Plan. Vers 19: „Er wird nicht zanken noch schreien, und man wird sein Geschrei nicht hören auf den Gasten, das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, bis daß er ausführe das Gericht zum Siege." Er sagte das vor einer Schar von Leuten, die böse darüber waren, daß man ihre Vorschriften nicht hielt. Das ist wahre Größe, daß man durch keinerlei Druck seitens der Menschen abweicht von der geraden Linie dessen, was der Herr einem austrägt. Vers 13: Nun war das Maß voll für die Hasser. Das ist keine Kleinigkeit, sich durch nichts aus der geraden Linie des göttlichen Willens bringen zu lassen. Vers 14: „Da gingen die Pharisäer hinaus und hielten einen Rat über ihn, wie sie ihn umbrächten", denn dadurch ist der Herr öffentlich herausgetreten aus den Linien, an die die Pharisäer sich hielten und an die die anderen sich nach ihrem Willen halten sollten. Wen aber der Sohn freimacht, der ist wahrhaft frei vom Druck der Menschen und ihrer Launen und Stimmungen. Er dient seinem Gott und in den von ihm gezeigten Linien. „Und Jesus ging von dannen." Seine Aufgabe war noch nicht erfüllt, und da hat er sich entzogen, anstatt es zum Äußersten kommen zu lassen. Vers 17 und 18: Der Apostel Paulus ging auch zu den Heiden, als er keine Aufnahme mehr fand bei seinem Volke. Vers 19 und 20. Auf welchem Wege führt der Herr also sein Gericht hinaus bis zum Siege? Durch Pflege des geknickten Rohres und des glimmenden Dochtes, der so schwach glimmt, weil das Gericht über ihn ergangen ist. Aber durch solche schmerzliche Erfahrungen, durch den nur noch glimmenden Lebensdocht führt der Herr sein Gericht über unsere Natur und unser natürliches Wesen hindurch zum Siege. Es ist kein Gericht zur Verdammnis, sondern ein Gericht, das zu Lösungen führt. Also verdammen wir auch niemand, sondern sehen wir zu, wie wir lösend eingreifen können und müssen — aber ehe wir einen Splitter aus des Bruders Auge ziehen, wollen wir den Balken aus dem eigenen Auge entfernen. Vers 21 erweitert sich zum Schluffe der Gesichtskreis noch. Wenn die Führer des Volkes Israel keinen Raum haben für den Herrn und später auch keinen Raum für seine Jünger — dann gehen sie auf die Straße der Heiden. Damit, daß Israel Jesum verwarf, hat er aufgehört, Israel allein anzugehören. Dadurch, daß er von seinem Volke gekreuzigt wurde, hat sich nun der Weg geöffnet für die Heidenwelt, und durch sein Verworfenwerden von Israel ist das Evangelium auch zu uns gekommen, und es wird nun dem Herrn ein Volk von Erstlingen gesammelt aus den Heiden und da und dort auch aus den Juden, ehe nach Einsammlung der Gemeinde die Verheißung zurückgeht zu den Juden. Im tausendjährigen Reiche ist Israel der Mittelpunkt, und dann strömen die Heiden zu den Juden, und letztere regieren hier unten, während die Gemeinde von oben herab zusammen mit Jesu regiert.