Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Mt 26,31 - Jesu Hirtentreue.Mt 26,31 - Jesu Hirtentreue.
Wenn sich jemand vor die große, heilige Frage gestellt sieht, ob er mit Gott wandeln will, mag sich ihm wohl der Gedanke aufdrängen: „Werde ich es auch hinausführen können, werde ich auch die Kraft haben, dem Herrn, meinem Gott und Heiland, überallhin nachzufolgen?"
Als unser Herr Jesus das Vaterhaus verließ, um seinem Gott überallhin nachzufolgen — um allezeit und allerorts mit ihm zu wandeln, da wußte er genau, was seiner hier unten wartete. Demungeachtet kam er, aber nicht in eigener Kraft. In einer merkwürdigen Stelle im Hebräerbriefe heißt es, daß sich unser Herr Jesus durch den Heiligen Geist opferte. Nicht aus menschlichem Samen, sondern aus dem Geiste gezeugt, trug er, obwohl wahrhaftiger Mensch, Gotteskraft in sich, wurde aber auch in dieser göttlichen Kraftausrüftung als Gottes Sohn aufs äußerste geprüft — so furchtbar war der Riß, den die Sünde zwischen Gott und die Menschen gerissen hatte. So tief das Verderben zur Zeit des Noah war, war es im allgemeinen doch nicht mit dem Verderben zu vergleichen, das setzt in der Welt herrscht. Es sind daher in unsrer eigenen schwachen Natur und in der Lebensaufgabe, in der wir stehen, hunderterlei Dinge, die uns zurufen: „Du bringst es nicht fertig, mit Gott zu wandeln — du kannst es nicht hinausführen." Und im Grunde ist das richtig. Wir können es nicht hinausführen, und es war unrecht von Petrus, daß er sich nicht vom Herrn warnen ließ, sondern meinte, wenn auch alle zurückgehen sollten, so werde er doch nimmermehr zurückgehen, so werde er dem Meister doch durch Tod und Grab nachfolgen, auf ihn könne sich der Herr verlassen.
Der Heiland hat nie Fleisch für seinen Arm gehalten und hat gewußt, daß niemand ihm auf dem Wege, den er zu gehen hatte, folgen könne. So mußte denn auch Petrus erfahren, daß seine, wenn auch ehrlich gemeinte Liebe zum Meister noch Fleisch war. Was uns betrifft, so stehen wir heute auf einem ganz andern Boden als die Jünger Christi damals vor dem Tode ihres Meisters. Wenn wir einerseits in dem Gericht, das über unsern Herrn ergangen, unser Gericht sehen, wenn wir nicht mehr Fleisch für unsern Arm halten und unsre Ohnmacht erkannt haben, irgend welche Opfer zu bringen, oder irgendwie auszuharren, so wissen wir doch andrerseits, daß alle, die sich entschließen, der Welt und ihrer Eitelkeit den Rücken zu kehren und Jesu nachzufolgen, Schritt für Schritt auf ihn rechnen dürfen. Er hat die Welt überwunden, und zwar nicht nur die Welt im allgemeinen, sondern die kleine Welt, in der du dich bewegst mit allen Schwierigkeiten, die sie dir bietet bei deinem Temperament, deinem noch ungezügelten Charakter, deinem zum Leichtsinn oder zum Trübsinn geneigten Gemüte. Er hat für dich, welches auch deine Anlage sein mag, eine Erlösung, Bergung, Deckung. Er hat Erlösung, Bergung, Deckung für alle Gerichteten. „Jetzt geht ein Gericht über die Welt."
Bei Jesu Tode offenbart sich die schauerliche Tiefe des Falles darin, daß nicht ein einziger imstande war, dem Herrn in die Schmach und den Tod nachzufolgen. Wenn wir uns nun heute in unsers Herrn Nachfolge begeben, seiner Aufforderung, mit ihm zu wandeln, gehorchen, so rechnen wir nicht mit uns selbst, sondern mit seiner Hirtentreue — und damit, daß er uns mit Namen kennt und alles überwunden hat, was wir nimmermehr hätten überwinden können. Der gleiche ewige Geist, durch den sich Christus geopfert hat, hat heute noch Macht, uns über alles hinwegzuheben und durch alles hindurchzuführen, was uns aufhalten könnte, mit Gott zu wandeln. Nur müssen wir uns zuerst durch den Geist Gottes die Tiefe unsers Falles aufschließen lassen — die unberechenbare Tiefe unsers Schadens einerseits und andrerseits die Herrlichkeit unsrer Berufung, denn das war es, was Christo vor Augen gestanden. Um der Herrlichkeit willen hat er die Schmach verachtet, und worin bestand diese Herrlichkeit? Sie bestand für ihn darin, Samen zu haben ein Völklein, das ihm dient und in dem er seinen Namen verherrlichen kann. Es kommt schließlich alles darauf an, inwieweit es dem Herrn gelingt, uns den Blick für die Herrlichkeit unsrer Berufung zu öffnen. Das geht stufenweise. Der Apostel Paulus sagt im Rückblick auf jene wunderbare Erfahrung auf dem Wege nach Damaskus: „Ich war nicht ungehorsam dem himmlischen Gesicht." Er besprach sich nicht mit Fleisch und Blut.
Es kommt nicht darauf an, wieviel Kraft du in dir fühlst, sondern inwieweit dir Gott die Herrlichkeit Christi und die Herrlichkeit deiner himmlischen Berufung hat offenbaren können. Das Irdische verliert nur seine Anziehungskraft, wenn etwas Höheres und Größeres in unsern Gesichtskreis tritt, wie dort bei Saulus von Tarsus auf dem Wege nach Damaskus geschah. Und wenn dein Herze noch zittert beim Gedanken an das, was du verlassen und aufgeben mußt, um Jesu nachzufolgen, wenn dir der Feind den Weg der Nachfolge als einen öden, einsamen, traurigen darstellt, so laß dir die Augen für die Herrlichkeit deiner Berufung öffnen. Auf der einen Seite blicke in die schauerliche Ode, die du erwählst, wenn du dich nicht zur Nachfolge Jesu entschließest, und auf der andern Seite laß dir die Herrlichkeit eines Lebens der Liebe zeigen und mache dir klar, daß der, der das Werk in dir angefangen hat, es auch hinausführen wird auf den Tag seiner Zukunft.
Dann geht es von Licht zu Licht, von Lösung zu Lösung, und vom Gericht tiefer hinein in die Nachfolge Christi und damit in einen Wandel mit Gott, wo du nicht wie Petrus darauf zurückschielst, was der Bruder und die Schwester machen. Der ist nicht wert, Jesu Jünger oder Jüngerin zu sein, der seine Nachfolge davon abhängig macht, ob dieses oder jenes Familienglied, dieser oder jener Bekannte oder Freund auch mitgeht. Eine Frau muß Jesu nachfolgen, ohne ihren Mann zu fragen — ein Kind muß Jesu nachfolgen, ohne seine Eltern zu fragen. Wenn der Herr jemand ruft, so muß alles andre zurücktreten. Wie das z. B. für eine Frau möglich ist, die doch an ihren Mann gebunden — ja, da sieht man nicht durch, sonst wäre es kein Glaubensschritt. Dein Gott hat einen Weg des Durchkommens für dich, einen Weg, auf dem er dich durchdringt ohne Straucheln und wo alles denen weichen muß, die es um jeden Preis ihrem Gott recht machen wollen. Was ein Tag auch bringen mag, und so unzuträglich die Lebensverhältnisse, in denen du stehst, für einen Wandel mit Gott, sein mögen, der Herr Jesus hat Bahn gebrochen für dich.
Sieh dir jetzt nur deinen Heiland etwas näher an, laß deine Stimmungen beiseite, und frage deinen Herrn, ob er dich in seine Nachfolge nehmen will, und ob er dich auch gegen die Klippen deines Charakters decken will. Frage ihn, ob er es mit dir unternehmen will — er sagt dir ganz gewiß: „Ja — es kommt nur darauf an, ob du mir vertrauen kannst. Der Vater hat mir Macht über alles Fleisch gegeben."
Die Leute, welche dem Herrn überallhin nachfolgen, werden immer seltener. Das sind nur Einzelne, die dem Lamme nachfolgen, wohin es geht; nur sie aber kann der Herr ausreifen, um sie ohne Tod und Grab hinübernehmen zu können in die Herrlichkeit. Sie reifen aus in seiner Nachfolge. Er hat überwunden. „Tod, wo ist dein Stachel; Hölle, wo ist dein Sieg?" Er hat Tod, Grab, Sünde und Schande überwunden, und er führt in seiner Nachfolge von Herrlichkeit zu Herrlichkeit.