Siehe, ein Mensch war zu Jerusalem, mit Namen Simeon; und derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war in ihm. Und er nahm das Kind Jesus auf seinen Arm.
Es muss ein tief ergreifender Anblick gewesen sein, als der alte Greis sich über das Kindlein gebeugt hat. Welches Leuchten mag über das verwelkte Angesicht gezogen sein, der Widerschein des grossen Hoffens, das der Welt aus den Zügen des Kindes entgegenleuchtet! Es heisst von Simeon: der Heilige Geist war in ihm. Es war zwar nicht der Pfingstgeist, aber es war doch eine stufenweise Offenbarung des Geistes.
Simeon war ein Mann, der einen Ausblick hatte; er wartete auf den Trost Israels. Er hat nicht vorzeitige Tröstungen an sich gerissen, er ist bei keinem Trost stehengeblieben, mit dem andre sich trösteten und beruhigten über das Elend des unerlösten Volkes. Er hat seine Sehnsucht hindurchgetragen und vorbeigetragen an allen Gelegenheiten, sie niederzusetzen. Er war dem Wort und Geist gehorsam; beide Wiesen ihn allein hin auf den, dessen Ankunft die Väter erwartet hatten. Und so konnte es kommen, dass er eine genaue Weisung des Geistes erhielt, die ihn zu der bestimmten Stunde in den Tempel trieb. Nun ruhte seine Sehnsucht auf dem Kind: „Herr, nun lässest Du Deinen Diener im Frieden fahren, denn meine Augen haben Deinen Heiland gesehen!“
Glückselig der, dessen geistliche Augen auf nichts anderm haften bleiben! Sie sehen in die Ferne hinein und warten auf den, der da kommen soll. Man kann bei dem alten Simeon von einer Schule des Wartens auf den Herrn sprechen. Sein Geist war in den Jahren des Wartens dazu gereift, das Kind gleich zu erkennen; es hat gewiss keinen Heiligenschein gehabt. - Wir werden Ihn sehen, wie Er ist, dann kommt unsre Sehnsucht zur Ruhe; früher darf sie nicht einschlafen.
Simeon hat nicht nur persönlich auf den Heiland gewartet; auf seinem Verlangen ruhte die unausgesprochene Sehnsucht Israels. Wie damals alles hingedrängt hat auf die Ankunft des Trostes Israels, so sehnt sich unbewusst die ganze Welt nach Seiner Erscheinung. - Herr, komm, komm! Es wartet alles auf Dich! Komm, um die Zügel der Weltregierung in Deine königliche Hand zu nehmen, die den Regierenden je länger, je mehr aus den Händen fallen! Komm, um über der stets hoffnungsloser werdenden Zerrüttung der Völkerwelt Dein Zepter auszubreiten! Das Geflüster des Seufzens und Sehnens in der Schöpfung, das Geflüster der Schlachtopfer der Sünde, das Geflüster aus den finstern Stätten der Erde zeugt von dem Verlangen nach Dir, o Jesus! Herr, ich danke Dir, wenn Du mir vergönnt hast, auch nur einem Sünder aus seiner Sünde zu helfen und ihn auf Deine Zukunft warten zu lehren!