Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Röm 8,14 Joh 11,1-16 - 6. JuniRöm 8,14 Joh 11,1-16 - 6. Juni
Denn welche der Geist Gottes treibt (leitet), die sind Gottes Kinder.
Die Warnung, die wir dieser Geschichte des Lebens Jesu entnehmen, ist um so ernster, als wir nicht nur unsern eigenen Weg, sondern auch den Weg andrer verkehren, wenn wir nicht unter Geistesleitung bleiben. Wir durchkreuzen Gottes Erziehung mit andern, wenn wir ihrem Hilferuf folgen, ohne auf Gottes Stunde zu warten. Wir dürfen nie zwischen andre und Gott, zwischen eine Seele und ihren Heiland kommen.
Gewiss haben die zwei Schwestern keinen Augenblick gezweifelt, dass, sobald die Botschaft von der Erkrankung des Lazarus an den Herrn gelange, Er dann sofort komme; aber Er kam nicht, so wenig als Er kam, als Seine Mutter an der Tür klopfte, während Er Seinem Gott diente. Sie meinte, Er würde alles unterbrechen, sobald sie Ihn riefe. Er aber, der am Kreuz die zarteste Rücksicht auf Seine Mutter und Johannes nahm, spricht: „Wer ist Meine Mutter, wer sind Meine Brüder und Schwestern?“ wenn es dem Dienst galt, und solange Gott Ihn rief, konsultierte Er nicht den Nächsten, hatte Er nicht andre um Rat zu fragen, denn Er war ein Tagewandler. Dass die Schwestern in Bethanien das durchmachen mussten, das konnte Er ihnen nicht ersparen. Es war keine Härte, es war einfach die Folge davon, dass Er ein Tagwandler war und die Fäden der Leitung Gott nicht aus den Händen nahm. Die Schwestern mussten ihr Stück Erziehung durchmachen, und es wird auch gleich offenbar, wie Er kam (es war kein direkter Vorwurf, aber man liest so etwas heraus): „Herr, wärest Du hier gewesen, der Bruder wäre nicht gestorben“, und dann korrigiert Martha sich bald und sagt: „Auch jetzt noch geben wir nicht alle Hoffnung auf.“ Also, das ist eine beachtenswerte Grundlinie für Knechte Gottes, die im Reich Gottes etwas Bleibendes schaffen wollen: Sein eigenes Leben nicht suchen in kritischen Stunden, sondern alles Gott überlassen. Dann hat man Licht. Man ist nicht irregeleitet von Wünschen. Das bringt gerade Linien in den Weg eines Knechtes Gottes, und dann kann scheinbare Unfruchtbarkeit nach aussen die fruchtbarste Zeit von allen sein. „Ich bin froh,“ sagt der Herr (Vers 15), „dass Ich nicht dort war, auf dass ihr glaubet.“ - Wir können uns den Herrn vorstellen, und ich glaube nicht, dass wir darin irren, im Augenblick, wo die Botschaft kam, ein Blick zum Vater, ein Harren auf den Wink des Vaters, und es hiess: „Bleib!“
Das ist Einfachheit. Je treuer wir darin sind, aus dem Zug unsres Herzens herauszukommen, nicht ohne weiteres nach Bethanien hinabzugehen und unser Herz nicht zu öffnen der Furcht vor den Steinen, um so mehr Licht kommt auf unsern Weg, immer hellerer Tag wird es in uns und um uns. Tagwandler haben Licht, die stehen unter der Wolkensäule, sie haben Geistesleitung und sind von allem los; nichts trübt ihren Horizont. Ihr Geist ist frei, und so können sie dienen, und ihr Dienst ist fruchtbar, ob alles schief geht und ein Lazarus darüber stirbt. Das Schlimmste wird Anlass für neue Offenbarungen Gottes. Wir hören auf, die Fäden in der eigenen Hand zu halten; sie sind aus unsrer Hand geglitten in die Hand der allwaltenden, sichern Vorsehung und Liebe, die den einen dahin stellt und den andern dorthin, und niemand sieht, warum; und dann kommt die Stunde, wo es sich herausstellt und jedermann sieht: Es durfte, es konnte nicht anders gehen.