Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Inhaltsverzeichnis
Maria setzte sich zu Jesu Füssen und hörte Seiner Rede zu. Martha aber machte sich viel zu schaffen, Ihm zu dienen.
Offenbar hatten die zwei Schwestern des Lazarus mehr als einen Berührungspunkt untereinander, und alles berechtigt uns, in der einen wie in der andern aufrichtige Jüngerinnen des Herrn Jesus zu sehen. Auch ist es bemerkenswert, dass es später (Joh 12,2) von Martha nicht mehr heisst: „Martha machte sich viel zu schaffen, Ihm zu dienen,“ sondern einfach: „Martha diente.“ Halten wir aber die grundverschiedene, wenn auch vielleicht ganz vorübergehende Stellung Jesus gegenüber fest, in der das zehnte Kapitel des Evangeliums Lukas uns die beiden Gestalten vorführt, so prägen sich darin zwei entgegengesetzte Geistesrichtungen aus. Diese beiden Geistesrichtungen, nicht den wirklichen Charakter der beiden Personen haben wir im Auge, wenn wir von Martha und Maria reden. So aufgefasst, finden wir in der Haltung der Maria die Grundlinien evangelischen Sinnes ausgedrückt, wie sie der Apostel Paulus Römer 4,5 zusammenfasst in den Worten: „Dem, der nicht arbeitet (Luther: der nicht mit Werken umgeht), glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.“ Hat man alles zu Jesu Füssen niedergelegt, hat man Ihm nichts mehr zu geben, so ist man glücklich und selig, sich alles schenken zu lassen; mit andern Worten, man „lebt des Glaubens.“ Die Seele setzt sich nicht mehr vor, was sie für Jesus tun möchte; sie setzt sich Ihn vor, Jesus selber, den Herrn (Ps 16,8). Wie David begehrt sie „nur eins“, nämlich „die Lieblichkeit des Herrn schauen zu dürfen“ (Ps 27,4); wie Johannes der Täufer freut sie sich, die Stimme des Bräutigams zu hören (Joh 3,29). Sie ist dankbar für jeden Augenblick, den sie zu Seinen Füssen bleiben darf, allein mit Ihm, Ihm mit dem Blick folgend, Seinen Worten nachdenkend und auf die Stimme Seines Geistes lauschend.
Einst bat ich voll Inbrunst um Segen,
Jetzt such’ ich Ihn selbst nur, den Herrn;
Einst sonnte ich mich in Gefühlen,
Jetzt ist nur das Wort noch mein Stern.
Einst strebt’ ich nach köstlichen Gaben,
Jetzt seh’ ich nur Jesus allein;
Einst hab’ ich gekämpft und gedürstet,
Jetzt wohnt Er in mir und ist mein!
Erstellt: 18.08.2024 07:03, bearbeitet: 24.08.2024 02:35