Schriften von Otto Stockmayer
Mt 25,1-13 - Wo seid ihr klugen Jungfrauen?Mt 25,1-13 - Wo seid ihr klugen Jungfrauen?
Die beiden Kapitel Matthäus 24 und 25 reden von der Endzeit. Veranlassung zu diesen Reden gaben dem Herrn die Frage, mit der die Jünger Kapitel 24, 1 und 3 zu ihm herangetreten waren. Die Jünger hatten ihren Meister aufmerksam gemacht auf die Steine des Tempels, und er hatte geantwortet: „Es wird kein Stein auf dem andern bleiben . . ." Das führte die Jünger auf die Frage: „Wann wird das alles geschehen, und welches wird das Zeichen sein deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?" Das sind nun ganz verschiedene Perspektiven: die Zerstörung des Tempels, das Zeichen seiner Ankunft und die Vollendung des Zeitalters. Aus der Ferne liegt alles noch auf dem gleichen Sehfeld der Weissagung, und je näher man der Zukunft des Menschensohnes und der Vollendung des Zeitalters kommt, umso mehr zerlegen sich die Sehfelder. Der Herr greift in seinen Gleichnissen hinaus bis auf die Zeit, die jenseits des tausendjährigen Reiches liegt und je näher er sich mit dieser befaßt, umsomehr redet er auch von der Zukunft des Menschensohnes in der Herrlichkeit, wenn seine Heiligen mit ihm kommen und alle Völker zum Weltgericht versammelt sind.
Bleiben wir einen Augenblick stehen bei diesem Gleichnis von den zehn Jungfrauen, das auch beginnt mit einem „dann". „Dann" — zur Zeit des Kommens des Herrn — „wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen" — die aber äußerlich miteinander verbunden und nebeneinander hergehend, sich in zwei ganz verschiedene Klassen teilten und erst offenbar wurden, als der Herr kam. Die einen waren nämlich klug, die andern töricht. Die Törichten hatten auch geschmückte Lampen — das heißt — sie hatten Lampen mit Öl, aber sie hatten keinen Vorrat von Öl, um nachgießen zu können — kein Öl, das geflossen wäre. Die Klugen nahmen Öl in den Gefäßen samt ihren Lampen, also einen Vorrat von Öl. Sie konnten ja nicht wissen, wenn sie nachdachten, zu welcher Zeit der Nacht der Bräutigam kommen werde. Dieser verzog, und da wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Man muß in den Gleichnissen unterscheiden, was zur Vervollständigung des Bildes gehört und was eine besondere Anwendung zuläßt, worauf der Nachdruck liegt und was uns der Herr damit sagen will. Sie schliefen alle ein — das heißt — sie erwarteten den Bräutigam nicht mehr, aber sie waren bereit, ihn zu empfangen. Und als sich um Mitternacht, zu einer Zeit, da alle schliefen, der Schrei erhob: „Der Bräutigam kommt; stehet auf und gehet ihm entgegen," da wachten alle zehn Jungfrauen auf. Sie bereiteten alle ihre Lampen, aber die törichten Jungfrauen merkten sofort: es geht nicht; unsere Lampen verlöschen — und nun sollen ihnen die anderen mit ihrem Vorrat aushelfen. Letztere weigern sich aber ganz entschieden. „Niemals", sagen sie — „geht hin und kaufet bei den Krämern, auf daß nicht uns und euch gebreche." Die Zeit war jedoch vorüber, wo man noch Öl kaufen konnte.
Es war nicht mehr Zeit. Die törichten Jungfrauen hatten auch etwas von Geistesleben — sie waren angehaucht, mehr oder minder berührt vom Geiste Gottes, aber sie hatten kein Geistesleben, das sich Tag für Tag fortwährend an der Quelle erneuert. Sie waren von anderen abhängig. Das wahre Kind Gottes, das geistgesalbte Kind Gottes steht unabhängig von anderen in Verbindung mit Gott durch seinen Geist, und diese Verbindung muß eine ununterbrochene werden. Es wird durch Unterbrechungen hindurchgehen, aber diese Unterbrechungen müssen schließlich aufhören. Wir müssen versiegelt werden mit dem Heiligen Geiste, fo daß wir allem Beengenden, Verführerischen widerstehen können in der Kraft Gottes, in der Gnade Gottes durch den heiligen Geist — denn das heilige Öl ist ja gewiß nichts anderes als der heilige Geist. Nicht daß wir nicht von anderen lernen könnten — nicht daß es nicht eine große Stärkung wäre, wenn wir mit anderen geistgesalbten Kindern Gottes zusammensein dürfen, und daß sich da nicht Geistesmacht entfalten wird mit neuen Blicken, die der einzelne nicht so ohne Gemeinschaft erfährt, aber die Gemeinschaft mit dem Herrn an sich ist nicht abhängig davon, ob wir in der Welt stehen oder mitten unter gläubigen Gotteskindern. Dennoch ist es sehr schwer, in gewissen weltlichen Kreisen ungestört und ungetrübt die Gemeinschaft mit dem Herrn zu unterhalten und sich nicht durch kalte Luftzüge von außen her aus der Gemeinschaft bringen zu lassen. Da gilt es wachen, aber es gilt auch wachen mitten in der Gemeinschaft mit Gläubigen, daß man sich nicht auf andere verläßt, sonst fetzt sich leicht Fäulnis an. Wir verlassen uns nicht auf andere; wir können anderen nur nützlich sein, und es kann nur dann Geistesleben zirkulieren, wenn wir uns einzig und allein auf den Herrn verlassen, der durch seinen heiligen Geist sowohl in der Dürre wie in der Fülle, sowohl in der Einsamkeit wie mitten in der Gemeinschaft reguliert, bewahrt, auferbaut. Wenn der Herr kommt, so gehen diejenigen mit ihm, die bereit sind. Öl zu kaufen, Geiftesausrüstung zu bekommen, ist dann nicht mehr möglich. Man ist versucht, sich zu sagen — und ich habe mir das seinerzeit auch gesagt — wenn hier von zehn Jungfrauen die Rede ist, so sind das die Brautjungfrauen, und dann müssen dahinter die Braut und der Bräutigam sein; denn zwischen Braut und Brautjungfrauen ist ein großer Unterschied, aber wir haben uns wohl alle schon überzeugen können, daß in den Gleichnissen immer Züge sind, die nur eine besondere Bedeutung haben, wenn man ihnen Gewalt antut — sie gehören zum Bilde, finden in der Auslegung aber keine besondere Verwendung. Sie gehören zur Vervollständigung des Bildes. Somit dürften wir völlig berechtigt sein, nicht neben den zehn Jungfrauen noch eine Braut zu suchen, die die wahre Gemeinde darftellt, sondern anzunehmen, daß die zehn Jungfrauen selbst ein Bild sind von der Gemeinde. Die fünf klugen Jungfrauen aber sind die, die nicht nur einen gewissen Vorrat von Geistesleben haben, sondern die gefüllt sind mit dem Geiste Gottes, die ihr ganzes Leben dem Geiste Gottes unterworfen haben. Wenn Mitternachtsstunden kommen, so kommen sie daher nicht zu kurz; der Geist Gottes trägt sie durch alles hindurch, auch durch Zeiten der Wüste, der Dürre, der Verkennung, der Verwirrung. Die törichten Jungfrauen haben auch Öl. Das genügt für gewöhnliche Zeiten. Man kann sie auch nicht immer unterscheiden von geistgesalbten Jungfrauen, aber eö kommen Stunden und Zeiten, wo es sich ausweist, daß sie eben nicht vom Geiste Gottes beherrscht sind, und daß nicht ihr ganzes äußeres und inneres Leben dem Geiste Gottes unterworfen ist. Sie sind nicht durchleuchtet und nicht durchdrungen und nicht beherrscht vom heiligen Geiste. Es ist da ein tiefer Mangel — dann löscht das Licht dazwischen immer wieder aus und muß immer wieder angefacht werden; aber es ist kein regelmäßig aufsteigendes Leben. Der Pfad der Gerechten ist wie die Sonne, die auffteigt bis zu ihren Höhepunkt. Es ist ein nicht in gerader Linie aufsteigender, sondern ein nach rechts und links hingehender Pfad, und wenn dann Zeiten der Schwierigkeiten kommen, so sind sie den Proben nicht gewachsen. Es ist ein furchtbares Wort, dieses Wort des Herrn: „ich sage euch, ich kenne euch nicht", und doch haben sie sicherlich eine gewisse Bekanntschaft mit dem Herrn gehabt. Sie wären ihm sonst nicht entgegengegangen. Sie waren aber nicht zu einer persönlichen Bekanntschaft mit ihm durchgedrungen. Er kennt sie alle mit Namen, und sie haben alle eine wunderbare Geschichte — keine jedoch dieselbe wie die anderen. Wir haben nicht die gleichen Namen — wir haben Familienähnlichkeit — haben aber in der Familie verschiedene Namen, die die einzelnen Familienglieder voneinander unterscheiden. „Ich kenne euch nicht", sagt Jesus. Namen und Vornamen — das Geschlecht, aus dem wir kommen, und die persönliche Eigentümlichkeit ist nicht unter die Zucht der Gnade, nicht in die persönliche Hand des Herrn gekommen. Unsere Eindrücke, Gefühle, Stimmungen, Gedanken, innere und äußere Lebensbewegungen sind nie völlig unter die Herrschaft des Herrn gekommen. Er hat Erziehungen mit uns gehabt und wir mit ihm, aber ein wirkliches Kennen — das Kennen, durch das er uns besitzt und immer mehr von uns Besitz ergreift, das ist nicht zustande gekommen. Da schwankt das Leben zwischen Gottesnähe und Gottesferne hin und her, ebne regelmäßiges Wachstum in den Herrn hinein. Das zusammensafsende Wort für das Gleichnis ist das Wort in Vers 13: „wachet. Ihr wißt weder Tag noch Stunde, wann des Menschen Sohn kommen wird" — ihr wißt weder Tag noch Stunde, wann er euch heimruft — ihr wißt nicht, wie lange ibr noch Zeit habt, eure Heiligung zu vollenden in der Furcht Gottes: denn vollendet muß sie werden, soll sie nicht ein Stümperwerk bleiben. Also wachet! Seid wachsam und nüchtern, laßt euch nicht berauschen, erschrecken, in fleischliche Bahnen bringen! Kommt nicht unter Stimmungen und Eindrücke, wandelt im Lichte — im Sonnenlichte der Gnade und des Wortes Gottes, dann seid ihr bereit dem Menschensohne entgegen zu gehen — dann seid ihr bereit, plötzlich durch den Tod abgerufen zu werden — dann seid ihr auch bereit, aus der Umgebung, in der ihr herangewachsen seid und euren Lebenszufluß gezogen habt, weggerückt zu werden in einsame Verhältnisse und doch in Lebensbeziehung mit der Lebensquelle zu bleiben und nur um so tiefer gegründet zu werden.