Und vergib uns unsre Schulden, wie wir unsern Schuldigern vergeben.
Im Grundtext heisst es eigentlich: „Wie wir vergeben haben unsern Schuldigern.“ Es ist nicht nur eine Bitte um Vergebung mit dem Vorsatz, dem Versprechen oder der Inaussichtnahme, andern auch unserseits zu vergeben, sondern etwas bereits Abgeschlossenes. „Wir haben unsern Schuldigern vergeben, vergib uns nun auch, Vater in den Himmeln.“ In Matthäus 6 steht das Zeitwort in der Vergangenheit, in Lukas 11 hingegen in der Gegenwart.
Wie viel das Vaterunser, wenn in der Nähe betrachtet, voraussetzt, das sehen wir aus den ersten Bitten desselben. Soll es dem Herrn gelingen, uns aus dem Schlamm unsrer Eigenart herauszuheben, so kann Er nicht anders, als uns die ganze Herrlichkeit unsrer Stellung Ihm gegenüber vor Augen zu malen. Mit diesem wunderbaren Gebet, „das wir von Kindheit auf kennen, dessen Tiefen wir aber nie zu erschöpfen vermögen, kleidet uns der Herr ins Priestergewand. Schon in den drei ersten Bitten kommt uns so recht zum Bewusstsein, welchen Adel uns der Herr damit anvertraut, dass Er uns diese Bitten in den Mund legt, welche Herrlichkeitsstellung Er uns damit gibt, dass Er uns erlaubt, priesterlich für andre einzutreten. Sklaven, die auf der Erde kriechen, die noch an ihren Egoismus, ihren eigenen Namen und eigenen Willen gebunden sind, denen ihr Wille noch ihr Himmelreich ist, können das nicht. Dazu kommt noch, wenn Gott uns solche Bitten in den Mund legt, uns eine solche priesterliche Stellung anvertraut, ja sie sogar von uns fordert, so sind für uns Kinder des Neuen Bundes alle Forderungen, die uns früher erschreckt hatten, ein Angeld für die adlige herrliche Stellung, die der Herr Jesus denen geschaffen hat, die durch die Gnade des Herrn auf Bergeshöhen gestellt, in Priestergewand gekleidet sind und deren Herzen sich öffnen für die Interessen des Vaters. Wenn der Soldat Blut und Leben für den König hingibt, um wie viel mehr das Kind Gottes, wenn ihm Gott die Ehre erweist, es für sich zu wecken. Das ist Bergesluft für aus Gott Gezeugte. Solche können dann bitten: „Vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern.“ Wie können wir freimütig zum Vater kommen, wenn wir etwas gegen den Bruder auf dem Herzen haben! Gehe hin zu ihm - vielleicht hast du selbst Unrecht getan und gar keinen Blick dafür gehabt, dass du ihm weh getan hast. Wir dürfen nicht riskieren müssen, dass, wenn wir unser Vaterunser beten, in irgendeinem Winkel des Herzens Erinnerungen an eine noch ungetilgte Schuld oder an Dinge in uns aufwachen, die wohl vergessen, aber nicht vergeben sind.