Ährenlese von Georg R. Brinke - Jahrgang 5, 6; 16-19 und 21
Joh 19,28 - Das fünfte Wort am KreuzJoh 19,28 - Das fünfte Wort am Kreuz
Wie eigen klingt es, daß der Herr, der zur Samariterin sagte: „Wer von dem Wasser trinken wird, das Ich ihm gebe, wird nimmermehr dürsten“, nun selbst ausruft: „Mich dürstet!“ Den, der einst Wasser aus dem Felsen gab und ein ganzes Volk tränkte, dürstet nun selbst. Durst war Sein letztes schmerzliches Empfinden auf Erden. Durst peinigt bekanntlich mehr als Hunger.
Des Herrn Selbstlosigkeit. Im ersten Kreuzeswort tritt uns des Herrn große Feindesliebe entgegen. Im zweiten Wort Seine heiße Retterliebe zu verlorenen Sündern. Das dritte Wort zeugt von Seiner liebenden Fürsorge zu Seiner Mutter. Im vierten Wort kommt Seine Liebe und Sehnsucht nach Seinem Gott zum Ausdruck. Nun erst, da Er an niemanden anderen zu denken hat, beschäftigt sich der Herr mit Seiner eigenen bitteren Not mit Seinem Durst . . . Wie Simson, so hat auch Er erst den Sieg errungen und hernach Seinen quälenden Durst gestillt (Ri 15,14-19; 2Sam 23,15.16).
Seine menschliche Natur. Der Herr war ein Mensch wie wir und menschlichen Bedürfnissen unterworfen. Ihn hungerte, dürstete und Er war müde wie andere Menschen. Seit dem Passah und Abendmahl hatte Er nichts mehr genossen. Man bedenke aber, was Er während der Zeit alles erduldet hat. Da war der heiße Kampf in Gethsemane, da Sein Schweiß wie große Blutstropfen auf die Erde fiel. Dann folgte die Geißelung und die Krönung mit Dornen, die ebenfalls schwächenden Blutverlust mit sich brachten. Daten folgte die Kreuzigung selbst, die Sonnenglut, das Fieber und die verzehrenden inneren Qualen als Sündopfer (Spr 17,22). Das alles mußte unerträglichen Durst bewirken. So mußte der Schöpfer aller Quellen mit .vertrockneter Kehle „Mich dürstet“ ausrufen. Doch hier war mehr als rein natürlicher Durst. Hier war:
Durst nach Gott. Wonach dürstete den Herrn. Darauf antworten wir mit David in Ps 42,2. Das hat Er noch soeben im vierten Wort ausgerufen. Jesu Speise war, den Willen Gottes restlos zu erfüllen. Auf daß die Schrift erfüllet würde, sprach Er: „Mich dürstet.“ Menschen gaben ihm Galle zur Speise und für Seinen Durst tränkten sie Ihn mit Essig (Ps 69,22). Die dreistündige Finsternis hatte Ihn als Sündenträger von Gott getrennt, nun war Sein Durst nach Gottesgemeinschaft um so stärker. Wer aber, wie der Herr, so nach Gott dürstet, sehnt sich ebenso nach Seelen.
Durst nach Menschen. Beim Durst nach Gott stehen zu bleiben genügt nicht, denn der Herr entäußerte Sich selbst bis zur Verlassenheit für uns. Nach der Vollbringung des Erlösungswerkes, dürstete den Herrn nach uns Menschen. So bat der Herr die Samariterin: „Gib mir zu trinken“, und dabei meinte Er lediglich, gib dich Mir, dann ist Mein Durst gestillt. Und selbst noch jetzt in der Herrlichkeit dürstet Ihn nach den Seinen (Joh 17,24; Off 22,17).
Die Welt verschmachtet vor Durst, das beweist ihr Jagen nach Lust und Freude und Vergnügen. Alle, die ihnen nachjagen, gehen nur zu den löchrigsten Brunnen, die keine Befriedigung bieten, so daß sie dereinst ausrufen müssen: „Ich leide Pein in dieser Flamme“ (Luk, 16, 24!. Möchte doch die Welt erkennen, daß nur Jesus und Jesus allein den Durst stillet.
Ihn dürstet nach unserer Liebe und Hingabe an Ihn. Es ist, als rufe Er: „Erquicke mich“, wie einst Paulus Philemon bat: „Bruder, ich möchte gerne Nutzen an dir haben.“ Möchten auch wir des Herrn Durst stillen, wie das die Helden Davids so vorbildlich taten indem sie ihr Leben für David einsetzten (2Sam 23,15-17). Brechen auch wir wie jene drei Helden durch die Menge der Hindernisse, der Lauheit und Gleichgültigkeit und gehen wir an die Quelle von Bethlehem, um Lebenswasser für unseren König Jesus Christus zu schöpfen. O daß wir mit Durst nach Gott und Menschenseelen erfüllt sein möchten, wie es der Herr am Kreuz war.
Durst ist ein allgemeines Bedürfnis. Durst erfüllt alle Menschen, das beweist ihr Jagen nach Ehre, Ruhm und Geld. Selbst das Sich‑opfern in religiösen Bestrebungen ohne Jesus befriedigt den Menschen nicht, nur die neue Geburt (Joh 3,5). Man kann mit Jesu Wort in Joh 4,13 sagen: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten. Nur Er, der diese tiefe Sehsucht in unser Herz hineinlegte, kann sie befriedigen (Mt 5; 11,28). Komm und trink!
Die Erfüllung der Schrift. Alles, was über des Herrn Leiden geweissagt war, war bereits erfüllt. Nur eines fehlte noch. Das Darreichen des Essigs zur Stillung Seines Durstes. Der Durst wird auch in Ps 69,22 als letztes Seiner beiden erwähnt. Unvergleichlich groß war des Herrn Ehrfurcht vor der Schrift, kein Tütelchen durfte unbeachtet bleiben. Bis Ps 96,21 war soweit alles erfüllt; nun aber steht noch in Vers 22 die unerfüllte Voraussage: „In meinem Durst tränkten sie mich mit Essig.“ Und erst als auch das erfüllt war, konnte Er ausrufen: „Es ist vollbracht.“
Der daraus fließende Segen. 1n Lk 16,24 lesen wir, daß der Durst eine der Qualen der Verlorenen ist, aber der Herr, der hier ausruft: „Mich dürstet!“, hat uns durch Seinen Opfertod von jenem qualvollen Durst erlöst.