Ährenlese von Georg R. Brinke - Jahrgang 5, 6; 16-19 und 21
Joh 12, 27.28 ; Mk 14,35 - Mir bangt vor dieser StundeJoh 12, 27.28 ; Mk 14,35 - Mir bangt vor dieser Stunde
Wer vermag obiges Wort des Herrn zu erfassen? Kaum ein Mensch! Nicht die qualvollen Leiden erfüllten zunächst den Herrn mit Schaudern, .als vielmehr die Sünde; die der Sündlose auf sich nahm. Obige Worte klingen ähnlich denen in Gethsemane: „Wenn es möglich ist; so gehe dieser Kelch von mir.“ Es war jener Kelch des Zornes Gottes, den Jesus aus Liebe zum Vater und zum Sünder trank. Ja, Er trank jenen fluchtringenden Kelch und starb an unserer Statt (4. Mose 5,18). Jesus fragt sich selbst: „Was soll ich sagen? Vater rette mich aus dieser Stunde.“ Unmöglich, denn dieser Stunde Wegen war Er in die Welt gekommen. Freiwillig trank Er den bitteren Kelch. Daß Er davor zurückschreckte, ist mehr wie begreiflich.
Die furchtbare Stunde. Sie hat der Herr oft erwähnt, damit meinte Er stets das Kreuz. Im Leben des Herrn gab es viele wichtige und schwere Stunden, aber keine wie die während jener dicken Finsternis, da Er ausrufen mußte: «Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du mich verlassen.» Sie wurde im Geiste von den Propheten geweissagt (1Pet 1,10). Alle Opfer wiesen auf sie hin. Sollte der Sünder .gerettet werden, so war Jesu Blut nötig. „Wenn ich das Blut sehe, dann werde ich vorüber gehen.“ Es war die Stunde in der das größte Werk aller Zeiten voll bracht wurde. Die Stunde der größten Erfindung (Heb 9,12). Zugleich die Stunde nach der die ganze Kreatur sich sehnt (Röm 8,21), ja‑ in die die Engel staunend schauten (1Pet 1,12), wie jene Cherubim auf das Blut des Sühndeckels schauten. Es war die Stunde, die der Herrschaft Satans ein Ende bereitete (Vers 3i). Und es ist die Stunde, die uns das Heil brachte, da der Sünder weiß, der Vorhang ist zerrissen und ich darf mit Freimütigkeit hinzutreten in voller Gewißheit (Heb 10. 19‑22).
Die unbeschreiblichen Schrecken dieser Stunde.
Man denke an die leiblichen Qualen, die Jesus erduldete. Er selbst
wies schon in Matthäus 20,19 darauf hin. Auch kannte Er sie aus den
Schriften. Aus den Psalmen und aus dem Münde der Propheten (
Seine Seelenqualen. Jesus kannte die Weissagung des David: „Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du mich verlassen.“ Er mag an das Symbol der zwei Böcke am großen Versöhnungstag gedacht haben. Jesus wußte, daß Er selbst unter dem Sündenbock gemeint war und der, welcher der Schlange den Kopf zertreten werde; daß Er das Weizenkorn sei, das in die Erde fallen müsse, um zu sterben (Vers 24). Zu dem allem kamen die Qualen Seiner Seele (Jes 53,10.11). Das waren schwerere Leiden als alle leiblichen Qualen. Hier galt es, etwas im Inneren aufzunehmen, einen Kelch zu trinken (4. Mose 5,18; Off 10,9.10). Am Kreuz hing Er in dickster Finsternis, nicht nur in äußere Finsternis, sondern in innerer, da Ihn nicht nur alle verließen, sondern vor allem der Heilige Gott. Wenn schon ein David wegen seiner Sünde Tag und Nacht litt, was erst der Heilige, der Reine, der unser aller Sünde auf sich nahm und den ganzen Fluch der Sünde trug. In dieses Empfinden kann sich unmöglich ein Mensch hinein versenken.
Die Einsamkeit. Sie kann verschieden sein. Oft ist sie sogar sehr erwünscht. Jesus verbrachte Nächte in Einsamkeit zu, abgeschlossen von andern, allein mit dem Vater. Diese Einsamkeit liebte Jesus sehr und so jedes nach Heiligung schreiende Gotteskind. Etliche sind von Natur zur Einsamkeit geneigt. Auch gibt es jenes Sich‑einsam‑Fühlen, wie zum Beispiel bei Elia: «Ich bin allein übrig geblieben» (1Kön 19,10). Ganz anders war es mit Jesu Einsamkeit. Daß Ihn alle verlassen werden, wußte Er (Mk 14,50), und daß Er die Kelter allein treten werde (Jes 63,3). Viele hatten Ihn bereits verlassen (6, 66). Auch wußte Er, daß viele jener Hosiannarufer bald „kreuzige Ihn“ schreien werden. Beim Abendmahl übernahm Ihn das Wort in Sacharja 13,7: „Sie werden den Hirten schlagen und die Schafe werden sich zerstreuen.“ Verlassen von seinen drei Jüngern, die mit Ihm beten sollten, rang Er allein mit dem Tode. Allein stand Jesus vor den Hohenpriestern und allen Verklägern. Allein stand Er vor Pilatus und Herodes. Allein, ohne Jünger durchschritt Er jene Via Dolorosa. Ein unwilliger Pilger mußte Sein Kreuz tragen (Lk 23,26). Wo blieb jenes Versprechen des Petrus, mit Ihm zu sterben (Mt 26,36) ? Große Ehre hatte Petrus verpaßt. Ein sehr bitterer Tropfen Seines Kelches hieß Einsamkeit. In allem aber wußte Er, der Vater ist bei mir. Vater war Sein erstes und auch Sein letztes Wort am Kreuz (Lk 23; 34. 46).
Jesu begreifliche Bitte. Wir verstehen sie jetzt ein wenig, nachdem wir so manches über Seine Leiden aus der Schrift sahen. Seine Bitte: „Rette mich aus dieser Stunde“ war nur zu begreiflich. Gethsemane, Gabbatha, Golgatha, Begriffe unerfaßlicher Tiefe veranlaßten Ihn zu diesem Gespräch mit dem Vater.
Ganze Ergebenheit. Jesus sagt: „Es muß also gehen.“ Er kannte das Wort in Jesaja 53,10. Es gefiel Gott, Ihn also zu schlagen. Soll ich nicht tun, was meinem Vater gefällt? Soll ich mich von meiner eingegangenen Verpflichtung zurückziehen?