Schriften von Georg R. Brinke
Betrachtungen überdas Kreuz von Golgatha
Die sieben Worte des Herrn am Kreuz
Mt 27,46 Mk 15,34 Ps 22,1 - Das vierte WortMt 27,46 Mk 15,34 Ps 22,1 - Das vierte Wort
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
(Mt 27,46; Mk 15,34; Ps 22,1.)
Das vierte Wort des Herrn am Kreuz ist das mittlere der sieben Worte und führt zugleich in den Mittelpunkt, d. h. in den Höhepunkt Seiner Leiden. In den vorher ehenden Kreuzesworten steht geschrieben, daß Jesu „sprach“, aber hier heißt es: „Er schrie mit lauter Stimme“ Der laute Schrei selbst zeigt Seine geängstigte Seele; Sein Alleinsein, Sein Rufen wie aus weiter Ferne.
Als Er gegeißelt, mit Dornen gekrönt, verhöhnt, verspottet und ans Kreuz geschlagen wurde, hörte niemand einen Klageton. Bis dahin hatte Er noch den Vater, aber hier, als Er ins eigentliche Gericht vor den dreimal heiligen Gott trat, als Er sozusagen in die Finsternis, Gottferne hinausgestoßen wurde, da fühlte der Herr die unsagbare Angst, Seelenqual, Hilf‑ und Hoffnungslosigkeit und die dicke Finsternis. Machen wir den Versuch, auf Jesu Angstgeschrei, der gleichsam eine Frage ist, eine Antwort zu finden.
Streifen wir in der Einleitung auch noch kurz das Empfinden jener Menschen auf Golgatha, die die dicke Finsternis miterlebten. Und was erst, als die Erde an fing zu beben und das Krachen der sich spaltenden Felsen hörbar wurde (Mt 27,5). Man male sich bei jedem einzelnen das Erschrecken des Gewissens bei diesen Ereignissen aus, ferner die Störungen in der Stadt und im Tempeldienst! Jedenfalls verstummte das Spotten für einige Zeit. Bange Stille herrschte auf der Schädelstätte. Es ist als klinge es: besinnet euch, werdet stillt Damals erwarteten gewiß nicht wenige fast sicher, daß dieser Finsternis etwa das Herabsteigen vom Kreuz, das Zerschmettern der Feinde oder das Aufrichten des Königreiches folgen werde. Jedoch es kam keine Strafe für die Feinde, wie auch keine Hülfe für den Schreienden. Der Kampf Gethsemanes wurde hier aufs höchste gesteigert und vollendet. Menschen hatten alles Gefühl verloren, aber da drang in die Natur ein tiefes Empfinden, als der Sohn Gottes blutete, und sie hüllte Ihn in tiefe Dunkelheit.