Obwohl Jakob ernstlich zu Gott gefleht hatte, sehen wir ihn im Anschluß daran schon wieder beim Planen eigener Wege, um aus der Gefahr zu kommen. Er will Esau mit einem reichen Geschenk versöhnen. An und für sich war das durchaus in Ordnung und könnte auch uns manchmal nützlich sein. Jakob war es darum zu tun, koste es, was es wolle, mit seinem Bruder ins reine zu kommen. Er gab die Hälfte seines Vermögens dafür her, etwa 580 Stück Vieh. Der Herr sagt: „Selig sind die Friedfertigen“, und das war jetzt Jakob. Was geben wir, um mit Mitmenschen ins reine zu kommen? Gaben besänftigen den Zorn (Spr 21,14; 17,8). Manchmal genügt schon ein freundliches Wort, ein warmer Händedruck oder eine Entschuldigung: „Es tut mir leid.“ In Jakobs Fall ging es um mehr. Er wollte sich nur schnell mit seinem Bruder versöhnen und nachher in gewohnter Weise weiterleben. Vor allem mit Gott ins reine zu kommen, wäre für ihn entscheidend gewesen. Er war Erzvater des von Gott auserwählten Geschlechtes, aber da fehlten noch die inneren Voraussetzungen. Das Eigenleben dieses starken Mannes mußte zerbrochen werden. Drei große Stationen kennzeichnen bis dahin Jakob: Bethel, Mahanaim und Pniel. In Bethel hatte Gott bei ihm das gute Werk begonnen, aber Jakob stand Gott immer noch durch sein starkes, ungebeugtes Ich im Wege, und das wurde nun gebrochen.
Jakobs letzter Versuch. Es ist die letzte eigene Anstrengung, die er unternimmt. Er hat eben seine Frauen und Kinder über den Jabbok gebracht. Die Herden sind bereits auf dem Wege zu Esau. Die große Zahl der Tiere zeigt an, wie reichlich Gott Jakob gesegnet hat. Jakob blieb allein jenseits des Jabbok. Sein Alleinsein sollte wohl dazu dienen, nochmals seine peinliche Lage zu überprüfen. Zweifellos hatte er auch jetzt die lobenswerte Absicht, in aller Stille seine schwere Last vor Gott niederzulegen. Jakob sah unüberwindliche Schwierigkeiten vor sich. Unsere größte Not besteht vielfach nur in der Erwartung von Schwierigkeiten, und diese treffen oft nicht ein. Das hat auch Jakob in seiner Angst vor Esau erlebt.
Eine unerwartete Begegnung. Während Jakob sinnt, plant und betet, naht sich ihm eine geheimnisvolle Gestalt. Wo kam sie her, was will sie von Jakob? Jakob sagt, daß es ein Mann war, und Hosea, dass es Gott selbst war (Hosea 12,4). Gott ist sonst für uns unsichtbar (2. Mose 33,20), man kann Ihn nicht sehen (Kol 1,15; Heb 11,27; 1Tim 6,16; Joh 1,18; 5,37). Aber Er offenbart sich in Menschengestalt. Jakob hat hier ein ähnliches Erlebnis wie später Josua (Jos 5,13).
Diese Begegnung Gottes mit Jakob wurde ausschlaggebend für sein weiteres Leben. In dieser Nacht bereitete sich Gott ein Werkzeug zu, wie Er es in Kanaan brauchen wollte und konnte. Jakob wäre als der alte Jakob und nicht als Israel zurückgekehrt, wenn nicht Gott seinem alten Leben ein Ende bereitet hätte. Und machen wir es besser? Trotz vieler wunderbarer Erlebnisse mit Gott geben wir unser Eigenleben nicht auf, aber „eine jegliche Rebe, die da Frucht bringt, reinigt Er, daß sie mehr Frucht bringe“(Joh 15,2).
Der große Kampf. Einst hörte ich eine Auslegung dieser Geschichte. Sie stellte die Dinge so dar, als ob Jakob vor seinem alten Leben Ekel empfinde und er selbst diese Begegnung gesucht habe, um ein Israel Gottes zu werden. Bei näherer Betrachtung aber sehen wir, daß nicht Jakob mit dem Manne rang, um Ihn zu überwinden, sondern umgekehrt, daß Gott sein ungestümes Wesen zerbrechen wollte. Natürlich hätte Gott Jakob in der ersten Runde überwinden können, aber die Geschichte soll uns zeigen, wie lieb uns unser Eigenleben ist und wie lange wir oft Gott und Seinem Geiste widerstehen. Wohl hatte Jakob kurz zuvor ernstlich nach Rettung aus äußerer Gefahr geschrien, aber keineswegs um eine innere Erneuerung gebeten. Jakob plante immer wieder eigene Wege, so mußte sein Ich zerbrochen werden. Jakob rang und wehrte sich lange, bis endlich bei Sonnenaufgang Gott seinen Widerstand brach, indem Er ihm die Hüfte verrenkte. Gott schlug Jakob, aber all Sein Schlagen war damals und ist auch heute nur Liebe. Da nun Jakob nicht länger widerstehen konnte und hilflos am Boden lag, klammerte er sich nun fest an seinen scheinbaren Gegner und sprach das denkwürdige Wort aus: „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!“ Innere Nöte erschütterten Jakobs Seele bis in ihre Grundfesten, und sein Kampf endete in einem herrlichen Sieg Gottes. Bis dahin hatte Jakob das Regiment in seinem Leben scheinbar selbst geführt.. Nun aber sagt er: „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn.“ Wer immer von Gott gebraucht werden will, muß jeden Widerstand aufgeben und dem Herrn die Zügel seines Lebens willig übergeben.
Ein Überwundener. Was hier mit Jakob geschah, hätte zwanzig Jahre früher geschehen sollen. Jakob gleicht den Seelen, die ohne Heiligung einhergehen. Mit unserer Bekehrung soll das Heiligungsleben anfangen. Hier begann für Jakob endlich dieser wichtigste Lebensabschnitt. In Hosea 12,5 lesen wir, daß Jakob weinte und flehte, bis er überwand.
Wir wollen hier Jakob nachahmen, damit Gott auch mit uns zu Seinem Ziele kommt, denn dazu sind wir gesetzt, daß wir hingehen und Frucht bringen.
Die Vergeltung. Jakob wurde für das Ausharren in seinem Kampfe reich belohnt. Gott hatte das Herz Esaus umgestimmt (Kap. 33,4). Jakobs sündige Vergangenheit war begraben, als ein neuer Mensch stand er da. Warum gelangen viele Gotteskinder nie zu diesem Segen? Weil sie das alte Ichleben vorziehen und in ihrem Kampfe (Heb 12,1) nicht wie Jakob bis zum Siege Gottes durchhalten (Lk 11,8-.9). Wie groß der Nutzen eines inneren Zusammenbruches ist, zeigt nicht nur die Geschichte Jakobs, sondern auch die vieler anderer Menschen. All die schmerzlichen Demütigungen und schweren Wege hätte Jakob sich ersparen können. Gottes Erziehungswerk mit uns ist oft gar nicht so einfach. Zugute dabei kommt uns, daß wir Ihn und nicht Menschen zum Erzieher haben. Letztere würden entweder die Geduld verlieren und die Mühe aufgeben oder aber uns zu hart züchtigen.