Schriften von Georg R. Brinke
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Dan 5,13-30 - Mene TekelDan 5,13-30 - Mene Tekel
Auf den Vorschlag der Königin-Mutter hin wurde Daniel gerufen. Minuten wurden zu Ewigkeiten. Laut schrie Belsazars Gewissen. Er ahnte nichts Gutes und hörte im Geiste bereits die Schritte der herannahenden göttlichen Vergeltung für seine Lästerungen. In seiner Torheit hatte der König geglaubt, seine frommen Männer in seinem Rate brauchen zu können, weil er fürchtete, durch sie in seinem gottlosen Treiben gestört zu werden. So hatte er den besten Mann seines Reiches, Daniel, auf die Seite geschoben. Wurde nicht aus demselben Grund schon so manches Gotteskind versetzt oder gar entlassen? Doch unter solchen Umständen darf der Gläubige besonders getrost sein. Er erfährt gerade dann Gottes Nähe, Beistand und Fürsorge in vermehrtem Maße. Ja, der Herr ist ein reicher Belohner, und nicht selten schenkt Er nach überstandener Prüfung einen besseren Posten. An Daniel hätte der König den besten Ratgeber gehabt. Er hätte dem König lange zuvor den Werdegang seines Reiches anzeigen können (Jer 27,7). Belsazar war das dritte Glied der babylonischen Dynastie, und für seine Tage war das, Unglück geweissagt, das, er durch sein Sündenleben beschleunigte. Unterdessen trat Daniel in das Haus des Gelages; er ist:
Der Offenbarer der geheimnisvollen Schrift. Alle blickten erwartungsvoll auf die ehrwürdige Gestalt des greisen Propheten. Daniel mag damals etwa 80 Jahre oder mehr gezählt haben. Betagt, doch frisch und stark im Glauben, trat er vor den König. Die Härten des Lebens, der Kampf mit den schweren, aber siegreich überwundenen Versuchungen des babylonischen Hoflebens, die Not seines eigenen Volkes und nicht zuletzt der ständige Umgang mit Gott, hatten eine seltene Persönlichkeit aus ihm gemacht. Er war, wie wir uns heute ausdrücken würden, ein V a t e r in Christo geworden. Er kannte nichts von Altersschwäche, etwa wie ein Eli. Im Gegenteil! Je mehr er dem Ende entgegenging, desto stärker fühlte er sich in seinem Gott. Darüber werden uns die weiteren Kapitel belehren.
Belsazar begrüßte den Propheten in der üblichen Weise und hielt ihm eine lange Lobrede. Er tat zwar so, als kenne er Daniel nicht und doch zählte er alle die Vorgänge auf, in denen Daniel eine entscheidende Rolle gespielt hatte (Vers 13‑16). Wahre Gottesmänner haben aber kein Ohr für Schmeichelreden, und dann erst recht nicht, wenn sie aus dem Munde eines Gottlosen kommen. Auch für die reichen Angebote, die der König dem Propheten machte, hatte Daniel kein Gehör. Was konnte ein Daniel von Belsazar sich geben lassen? Er tat seinen Dienst nicht der Bezahlung wegen, etwa wie die Wahrsager. Umsonst hatte er die Botschaft empfangen und umsonst gab er sie weiter. Unerschrocken und fest stand er vor dem König, wie einst Paulus vor Felix und vor Agrippa. Und gleich wie der Apostel einen Felix ernsthaft strafen mußte, so mußte auch Daniel einem Belsazar die ganze Schwere und Tragweite seiner Sünden kundtun.
Eine Grabrebe. Das wäre gewissermaßen die richtige Bezeichnung für Daniels letzte Rede an den König. Mit Daniels Rede war auch Gottes Reden mit Belsazar abgeschlossen. Nachdem Daniel die großzügigen Angebote Belsazars zurückgewiesen hatte, umriß er in kurzen Zügen die dem König wohlbekannten Wege Gottes mit seinem Vater Nebukadnezar, aus dessen er aber nichts gelernt hatte. Daniel erinnerte Belsazar an die Macht, den Wohlstand, den Erfolg und die Ehre seines Vaters, erwähnte auch seinen Hochmut, der ihn schließlich zur tiefsten Erniedrigung führte. Er pochte mit diesen Aufzählungen sozusagen an das Herz des verstockten königlichen Sünders. Auch führte Daniel seine harte Anklage, die zugleich eine Strafrede an alle war, vor jener tausendköpfigen Menge; denn keiner war über Gottes Wege mit Nebukadnezar im unklaren. Und doch zeigt die Rede Daniels, daß Gott die Sünde eines Menschen gewöhnlich anders beurteilt, wie wir es zu tun pflegen. Daniel machte nämlich Belsazar keine Vorwürfe wegen dem Fest als solchem, auch nicht darüber, daß er ein betrunkener Schlemmer war, obgleich das eines anständigen Menschen unwürdig ist, Sondern darüber, daß er sich nicht gedemütigt hatte, obwohl er alles wußte, was Gott an seinem Vater getan hatte (Vers 22). Belsazar hatte also Gott wissentlich in seinem Leben ausgeschaltet. Das ist schlimm und öffnet jeder Sünde die Türe. In der Folge redete Daniel mit ihm nicht weniger persönlich als Nathan mit David, Johannes der Täufer mit Herodes und Petrus mit dem Hohen Rat. Daniel hob an: „Den Gott, in dessen Hand dein Odem ist, und bei dem alle deine Wege sind, hast du nicht geehrt.“ Also Unterlassungssünden! Belsazar konnte unmöglich Gott und Seine denkwürdigen Taten vergessen haben; er hatte ja in seiner Trunkenheit die Gefäße des Hauses Gottes auch nicht vergessen. Denselben Gott, dem er mit seinem Feste Hohn sprach und dem er doch alles zu verdanken hatte, hätte er, wie sein Vater, ehren sollen. Seine Gottlosigkeit kannte aber keine Grenzen. Noch heute lauten die vermessenen Aussprüche bei Gottlosen: „Lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile“ (Psalm 2). Und wiederum: „Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“. Mißachtung des Höchsten war die Wurzel des Sündenlebens Belsazars und die Frucht war Selbsterhebung und Götzendienst. Die Handschrift Gottes an die Wand war nun gegen den frivolen König. Könnten etwa heute die Menschen sagen, sie seien in Unwissenheit über Gott? Alle, ohne Ausnahme, haben das Zeugnis der Natur (Röm 1,21; Apg 14,17; 17,24), und dieses Zeugnis ist ganz allgemein (Psalm 19,1-4). Alle hören die Stimme des eigenen Gewissens, die sie auf Recht und Unrecht hinweist. Alle wissen, daß ihre Sünde ein Greuel ist vor Gott, und sehr viele haben sogar das geschriebene Wort Gottes, die Bibel, im Hause. Es ist niemand, der sich entschuldigen könnte! Gott wird jeden einzelnen, je nach empfangener Erkenntnis richten (Röm 2,12-‑16; Mt 11,20-24). Und Sein gerechtes Urteil traf Personen, wie hier Belsazar; Städte, wie Sodom und Gomorra; gewaltige Reiche, wie das babylonische, ja, selbst die Erde, wie zur Zeit der Flut. Es wird auch dich und mich treffen. Es traf den König, nachdem er sie durch die vielen Warnungen nicht belehren ließ (Vers 22). Wie gut ist doch unser Gott, daß Er nicht ohne weiteres richtet, sondern stets zuerst warnt. Das tat Er schon in Noahs Tagen (1. Mose 6,3; 2Pet 2,5), Zur Zeit des Pharao (2. Mose 6,11), und damals mit Ninive (Jona 3,4). Wie oft Gott Israel warnte, ist allen Bibellesern bekannt (Hes 3,18‑-9; 33, 8-9). Ein gewarnter Mensch, der hartnäckig bleibt, wird plötzlich untergehen, ohne Rettung (Spr 29,1). Und nun, König Belsazar, vernimm das Gerichtsurteil. Es lautet:
Mene. Das heißt „gezählt“. Gezählt waren die noch
wenigen Stunden seiner Herrschaft; seine Tage waren abgelaufen (
In der kommenden Drangsalszeit, die die schrecklichste sein wird, die je über Israel hereinbrach, wird Gott der 1260 Tage gedenken, die Er für die Dauer der Drangsal festgelegt hat, und Sein Volk wird die Tage und Stunden zählen (Dan 9,25; 12,7, 11,12). Gott wirb schlußendlich aus Erbarmen zu Seinem Volk handeln, indem Er die schreckliche Zeit verkürzen wird (Mt 24,22). Das gibt dann den Glaubenden Kraft zum Ausharren, Mut zum überwinden, Ruhe im Herzen und Zuversicht in persönlicher und nationaler Not (Joh 14,29.16, 33).
Tekel. Dag heißt „gewogen“. Belsazar wurde gewogen und zu leicht erfunden. Hiob redet schon vom Abwägen (Hiob 6,2). jeder kommt in die Waagschale; das war schon immer so, anfangend bei Kain. Gottes Gewicht wird sehr genau sein. Dort gilt dann nicht mehr das Gewicht der eigenen oder öffentlichen Meinung. Selbst Gedanken (Mt 5,28; 9,4; 1Joh 3,15), Worte und Handlungen werden gewogen (Mt 12,36; 1Sam 2,3). Der Herr entscheidet; Seine göttlich geeichten Gewichtsteine sind maßgebend. Er wird Erziehung, Veranlagung, Begabung, versäumte Gelegenheiten u. a. in Betracht ziehen. Wir alle sollten aber in vermehrtem Maße an Gottes untrügliche Waagschale denken, und das um so mehr, da jeder Sünder zu leicht erfunden wird. Anders verhält es sich aber beim Kinde Gottes. Sein Gewogenwerden gereicht ihm zum Heil. Da es das allgenugsame, vergossene Blut des Herrn Jesus mit in die Schale nimmt. „Sein Kreuz bedeckt meine Schuld, Sein! Blut macht hell mich und rein!“ Lieber Leser, wie steht es um dich? Liegen deine eigenen Werke oder liegt Christi Werk von Golgatha in deiner Waagschale? Die Gewichtsansprüche des Herrn sind in Mt 22,37-38 kurz zusammengefaßt, doch da entdecken wir unsern großen Mangel; und hätten wir nicht den Herrn Jesus selbst auf unserer Seite, durch welchen Gott befriedigt ist, so würde es auch von uns heißen: „Zu leicht erfunden.“
Peres. Das heilt „geteilt“. „Dein Königreich wird
geteilt und den Medern und Persern gegeben.“ Nehmet ihm das Pfund, mußte
der Herr Zu jenem ungetreuen Knecht sagen (Mt 25,28). Die Grenzen
eines Landes sind nicht von der Kraft seiner Armee gehalten, sondern von
Gott, Der sie den Völkern bestimmt hat (5. Mose 32,8). Während Daniel
zu Belsazar redete, öffnete Gott die Tore Babylons (
Etwas zum Nachdenken. Als Daniel dem König Nebukadnezar den Traum des großen Baumes deutete, sagte er am Schluß: „Und nun, o König, brich mit deinen Sünden.“ Bei Belsazar jedoch sagte Daniel nichts derartiges; nichts mehr von jenem wohlwollen, das er seinem Vater erzeigte. Gott erwartete Buße und reichte Gnade dar. Hier aber haben wir einen Fall von „Zu spät“. Dasselbe sehen wir bei Herodes in Apg 12. Wie leicht und plötzlich kann der Herr die Gottlosen erreichen und ihr Leben abschneiden. Das, blasse Gesicht und die schlotternden Knie eines Belsazars ersetzten die Buße nicht; es gab kein zurück, kein Wiedergutmachen. Für ihn war nur noch das furchtbare Erwarten des Feuereifers Gottes.
Beherzigen wir also: die kurze Dauer weltlicher Freude und Lust
(Pred 7,6); das bestimmte eintreffen göttlicher Vergeltung (2Pet 2,3); die Plötzlichkeit, mit der Gottes Gerichte oft kommen (