Der Name Stiftshütte, den man diesem transportablen Gotteshaus gegeben hat, entspricht nicht ganz dem Sinne, den Gott ihr zugedacht hatte. Wohl hat Gott sie geplant und gestiftet, aber ihre Bedeutung ist eine ganz andere. Die Elberfelder Bibelübersetzung nennt sie „Zelt der Zusammenkunft“. Das sollte dieser Ort sein, eine Stätte, da der Sünder seinem Gott begegnen darf. Sie ist eine Offenbarungsstätte der Liebe und Gnade Gottes zum Sünder. Gott hat die Möglichkeit erfunden, ihn aus der Sünde heraus- und zurückzubringen zu Ihm in Seine Gemeinschaft. Verweilen wir einen Augenblick bei dem so treffenden Ausdruck:
Zelt der Zusammenkunft. Welch schöne Benennung! Dieser Treffpunkt des Sünders mit Gott war unumgänglich nötig, wenn der Mensch sich nicht noch weiter von Gott entfernen sollte. Hier durfte also der Sünder durch das Opfer eines Stellvertreters, der seine Sünde auf sich nahm, wieder ein Gotteskind werden. Dieses Zelt der Zusammenkunft aber ist ja nur ein Vorbild auf den Herrn Jesus, der Fleisch wurde und unter uns zeltete. Wie Gott dieses Zelt zu Nutz und Frommen Seines Volkes errichten ließ, so sandte Er Seinen Sohn, um uns ans Vaterherz zurück zu bringen. Petrus schreibt: „Auf daß Er uns zu Gott brächte" (1Pet 3,18). Der Herr kam also in die Welt, um uns verlorene Sünder zurück zu Gott zu bringen. Er ist der Mittler (l. Tim. 2,5; Heb 8,6). Wir bedürfen also keine Heiligen, keine Jungfrau Maria. Dem Herrn Jesus selbst darf sich jedermann nahen! Das Amt eines Mittlers ist es, zwei einzelne Menschen oder Parteien, die sich entfremdet haben, wieder zusammenzubringen, sie zu versöhnen zur beiderseitigen Befriedigung. Ganz kurz gesagt: es macht aus Feinden Freunde. In Israel entstand der Sünde Salomos wegen eine Trennung, es zerfiel in zwei Reiche. Aber es gab für beide nur einen Ort der Zusammenkunft, das war der Tempel. Wer heute Gott nahen will - und sei er noch so weit entfernt - kann es nur durch unseren Herrn Jesus, den Menschen- und Gottessohn. Er hat uns durch Sein Blut mit Seinem Vater, mit Gott versöhnt. Auf Grund dieses Versöhnungswerkes Christi, des einen Mittlers, darf nun jedermann freimütig Gott nahen und mit ihm verkehren wie ein Sohn mit seinem Vater.
Wir treten zunächst in den Vorhof. Wie sah dieser aus? Er war hundert Ellen lang und fünfzig Ellen breit und umgeben von einer Umzäunung von weißer Leinwand. Diese Abgrenzung erinnert an das Wort Hohelied 4,12: „Du bist mir ein verschlossener Garten.“ Dieser Zaun oder Umhang ruhte auf 56 Pfosten von Akazienholz, und diese waren mit Seilen an Pflöcken von Erz befestigt. Die Köpfe dieser Säulen waren von Silber, ebenso die Haken, die zum Anhängen der Leinwandumzäunung dienten. Von außen gesehen bot dieses Gotteshaus nichts Anziehendes fürs Auge. Wollte jemand dieses Haus wirklich kennen lernen, so mußte er auf dem vorgeschriebenen Wege hinein gehen, dann erst sah er die darin verborgene Herrlichkeit. Gott trägt Seine Herrlichkeit nicht zur Schau neugieriger Menschen. Das sehen wir vor allem in unserem hochgelobten Herrn und Heiland, Gottes schönster und reichster Gabe, der in größter Schlichtheit in die Welt kam. „Er hatte keine Gestalt noch Schöne“ (Jes 53,2), aber diejenigen, die Ihn kannten und an Ihn glaubten, bezeugten: Wir haben Seine Herrlichkeit gesehen“ (Joh 1,14). Wie der Außenstehende nichts besonderes in der Stiftshütte sah, so sieht der natürliche Mensch nichts besonderes im Sohne Gottes. Den einen ist Er eine Torheit, den anderen ein Ärgernis, diejenigen aber, die Ihn erkannt und in das Meer Seiner Gnade hineingeschaut haben, urteilen anders, ihnen ist Er „der Schönste unter den Menschenkindern“ (Vergl. 1Kor 1,23; Ps 45,3).
Die Umzäunung des Vorhofs. Sie bestand aus reiner, weißer Leinwand. In Off 19,8 lesen wir von ihrer Bedeutung: sie stellt „die Gerechtigkeit der Heiligen" dar. Sie ist das Gewand, mit dem sich die Braut des Lammes schmückt. Ist es nicht wunderbar in unsern Augen, daß der in den Vorhof Eintretende wie von allen Seiten in weiße Leinwand eingehüllt erschien? So ist es mit dem natürlichen Menschen; wenn er durch Jesus, die Tür (Joh 10,7), eingegangen ist, erfährt er das unbeschreibliche Wunder, daß er in Christi Gerechtigkeit eingehüllt ist. Denn „Christus ist uns gemacht zur Gerechtigkeit“ (1Kor 1,30). Christi Gerechtigkeit ist dem Gläubigen zugerechnet. Er steht fortan nicht mehr in dem von Sünde befleckten Kleide vor dem heiligen Gott, sondern Gott sieht ihn in Seinem Sohne, in dessen makelloser Reinheit und Gerechtigkeit. In Röm 5,1 lesen wir: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.“ Wie glücklich sind wir, daß wir nicht mehr uns auf unsere eigene Gerechtigkeit und Werke verlassen und sie verteidigen müssen, die doch wertlos sind, daß wir uns vielmehr eingehüllt wissen in Christi Gerechtigkeit, die allein vor Gott gilt. Wir dürfen uns sogar der gewissen Hoffnung der Herrlichkeit rühmen (Röm 5,2). In der Leinenumzäumung sind besonders zu beachten die Säulen, die auf Sockeln von Erz ruhten und oben von Silber waren. Kupfer widersteht dem Feuer. Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Hier kann der bravste Mensch nicht bestehen, denn die beste menschliche Gerechtigkeit ist gleich „einem unflätigen Kleid“ (Jes 64,6).
Die Geräte im Vorhof. Es waren ihrer nur zwei. Der eherne Altar, auch Brandopferaltar genannt, und das eherne Waschbecken. Der eherne Altar stand am Eingang des Zeltes; wir werden ihn im übernächsten Abschnitt besser kennen lernen. Es war kein Eingehen ins Heiligtum möglich, ohne zuvor mit diesem Altar in Verbindung zu treten. Wir werden erinnert an den Eingang zum Paradies nach dem Sündenfall, vor diesem standen die Cherubim mit gezücktem Schwert, die den Weg zurück ins Paradies verhinderten. Der Tod hätte den getroffen, der sich vermessen hätte, einzudringen. Ähnlich ist es mit dem ewigen Heiligtum, auch hier ist jeder Eintritt unmöglich gemacht, es sei denn, daß für den Sünder Jesus zuvor Sich Selbst stellvertretend geopfert hätte.
Das zweite, ebenfalls wichtige Gerät im Vorhof war das eherne Waschbecken, auch darüber hören wir noch mehr. Man ging daran vorbei auf dem Wege zum Heiligtum. Es stand also zwischen dem ehernen Altar und dem Eingang zum Heiligtum. In diesem Becken wurden die Priester bei der Priesterweihe gebadet, ehe sie die Priesterkleider empfingen. Gingen sie ins Heiligtum, um darin zu dienen, so mußten sie Hände und Füße in diesem Becken waschen, so oft sie hineingingen. Wer die Waschung unterließ, mußte sterben. Wir lernen hier die große Wahrheit: „Ohne Heiligung wird niemand den Herrn schauen“ (Heb 12,14), oder, um den Herrn selbst sprechen zu lassen: „Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8).
Die Besucher des Vorhofs. Jeder Israelit hatte hier Zutritt. Dieser Eintritt bedeutete eine große Entscheidung und hatte einen grundlegenden Wechsel zur Folge: er bekundete damit, daß er Gott leben wollte. Draußen stand er in seiner eigenen Kleidung, hier aber war er in die reine Leinwand eingehüllt. Hier fiel das unflätige Kleid eigener Gerechtigkeit, und hier durfte er nun auf Grund des für ihn gebrachten Opfers sich freudig Gott nahen (Jes 12,2; 61,10). Das alles geschah ohne sein eigenes Bemühen. In den Vorhof hatte jedermann Zutritt, das lehren uns die drei Gleichnisse in Luk. 15. Hier darf er mit dem Dichter jubeln:
Jesus nimmt die Sünder an. Saget doch dies Trostwort allen, welche von der rechten Bahn auf verkehrten Weg verfallen. Hier ist, was sie retten kann:
Jesus nimmt die Sünder an.
Hier ist der Ort, da alle, die so kommen, wie der verlorene Sohn zu seinem Vater kam, nicht nur ein neues Kleid, sondern sogar ein Festkleid erhalten und damit zubereitet und gewürdigt sind, mit dem Vater und allen Gästen am Festmahl teilzunehmen (Mt 22,11-13). Laß endlich die Feigenblätter eigener Gerechtigkeit fallen und ziehe das Kleid der Gerechtigkeit Christi an, denn dieses allein und nichts anderes gilt vor Gott. Hiob konnte sich lange vor seinen drei Freunden tapfer verteidigen; als er aber in Gottes Nähe trat, erkannte und bekannte er, der so schwer Heimgesuchte, sich schuldig und bereute seine Schuld in Staub und Asche (Hiob 42,1-6).
In diese „Vorhöfe“ lud der Psalmist seine Brüder ein (Ps 100,4). Wer keine Liebe zu Gott hat, kennt auch keine Sehnsucht nach Seinem Haus (Ps 84,2). Die Stiftshütte sollte ja nur, wie wir schon hörten, ein Schatten (Symbol) der kommenden Dinge sein. Doch wie unendlich viel größer ist die Wirklichkeit. Der gewöhnliche Israelit kam nicht weiter als in den Vorhof, wir aber dürfen heute dank des Blutes Christi ganz freimütig hinter den Vorhang, ja sogar ins Allerheiligste eintreten (Heb 10,19 ff). Der Vorhof repräsentiert den Zustand der Rechtfertigung durch den Glauben. Das Heilige stellt den Zustand derer dar, die im Glauben wachsen und zunehmen. Sie sind als vom Geist gezeugt Teilhaber der göttlichen Natur geworden. Sie haben ihr Leben in den Tod gegeben, sind mit Christo gekreuzigt, begraben und auferstanden. Laßt uns also nicht nur in den Vorhof treten, sondern, gestützt auf das einmalige Opfer unseres hochgelobten Herrn, weiter vordringen bis zum Throne Gottes, für den wir bestimmt sind. Wir wollen nichts unterlassen, dieses herrliche Ziel zu erreichen.