Abram hatte das ihm von Gott gesteckte Ziel erreicht: Er war nun im Lande Kanaan in Sichern angekommen, einer Stätte, die in der alttestamentlichen Geschichte immer wieder eine Rolle spielt (z. B. 1. Mose 33,18; 35,4; Josua 20,7; 24,32). Hier offenbarte sich Gott Seinem Knechte zum dritten Male. Die erste Offenbarung erfuhr er in Ur in Chaldäa, die zweite in Haran und nun die dritte im Lande Kanaan. Diese muß die bis dahin bedeutendste gewesen sein, denn sie führte zur Errichtung eines Altars, um Gott anzubeten. Abram gehorchte Gott, und dem Gehorsamen offenbart sich Gott (Joh 14,21) und gibt ihm Seinen Geist (Apg 5,32). Ein Gegenstück finden wir in 1Sam 3,1 aus den Tagen Elis, da waren Offenbarungen selten, und den Grund dafür finden wir in 1Sam 2,27-36.
In unserm Abschnitt sind es besonders zwei Gegenstände, die uns beschäftigen sollen, „Zelt und Altar“. Sie kennzeichnen fortan das Leben des Mannes, den die Schrift „Vater der Gläubigen“ nennt. Das Zelt zeugt von seiner Beziehung zur Welt, in der er nur ein Pilger war, und der Altar von seiner Beziehung als Anbeter zu Gott. Seiner Umgebung war er ein Fremdling, ein Verkannter, seinem Gott aber ein Auserwählter, ein Geliebter, ein Zeuge. Diese Stellung kennzeichnete späterhin vor allem unsern Herrn, der der wahre Pilger und Anbeter Gottes war. Wir, die wir Kinder Abrams genannt werden, sollen uns an ihm und vor allem an unserm Herrn ein Beispiel nehmen.
Das Zelt. Mit ihm durchzog Abram das ganze Land. Hätte sich Abram im Lande Kanaan gleich eine feste Wohnstätte errichtet, so hätte er das schöne Land kaum kennengelernt.
Ein Zelt ist der Ausdruck der Fremdlingschaft, denn Ansässige wohnen nicht in Zelten, sondern in festen Häusern. Die Bedeutung der Fremdlingschaft ist aber eine noch viel tiefergehende. Der Fremdling hat auf Erden kein Bürgerrecht (Heb 11,13). Sein Sehnen nach der wahren Heimat kann auf Erden nicht gestillt werden, sein Bürgerrecht, sein Wandel ist im Himmel (Phil 3,20). Menschen, die sich daheim fühlen in dieser Welt, kennen die innere Bedeutung von Zelt und Altar nicht. Wer sich wie später Abram wieder nach Ägypten (Welt) begibt, gibt auch den Altar auf, denn dort baute Abram keinen Altar.
Das Zelt ist auch ein Hinweis auf die spätere Stiftshütte in Israel. Sie kennzeichnete Israels Wanderungen in der Wüste; denn im Lande Kanaan baute es den Tempel.
Das Zelt erinnert vor allem an unsern Herrn, von dem geschrieben steht: „Das Wort ward Fleisch und zeltete unter uns“ (Joh 1,14).
Das Zelt ist auch ein Zeichen unserer Nichtigkeit. Paulus vergleicht unsern Leib mit einem Zelt und sagt, daß, wenn er zerstört wird, wir einen Bau von Gott haben, einen bleibenden im Himmel (2Kor 5,1).
Das Zelt bedeutet also die Pilgerschaft des Gläubigen, das Vorübergehende, Gotteskinder sind Pilger und haben hier keine bleibende Stadt, sondern suchen wie Abram die zukünftige. Sie sind wohl in dieser Welt, aber nicht mehr von ihr.
Der Altar. Abram hat, was den Altar betrifft, einen Vorläufer in Noah, der, nachdem er die Arche verlassen hatte, nicht zuerst ein Haus für sich baute, sondern einen Altar, offenbar um Gott anzubeten und für die erfahrene Rettung zu danken. War das Zelt das Symbol der Beziehung zur Welt, das uns nur notwendig an sie bindet, so ist der Altar der Ausdruck der Verbundenheit mit Gott. Im Altar ruhen die Wurzeln des Glaubens, und von dort fließen die Wasser des Lebens auf unsere Umgebung wie z. B. beim Strom Hesekiels (Kap. 47). Gott stand bei Abram fortan im Vordergrund, und der Altar war die Stätte, da er Ihm begegnete, Er und sein Reich kamen bei ihm zuerst; solche Menschen aber leiden keinen Mangel (Matth. 6,33). Hier legte Abram sein Lobopfer nieder (Hebr. 13,15) und zugleich seine Anliegen (Phil. 4,6). Hier opferte er Gott Dank, besonders dafür, daß Gott ihn aus dem Götzendienst Urs herausgeholt und zu Seinem Diener erwählt hat, ihn herausgerissen hat wie ein Brandscheit aus dem Feuer (Sach 3,2).
Am Altar hat Abram seine Hingabe an Gott immer neu bezeugt, denn wo immer er hinkam, errichtete er einen Altar. Wenn immer wir Erlebnisse mit Gott machen, erkennen wir unsere ganze Unwürdiekeit, und es folgt dann meistens tiefe Beugung. Demütigung. Zerbrochenheit, aber auch erneute innere Hingabe. Im Rückblick auf Gottes Treue bekennen wir mit Jakob: „Ich bin viel zu gering all der Barmherzigkeit und Treue“, und wie David fragen wir: „Wie soll ich dem Herrn vergelten alle Seine Wohltaten?“ (Ps 116,12). Im Blick auf die Zukunft bitten wir wie Paulus: „Ihn zu erkennen und die Kraft Seiner Auferstehung und die Gemeinschaft Seiner Leiden, indem ich Seinem Tode gleichgestaltet werde“ (Phil 3,10). Gottlob, wir haben auch einen Altar, dem wir beständig nahen dürfen, Gnade zu empfangen, wodurch allein das Herz fest wird.
Der Altar war für Abram auch der Ort des Zeugnisses. Was die Kanaaniter am Altar Abrams sahen, hatten sie nie zuvor gesehen. Viele mögen wie später die Kinder des Volkes Israel gefragt haben: „Was habt ihr da für einen Dienst?“ (2. Mose 12,26). Auch wir dürfen und müssen einen Altar haben, die Welt soll sehen, daß wir ihr und ihren Götzen den Rücken gekehrt haben und nun den lebendigen Gott anbeten und Ihm allein dienen (1Thes 1,9.10). Zum Zeugnis durch das Wort muß notwendig auch das Zeugnis durch die Tat, durch den Wandel folgen (Phil 2,15; Mt 5,16; 1. Petrus 2,11.12).
Zelt und Altar: Zwischen ihnen beiden bewegt sich das Leben eines Gotteskindes. Wenn du, lieber Leser, mit dem Schreiber des Hebräerbriefes frei sagen darfst: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Kap. 13,14), dann bist du wie Abram ein Zeltbewohner. Und wenn du verwirklichst, was Paulus in 1Tim 2,1 schreibt: „So ermahne ich nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen", dann hast du wie Abram einen Altar, dann wirst du einen Schatz im Himmel haben (Mt 19,21).