Schriften von Georg R. Brinke
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Dan 8 - Widder und ZiegenbockDan 8 - Widder und Ziegenbock
Ehe wir das 8. Kapitel näher betrachten, geben wir noch einen zusammengefaßten Überblick über
Kapitel 7 und 8. Zunächst:
Der Standort des Sehers. Zur Zeit des ersten Gesichtes stand der Prophet im Geist am Meer. (Kapitel 7, 2). Das Meer, als Bild der Völkerwelt, zeigt uns also das gewaltige Geschehen Gottes unter den Nationen bis ans Ende der Tage, und zwar so, wie die vier Ziere es darstellen.
In den Tagen des zweiten Gesichtes (Kapitel 8, 2) war Daniel am Flusse Ulai, und das wiederum im Geiste. Der Strom Ulai dürfte hier wohl ein Bild des einstigen Volkes der Wüste und des Landes der Zierde sein, das später wie ein Fluß ins Völkermeer mündete, weil Gott es seines Versagens und der Bosheit seines Herzens wegen, seines Landes und seiner Rechte entblößte. Hier nun, unter den Völkern, hat es mit seiner Art zersetzend gewirkt und mancherlei Unruhen bewirkt.
Die Sprache des Sehers. Von Anfang des zweiten Kapitels bis zum Ende des siebenten bedient sich der Prophet der aramäischen Sprache, hingegen ist das Buch von Kapitel 8 an wieder in hebräischer Sprache geschrieben. Gerade diese Tatsache zeigt, daß die Belehrungen im besondern Israel angehen. Das Land der Zierde steht in diesen Kapiteln im Vorbergrund der Interessen, obwohl wir uns der Zeit nach noch ausschließlich in der Phase der Zeiten der Nationen befinden. Man beachte, daß im 8. Kapitel Reiche genannt werden, die in direkter Beziehung zu Palästina und damit zum Volke Israel stehen. Nebenbei sei immer wieder erwähnt, daß die Bibel die Weltreiche nur vom Gesichtspunkt Israels aus sieht. Es haben doch ohne Zweifel auch andere große Weltreiche bestanden außer denen, die die Schrift mit Namen nennt, aber die Prophetie kennt nur d i e Weltreiche, die es mit Israel, während der Zeit, da es eine selbständige Nation im Lande Palästina ist, zu tun haben. Die übrigen Reiche übersieht die Schrift. Allein von diesem Gesichtspunkte aus ist der große Sprung ins Weite vom Vierten zum letzten Weltreich, bis zum Antichristus, erklärlich. Das prophetische Verständnis der Welt- und Völkergeschichte ist also nur dann möglich, wenn man erkannt hat, daß im Mittelpunkt alles Weltgeschehens Israel und seine Entwicklung nach einem von Gott festgelegten Plan stehen, der sich zur Weltgeschichte an den Nationen auswirft. Lassen wir d i e s e n Standpunkt außer acht, so ergibt sich ein arges Chaos.
Was die beiden Kapitel 7 und 8 eint. Es ist der Blick bis zum Ende der Tage. Zwei Figuren treten im besondern in das Blickfeld des Propheten:
1. Das kleine Horn. In Kapitel 7, 8 begegnen wir dem kleinen Horn, das übermütige und große Dinge redet; und in Kapitel 8, 23 treffen wir den listigen König frechen Angesichts. Beide sind ein und dieselbe Person, in welcher der ganze Fortschritt und Aufstieg o h n e Gott seine höchste Vollendung findet. Diese Person redet Worte der Lästerung wider den höchsten, wie sie wohl kaum zu irgend einer Zeit ausgesprochen wurden.
2. Der Sohn des Menschen und Sein ewiges, wunderbares Reich (Kapitel 7, 13, 14). das ist die zweite Figur und die entscheidendste, die im Blickfeld des Sehers liegt. Dieser Menschensohn ist der Höchste, den David in Psalm 45 in den erhabensten Worten besingt. Alle göttlichen und alle wahrhaft menschlichen Eigenschaften, wie sie von dem nach dem Bilde Gottes geschaffenen Menschen erwartet werden können, finden in Ihm ihre höchste Vollkommenheit. Er ist nicht nur so schön wie die Menschensöhne, sondern Er ist jener; ja noch mehr: der Schönste, der Gewaltigste, der Höchste (Psalm 45,3; Dan 7,25).
In beiden Kapiteln stehen also im Fernblickfeld des Propheten zwei
Gestalten, uns zwar dieselben, die auch in 2Thes 2 stehen, nämlich:
d e r H e r r J e s u s Christus und der Gesetzlose (2Thes 1,8).
Jener, der Christus, der Gottessohn und Menschensohn; dieser, der
Antichristus, der Sohn des Verderbens und Mensch der Sünde (
Der bevorzugte Prophet (Vers 1). Der Psalmist sagt: „Das Geheimnis Jehovas ist für die, so Ihn fürchten“ (Psalm 25,14). Das hat Daniel, der Vielgeliebte, wiederholte Male erfahren. Im dritten Jahre des Königs Belsazars erhielt Daniel diese neue Vision (zwei Jahre später, als jene in Kapitel 7), d. i. kurz vor dem Zusammenbruch des babylonischen und dem Beginn des medo-persischen Reiches. Die Vision selbst hatte Daniel in der Burg Susan, der prunkvollen Sommerresidenz der Perserkönige, fast um die Zeit, als Nehemia und Mardochai daselbst waren.
Der Widder (Vers 3, 4, 20). Daniel sah einen Widder mit zwei ungleichen Hörnern vor dem Flusse. Der Widder ist das Symbol Persiens, oft auf alten Münzen gefunden. Daniel beobachtete das Treiben des Widders und sah ihn nach Westen, Norden und Süden hin vorstoßen. Kein Tier konnte vor dem Widder bestehen; niemand rettete aus seiner Hand. Er handelte nach deinem Gutdünken, betrug sich übermütig und wurde groß. In Vers 20 wurde dem Propheten eine kurze Erklärung über den Widder gegeben. Sie war eine Weissagung, deren Erfüllung Daniel schon nach zwei Jahren erlebte. Der Widder mit den zwei Hörnern, von welchen eins höher war als das andere, sind die Könige von Medien und Persien; im Stansbild die Brust von Silber. .In Kapitel 5 und 6 haben wir bereits auf diese Könige hingewiesen. Das zweite, oder medo-persische Reich, steht wieder in enger Beziehung zu Israel; denn gleich zu Beginn dieses Reiches erhielt Juda die Freiheit zur Rückkehr nach Jerusalem. Das medo-persische Reich wurde noch größer als das babylonische. Sonst wird uns wenig über das zweite Weltreich gesagt. Esra, Nehemia und Esther erwähnen es zwar noch einige Male.
Der Ziegenbock (Verse 5-7, 21-22). In der Auslegung, Vers 21-22, wird uns gesagt, daß der Ziegenbock kein Geringerer war als Alexander der Große, der Begründer des dritten, des griechisch-mazedonischen Weltreiches, das im Standbild Nebukadnezars Bauch und Lenden von Erz darstellt. Das griechische Reich war ehedem ganz unbedeutend, aber Alexander der Große besiegte mit einer kleinen Armee das mächtige medo- persische Weltreich. Blitzschnell, wie ein Tobsüchtiger, kam er dahergerast, wie einer, dem die Galle übergelaufen war. Er kam so schnell, daß es dem Seher erschien, als berühre er kaum die Erde. Sein Weltreich wurde bald das bisher stärkste. Es erstreckte sich über Europa und über Teile von Asien und Afrika. Der junge Herrscher legte alles zu seinen Füßen. Aber kaum hatte der Ziegenbock mit seinem großen Horn gesiegt, Ruhm auf Ruhm geerntet, da zerbrach sein stolzes Horn. Alexander starb sehr früh, im Alter von 33 Jahren, am 13. Juni 323 v. Chr. Er regierte also nur von 336 bis 323. Da er ohne Thronerben war, teilten sich vier seiner Generale in das Reich.
Die vier ansehnliche Hörner (Vers 8, 22). Dem Bock ist es also ähnlich ergangen wie dem Widder. Sein Horn wurde zerbrochen und das große Reich in die vier Winde zerteilt. Nach etwa zwanzigjährigem Ringen der verschiedenen Generale gingen aus Alexanders Reich vier Reiche hervor. Sie waren:
1. Das syrisch-babylonische Reich des Seleukus (König des Nordens).
2. Das ägyptische Reich des Ptolemäus Lagi (König des Südens).
3. Das mazedonisch-griechische Reich des Kassanders.
4. Das thrazisch-bythynische Reich des Lysimachus.
Die Geschichte des vierten Weltreichs wird in diesem Kapitel nicht berührt, weil die Schrift das Hauptmerkmal auf Israels Endgeschichte hinlenken will. Nachdem das Reich Alexanders für einige Zeit von vier Generalen gehalten wurde, folgte eine Vereinigung unter dem „König frechen Angesichts“, und es gilt nun zu untersuchen, ob der König frechen Angesichts allein „Antiochus Epiphanes“ war, wie man allgemein annimmt, über, ob er nur ein Vorbild auf den kommenden Antichristus ist.
Die Entwicklung der Weltreiche geht dem Traumgesichte Nebukadnezars
folgend vom babylonischen über das medo - persische und schließlich zum
griechischen Reich. Sie übergeht dann den folgenden, bereits
geweissagten Teil, und macht hernach den jahrtausendelangen Sprung ins
Weite bis zum Ende der Zeiten der Nationen, dem Reich der Füße, resp.
der zehn Zehen von Eisen und Ton. ‑Dort endet es ausschließlich wieder
in Babylon (Off 17 und 18), in der Kapitale jenes großen Herrschers,
der nach seinem Gutdünken handeln, aber ohne Hände zerschmettert werden
wird. „Ohne Hände zerschmettert“, kann sich also nicht auf Antiochus
beziehen, das kann nur den Antichristus angehen. Lies: