Schriften von Georg R. Brinke
2. Mose 26,1-14 - Die Decken über der Stiftshütte2. Mose 26,1-14 - Die Decken über der Stiftshütte
Was immer wir in der Stiftshütte betrachten mögen, Kleines oder Großes, alles ist von symbolischer Bedeu- tung, hinweisend auf unsern geliebten Herrn, auf Sein Leben und Sterben. Niemand kann diese symbolische Auslegung als Spielerei mit leeren Worten abweisen. Das trifft auch zu bei den vier Decken oder Teppichen, die über der Stiftshütte lagen, eine über der anderen. Wir beginnen mit der obersten Decke, die für jedermann sichtbar war.
Die Decke aus Dachsfeilen. Sie war jedem Wetter, Regen, Sturm und Sonnenglut ausgesetzt und mußte also ganz wetterfest sein, um einen wirksamen Schutz zu bilden. Das war ihr einziger Zweck; Schönes war an ihr nicht zu sehen. Sie ist ein Bild unseres Herrn in Seiner Niedrigkeit, der, wie die grauen, unansehnlichen Dachsfelle, auch kein Ansehen hatte. Ging der Herr irgendwo als Unbekannter durch die Straßen, so vermutete niemand in Ihm den Messias, den Gottessohn. Niemand sah in Ihm das, was Paulus von Ihm bekennt: „Gott war in Christo“, keiner sah in Sein Inneres hinein. Im Gegenteil: „Er hatte keine Gestalt noch Schöne; wir sahen Ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte“ (Jes 53,2). Nur einer sah tiefer, der Vater. Er sagt von Ihm:
„Mein geliebter Sohn, an dem Ich all Mein Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Er sah Den in Ihm, der gesagt hat: Ich bin gekommen zu tun, Gott, Deinen Willen! (Ps 40,8). Und je vertrauter der einzelne Gläubige mit dem Herrn wird, umso mehr entdeckt er in Ihm, daß Er der Schönste, der Begehrenswerteste unter den Menschenkindern ist (Ps 45,3). Er wird dem Kinde Gottes so unentbehrlich, daß dieses in das Wort des Apostel Petrus einstimmt: „Herr, wohin sollen wir gehen? Denn Du allein hast Worte ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Joh 6,68).
Welcher Fremde konnte nur ahnen, daß sich hinter diesen rohen Dachsfellen über der Stiftshütte solche kostbare Schätze aus reinem Golde befanden, ja, daß hier sogar der Wohnort Gottes war, der über den Cherubim thront. Wer das schauen wollte, mußte unbedingt eintreten in die Hütte. Genau so ist es mit unserem Herrn. Nur wer in Ihm bleibt, wie ,Johannes sagt, kann sagen: „Wir sahen Seine Herrlichkeit“ (Joh 1,14). Die meisten sahen damals und sehen noch heute im Herrn nur das, was der Fernstehende an der Stiftshütte sah, das Unansehnliche; sie sehen in Ihm nur den Armen, den, der an den Tischen der verachteten Zöllner saß und mit ihnen aß. Den, der in den notvollen Tagen Seines Fleisches Gebet und Flehen und starkes Geschrei Gott geopfert hat (Heb. 5,7) und klagen mußte: „Wer glaubt unserer Predigt?“ (Jes 53,1).
Nach 4. Mose 4,8 dienten diese Decken auch zum Schutze der so wertvollen Gegenstände der Stiftshütte auf den Wanderungen durch die Wüste. So schützt uns unser Herr vor Schaden während unserer Pilgerreise. Er ist nicht allein unser Retter, sondern bewahrt uns nach Seiner Verheißung (Joh 17,11.12). Wir sind alle der Hitze der Trübsal, der Kälte der Lieblosigkeit, der Ungerechtigkeit, sowie den Stürmen der Verfolgung ausgesetzt, aber Er ist in allem unser Schutz. Wie unser Herr gehen wir einher in diesen rauhen Fellen, äußerlich schwarz wie die Hütten Kedars, nicht der Sünde wegen, sondern mitgenommen von den Härten des Lebens, innen aber lieblich (Hld 1,5). Wir trachten nicht nach Glanz und Ehre, sondern wir gehen gern hinaus mit Ihm außerhalb des Lagers und tragen Seine Schmach (Heb 13,13). Wie einst die Stiftshütte von dieser rauhen Decke bedeckt war, so soll heute die Gemeinde bereit sein, ebenso schlicht und unansehnlich bedeckt zu sein. In Zeiten, da sie durch Leiden und Trübsal ging und bewahrt blieb vor den Einflüssen der Welt, war sie eine Ursache der Freude, eine Ehre für ihren Herrn und fruchtbar für Ihn. Niemand war so vielen Anfechtungen und Versuchungen ausgesetzt wie unser Herr. Aber in allem blieb Er bewahrt und der stets gehorsame Diener Seines Vaters.
Die rotgefärbte Widderfelldecke (Kap. 26,14). Der Widder ist in der Schrift das Bild der Stellvertretung. Das sehen wir besonders deutlich bei der Opferung des Isaak. Als Abraham bereit war, sein Liebstes dem Herrn zu opfern, und schon nach dem Messer griff, hielt Gott ihn davon ab (1. Mose 22,13). Gott selbst stellte den Widder bereit, damit dieser an Stelle des Isaak sterbe. Das aber tat Gott uns allen gegenüber in der Dahingabe Seines Sohnes, daß Er unser Widder sei (1Pet 2,21-24; 3,18; Röm 4,25; 1Kor 5,7b; Gal 1,4). Es gibt keine zweite Wahrheit in der Schrift, die so häufig niedergeschrieben ist wie die der Stellvertretung Christi, anfangend von Seiner Verkündigung durch die Engel bis hin zu Seinem Ruf am Kreuze: „Es ist vollbracht!" Das geht sogar unendlich viel weiter zurück bis in die Ewigkeiten der Ewigkeit, denn in Off 13,8 wird der Herr das geschlachtete Lamm genannt „von vor Grundlegung der Welt her“. Was könnte uns der Herr nützen, wenn wir Ihn nur als Wundertäter, als Lehrer und Wohltäter kennten, der vor zweitausend Jahren zum Wohl der damaligen Menschheit wirkte, aber nicht Sein stellvertretendes Opfer für uns, für deine und meine Schuld gebracht, nicht Sein sühnendes Blut, für alle bußfertigen Sünder vergossen hätte, kennen dürften!
Die Decke aus Ziegenhaar (2. Mose 26,7-13). Diese Decke oder Teppich war aus elf Teilen zusammengefügt. Das weiße Ziegenhaar deutet auf den Herrn in Seiner Reinheit und Unschuld als Den, der Sünde nicht kannte, aber für uns zur Sünde gemacht wurde (4. Mose 28,22; Jes 53,4.5.10; 2Kor 5,21; Eph 2,5; Heb 9,14.26, 28; 10,10). Ziegenböcke wurden besonders oft als Sündopfer verwendet, daher mag wohl auch der bekannte Ausspruch „Sündenbock“ unserer Tage herrühren (3. Mose 9,15). Man denke nur an den großen Versöhnungstag (3. Mose 16,15). Israel war an dem Tage zur Aussöhnung vor Gott versammelt. Die Schuld mußte beglichen werden, und das geschah durch den Ziegenbock, der geschlachtet wurde. Gott selbst behandelte Seinen geliebten Sohn, wie der Priester den Bock am großen Versöhnungstage. Am Kreuz schmeckte der Herr den Tod für uns alle. Der Vater behandelte Seinen Sohn nicht anders als die zwei Verbrecher, die neben Ihm starben. Der Herr selbst wußte, daß Er der Sündlose war (Joh 8,46) und daß bald unsere Schuld Ihn erdrücken werde. Hier sehen wir, was für eine unheimliche Sache es um Sünde ist und wie der heilige Gott diese Sünde richtet. David bekennt: „An Dir allein habe ich gesündigt“, und setzt im gleichen Vers fort „auf daß Du gerechtfertigt werdest, wenn Du redest, und rein erfunden, wenn Du richtest“ (Ps 51,4). Wer gerechtfertigt sein will, muß, wie Israel, seine Hand auf den Bock legen. Er darf im Hinblick auf Jesus sagen: ich bringe den Reinen, den Heiligen, als meinen Stellvertreter. Dadurch sind wir nicht nur angenommen, sondern weit mehr, wir sind angenehm gemacht durch Ihn, den Geliebten (Eph 1,6). Wer durch Ihn nicht Vergebung gefunden hat, der wird einst jenen schrecklichen Schrei ausstoßen müssen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ (Mt 27,46).
Die weißen Ziegenhaardecken symbolisieren das, was uns in 4. Mose 23,21 gesagt wird. Gott erblickt keine Ungerechtigkeit in Jakob und sieht kein Unrecht an Israel. Denn „wenn der Ochsen und der Böcke Blut heiligt den Unreinen, wie viel mehr wird das Blut Christi unser Gewissen reinigen“ (Heb 9,13.14).
Diese Teppiche bildeten zusammen eine Decke, also genau das, was wir in Ps. 32 lesen: „Wohl dem, dessen Sünde zugedeckt ist." Aber das setzt das voraus, was auch der Psalmist tun mußte, bevor er so Gottes vergebende Gnade rühmen konnte: die Sünde bekennen. Daß dieser weiße Ziegenhaarteppich gerade unter dem roten Widderfellteppich lag, ist auch bedeutsam. Dem Blut des Widders folgt die Reinheit, durch den weißen Teppich versinnbildlicht. Da ist die Sünde für immer beseitigt (Ps 103,12; Jes 38,17; Micha 7,18.19). Sie ist von dem Sünder so weit und für alle Zeiten entfernt, wie ein Stein, den man ins Meer geworfen hat und nie mehr findet.
Der herrliche Teppich. Er war aus zehn Teilen mit goldenen Klammern zusammengeheftet und etwas kürzer als der Ziegenhaarteppich. Dieser herrliche Teppich bedeckte unmittelbar das Innere des Heiligtums. Wie man von außen her nur die Dachsfelldecke sah, so sah man von innen nur diesen herrlichen Teppich. Er leuchtete in den bekannten vier Farben (2. Mose 26,1.6). Der Grundstoff war Leinen, hergestellt aus Flachs, also aus der Erde gewachsen, und rein weiß (vergl. Heb 7,26). Blau die Farbe des Himmels, Purpur die Königsfarbe und karmesinrot die Farbe des Blutes. In den Teppich selbst waren Cherubim in Goldwirkerarbeit eingestickt, ein Kunstwerk, das den höchsten geschaffenen Wesen gerecht werden sollte. Wir begegnen oft den Cherubim als den Engeln, die den Thron Gottes unmittelbar umgeben. Die Priester, die im Heiligtum dem Herrn dienten, taten dies wie unter ausgebreiteten Flügeln (
Ps. 17,8; 36,8; 57,2; 61,5; 63,8; 91,4 ). Hier tun wir einen Blick in den Himmel, denn es sind, wie wir mehrmals hörten, all diese Dinge Abbilder aus der Herrlichkeit droben.
Unter diesem Teppich leuchtete das herrliche Licht des goldenen Leuchters, hier roch man den lieblichen Geruch des Weihrauchs vom goldenen Altar, und hier pflegten die Priester um den Tisch Gemeinschaft untereinander. Da kann man auch sagen, wie Petrus auf dem Berge der Verklärung: „Hier ist's gut sein.“ Das alles waren Segnungen, aber nur für die, die drinnen waren. Die, die nicht in Ihm bleiben (vergl. Joh 15,5), wissen nichts von all der verborgenen Herrlichkeit und dem Genuß Seiner Gegenwart. Kein Wunder, daß der Priester gern hier stand und Anbetung darbrachte und daran dachte, daß auch er einst verloren und nun zu solchen Segnungen gelangt war.