In diesem Kapitel finden wir die Familie Jakob in Sichem. Wir wissen aber schon, daß Gott Jakob nach Bethel berufen hatte. Sein Aufenthalt in Sukkoth und Sichern muß von längerer Dauer gewesen sein. Bethel und das damit verbundene Gelübde scheint Jakob wieder vergessen zu haben. Doch, wenn auch Jakob auf halbem Wege stehen blieb, so ließ doch Gott ihn nicht aus dem Auge. Der Gott Bethels verfolgt die Schritte seines Knechtes Tag für Tag. Er ist langmütig und führt dabei doch das angefangene Werk zu Seinem Ziele. Jakob hatte seinen Entschluß, in Sichern zu bleiben, nur der günstigen Lage dieser Gegend wegen gefaßt. Menschlich gesprochen kann man es auch verstehen, denn welcher Bauer sollte nicht günstige Futterverhältnisse für sein Vieh schätzen? Doch was für den äußeren Menschen vorteilhaft ist, ist noch lange nicht gut für sein inneres Leben. Das beweist sehr eindringlich Lots Geschichte. Mancherorts sind wir schädlichen Einflüssen ausgesetzt (1. Mose 13). Als Gotteskinder sollten wir uns zuerst fragen, ob uns auch Gelegenheit zur Gemeinschaft gegeben wird. Heute meinen manche, daß der Rundfunkgottesdienst uns genüge, um das Wort zu hören. Aber bietet er uns etwa Gemeinschaft und handeln wir so nach Gottes Befehl? (Heb 10,24.25.) Ein Bruder, der seinen Wohnsitz wechselte, erzählte mir, wie vorteilhaft das für ihn sei, da er dort sehr günstig ein Haus erworben habe. Ich fragte ihn, ob dort auch eine Gemeinde und eine Sonntagsschule für seine Kinder seien. Er mußte aber gestehen, daß er sich darüber nicht erkundigt habe. Gottes Wort setzt das Reich Gottes an die erste Stelle. Man macht es wie Jakob, man schaut nur auf die materiellen Vorteile, aber nicht auf das Wohl der Seele. Auf Jakob blickend, müssen wir uns fragen: Ist das derselbe Mann, der zuvor bezeugte: „Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen“?
Im neuen Lande. Dina, die einzige Tochter Jakobs, wollte gewiß das neue Land kennenlernen. Sie hatte keine Schwestern, so wird sie sich nach ihresgleichen gesehnt haben. Vielleicht war ein Volksfest am Ort, und sie wollte also dort Land und Leute, Sitten und Gebräuche kennenlernen. Neugierde mag sie also dahin gezogen haben, möglicherweise machte sie sich sogar ohne elterliche Erlaubnis auf den Weg. Die Hewiter nahmen den Neuankömmling freundlich auf. Dina vergaß, daß böse Gesellschaft gute Sitten verdirbt (l. Kor. 15,33). Viele Frauen übersehen den guten Rat in Titus 2,5, sich mit häuslichen Arbeiten zu beschäftigen und keusch und gütig zu sein. Dina, die offenbar sehr schön war, gefiel bald Sichem, dem Sohne Hemors, des Stammesfürsten. Bald aber geriet sie in dieselbe Gefahr wie einst ihre Urgroßmutter Sara und ihre Großmutter Rebekka in Ägypten und Gerar. Dina gefiel dem jungen Manne, doch hier fand kein göttliches Eingreifen statt wie bei Sara oder Rebekka. Unsere Bewahrung ist wohl meistens göttlichem Eingreifen zuzuschreiben und nicht unserm scheinbar guten Charakter. In ihrem Umherschweifen hatte sich Dina großer Gefahr ausgesetzt. Die Motte, die um die offene Flamme fliegt, verbrennt sich die Flügel und flattert nachher hilflos am Boden herum. Bald kam es zwischen Dina und Sichern zu einer Liebelei und in der Folge zur Sünde. Dinas Fall sollte allen jungen Mädchen zur ernsten Warnung dienen. Die Welt zieht die Jugend an und verstrickt sie in Sünde, ohne daß diese an Sünde zu denken geneigt ist. Viele junge Mädchen aus christlichen Häusern meinen, überall dabei sein zu müssen. Auf Warnungen reden sie sich damit aus, daß sie wohl wüßten, wie weit sie gehen dürfen. Doch hinter solchen Behauptungen verstecken sie nur ihre innere Sehnsucht nach der Welt und ihrer Lust. Die Schrift aber befiehlt: „Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist“ (l. Joh 2,5). Dina wird die verlockende Welt, die sie bis dahin kaum kannte, mit verlangendem Blick angeschaut haben. Aber was war das Ende? Ein bedauerlicher Sündenfall, der die ganze, Gott geheiligte Familie in Schmach brachte, und worunter bald ein ganzes Dorf litt.
Erschütternde Nachricht. Bald erfuhr der Vater die böse Tat der Dina (Vers 5). Wir lesen: „Und Jakob schwieg." Warum hat er wohl geschwiegen? Gewiß hat er an seinen eigenen Ungehorsam gedacht und nicht nur an Dina, die ebenso an unerlaubte Orte gegangen war wie Jakob selbst, der ja nicht an dem Orte war, den Gott ihm zugewiesen hatte, in Bethel. In Bethel hätte Dina einen Sichem nicht kennengelernt und wäre der Versuchung, die von diesem ausging, nicht erlegen. Dina als die einzige Tochter unter 13 Geschwistern war gewiß besonders von Eltern und Brüdern geliebt und wohl auch verwöhnt worden. Welch Herzeleid Dinas Sünde ins Haus brachte, zeigt noch besonders das nächste Kapitel. Der Kinder Sünde ist der Eltern Herzeleid. Daß Jakob zu ihrem Falle schwieg, bedeutet nicht etwa, daß er den Fall leicht nahm. Es mag ihm ähnlich ergangen sein wie später Aaron; als dessen beide Söhne vom Herrn getötet wurden, lesen wir auch „. . . und Aaron schwieg“ (3. Mose 10,3). Jakobs Schweigen war in jedem Falle besser als das Heucheln seiner Söhne. Das Geschrei über die Sünden anderer verdirbt mehr als das Schweigen. Das Dreinschlagen der Söhne Jakobs vervielfältigte nur die Sünde. Wir wollen von Jakobs Schweigen lernen. Es erinnert uns an Johannes 8,1-11. Ungeistliche Elemente wie Jakobs Söhne sind gewiß nicht zum Richten berechtigt (Gal 6,1).