Schriften von Georg R. Brinke
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Dan 7 - Rekapitulation Dan 7Dan 7 - Rekapitulation Dan 7
Wollte man eine kurze Zusammenfassung der Verse 1-8 geben, so dürfte man etwa folgendes sagen: Die vier Winde, die geistliche Mächte darstellen (vergleiche Daniel 10 mit Epheser 2,2; 6,11-12), richten unter den Völkern mit Gottes Zulassung eine unbeschreibliche Bewegung an, und betören die führenden Männer, ungefähr in der Weise, wie jene drei unreinen Geister in Offenbarung 16,13 die Könige der Erde betrügen. Belogen und verhaßt erhebt sich dann ein Volk wider das andere, wie es der Herr in Mt 24,7-8 vorausgesagt hat. Und als Resultat dieses Ringens bilden sich vier große Reiche heraus, die uns unter dem Symbol des Löwen, Bären, Pardel und dem vierten, dem schrecklichen Tier, vor Augen geführt werden. Sie stehen nebeneinander, jedes von ihnen trachtet nach der Weltherrschaft. Das vierte Reich, für das Daniel keinen Namen fand, besteht zunächst neben den andern drei Reichen; bald aber entfaltet es seine besondere Macht. Zehn Könige herrschen in diesem vierten Reich. Plötzlich taucht ein elfter König auf; erst klein, unscheinbar, wird aber in kurzer Zeit stark; beseitigt drei der zehn Könige und reißt alle Macht an sich, sowohl sie politische als auch die religiöse. Zunächst wird er einen großartigen Frieden unter den Völkern schaffen, ja, selbst die dann gehaßten Juden für sich gewinnen und einen besonderen Garantiepakt mit ihnen abschließen. Dieser mächtige elfte König erhält aber eines Tages eine tödliche Wunde (Off 13,3- wird also umgebracht), und das bedeutet das Ende seiner menschlichen Macht. Dieser elfte König war das, noch nicht als solches geoffenbarte schreckliche Tier, und fuhr nach seinem Tode in den Abgrund; von dannen es wieder entsteigt (Off b. 17, 8). Nun gibt Satan ihm seine ganze Macht und seinen Thron. Das Angebot der ganzen Welt (Mt 4,8-9), das damals der Herr energisch ausschlug, nimmt nun das Tier, der Schein - Christus, an. In diesem, von Satan beherrschten Tier, sind dann alle bösen Eigenschaften der andern Tiere: Löwe, Bär und Pardel und der zehn Häupter vereint. Wer kann sich heute ausdenken, was für ein unmoralischer Riese jenes Tier sein wird!
Daniel sah im vierten Tier nur das äußerste Maß der Bosheit eines gewöhnlichen Menschen; Johannes aber enthüllt uns das Tier als ein satanisches Wesen, als eines, das dem Abgrund entstieg, in den es zuvor gegangen war. Zum Regierungssitz wird sich das Tier Babylon wählen, die Quelle aller Unreinigkeit und Greuel.
Hier wird der uralte geistige Kampf zwischen Jerusalem und Babylon seinen endgültigen Abschluß, mit der totalen Vernichtung Babylons finden. Zwei Zeugen Gottes werden im Mittelpunkt jener Tage stehen, die uns in Off 11 beschrieben sind. Wir halten also unsere Augen gegen den nahen Orient hin offen; in dieser Richtung bereiten sich die endgeschichtlichen Ereignisse vor. Möglicherweise wird die Gemeinde selbst von den vorbereitenden Dingen nicht viel sehen, da sie sich erst nach der Entrückung der Gemeinde entwickeln werden.
Die übliche Auslegung von Kapitel 7 (Dan 7,4)
Wir sahen soeben, daß die Schrift die Völkerwelt mit einem brausenden Meer vergleicht. Dies sagt übrigens der Herr selbst: „Auf der Erde Bedrängnis der Nationen in Ratlosigkeit, bei brausendem Meer und Wasserwogen“ (Lk 21,25). In Psalm 65,7 lesen wir: „der da stillt das Brausen der Meere, das Brausen ihrer Wellen und das Getümmel der Völkerschaften.“ Und in Off 17,15 heißt es: „Die Wasser, die du sahest, wo die Hure sitzt sind Völker, Völkerschaften, Nationen und Sprachen.“ Trotz all den sittlichen Hebungsversuchen, von denen die einzelnen Völker reden, sind sie nach der Schrift, und wie überdies auch aus der Geschichte zu entnehmen ist, nichts anderes, als grausame Raubtiere, die einander zerfleischen. Sie gleichen dem tückischen Meer, das seine Beute erbarmungslos verschlingt. Selbst ein Blick auf die Banner der Völker ist bezeichnend und läßt uns ihre vorherrschenden tierischen Instinkte erkennen. Löwe, Bär, Parder und Adler reden von ungebändigter Natur, von Raub- und Mordlust. Die christlichen Kirchen mühen sich bedauerlicherweise mit ergebnislosen Zähmungsversuchen ab; da es nach der Schrift aber keine christlichen V ö I k e r gibt, sondern nur die G e m e i n d e, bestehend aus den wahrhaft Gläubigen aller Nationen, so ist es nutzlos, die Völker nach altem Muster christianisieren, anstatt evangelisieren zu wollen.
Laßt uns nun die vier Tiere, die nach Vers 17 „Könige“ (Luther sagte: Reiche) sind, näher betrachten. Wir schließen uns zunächst, so kurz gefaßt als möglich, an die übliche Auslegung an, wie wir sie in den meisten Kommentaren finden. Alsdann wollen wir diese vier Könige nicht im Lichte als schon e r f ü I I t e r, sondern als n o c h z u e r f ü l l e n d e r Weissagung betrachten. Der denkende Leser bilde sich dann selbst ein Urteil darüber, ob wir es bei den vier Königen mit Personen der Vergangenheit oder der Zukunft zu tun haben.
Das erste Tier war gleich einem Löwen. Man sagt, es sei jenes neubabylonische Reich, das von 612‑538 v. Chr. währte; dargestellt in Kapitel 2 durch das „goldene Haupt“. Das babyIonische Reich ist also der „Löwe mit den Adlerflügeln“. Was das Gold unter den verschiedenen Metallen ist, ist der Löwe unter den Tieren. Nicht umsonst wird er der König der Tiere, wie der Adler der König der Lüfte genannt. Löwenkraft und Adlersgeschwindigkeit charakterisierten das erste Weltreich, welches Nebukadnezar als Erbe von seinem Vater, dem Begründer des Reiches, übernommen hatte. Daniel sah, daß dem Löwen die Adlerflügel ausgerissen wurden. Das ist offenbar in Kapitel 4 geschehen, als Nebukadnezar von Gott gedemütigt wurde und sieben Jahre lang bei den wilden Tieren des Feldes war. Dort wurde dem Löwen ein menschliches Herz gegeben; man lese das ergreifende Bekenntnis in Kapitel 4, 31-34. Nebukadnezar hat ein neues Herz erhalten und anstatt wie früher, sich zu rühmen und zu brüsten, lobt er Gott. Nebukadnezar ist durch tiefe Gerichte wiederhergestellt worden; denn Wiederherstellung ist stets Gottes Gedanke in zeitlichen Gerichten. Wie die Löwenstärke Babylons sich aus wirkte, besagt die Geschichte dieses mächtigen Reiches deutlich genug. Der stolze Pharao Ägyptens wurde gedemütigt; Ninive in Asche gelegt; auch Jerusalem lag in Trümmern; und viele andere Reiche wurden bezwungen. Trefflich ist also das Symbol vom geflügelten Löwen gewählt. Doch dieses gewaltige Reich wurde im Jahre 538 besiegt.
Das zweite Tier glich einem Bären. Babylon, der stolze Löwe, hatte nur eine verhältnismäßig kurze Lebensdauer. Nach noch nicht siebzig Jahren fand die babylonische Herrlichkeit im dritten Regierungsjahre Belsazars durch seinen plötzlichen Tod (Kapitel 5, 30) ein schnelles Ende! Mit der schweren Bärentatze hat König Darius, der Meder, den Löwen (Babylon) gleichsam erdrückt. Der plumpe Bär, wenn auch weniger geschmeidig als sein Vorgänger, hatte genau die gleiche Raubtierart. Der „Bär“ stellt das zweite Weltreich, „die Brust von Silber“, oder den „Widder“ mit den zwei ungleichen Hörnern (Kap. 8, 20) dar; also das medo - persische Reich, das sich durch großen Machthunger auszeichnete. Und dem Befehl: „Friß viel Fleisch“ zufolge wird Quantum und Art seiner Ration angedeutet.
Neben Darius, dem Meder, regierte auch Kores, der Perser, und es ist höchst beachtenswert, daß Kores, auch Cyrus genannt, zu jenen sieben Männern der Schrift gehört, deren Name vor ihrer Geburt bestimmt wurde (Jes 44,28; 45,1). Bei Kores war das 100 Jahre vor seiner Geburt der Fall. Gott nennt ihn seinen „Gesalbten“ und „Hirten“. Mögen Worte wie Jes 45,1-4, Kores bekannt gewesen sein? Hat wohl Daniel seinen König darauf aufmerksam gemacht? Und doch wurde auch dieses zweite mächtige Reich nicht viel älter als das babylonische. Es währte von 538-333 v. Chr.
Das dritte Tier glich einem Parder. Er hatte vier Flügel wie ein Vogel und vier Köpfe. Der „Parder“ stellt das dritte Weltreich das griechische, dar ‑, den „ kupfernen Bauch“ und die „Lenden“ des Standbildes Nebukadnezars, oder den „,Ziegenbock“ mit dem großen Horn (Kapitel 8). Der Begründer dieses Weltreiches war Alexander der Große, der Sohn des griechischen Königs Philipp. Nie zuvor hatte ein König einen derartigen Siegeszug erlebt. Wenn in neuester Zeit der Ausdruck „Blitzkrieg“ geprägt wurde, so darf man ihn mit Fug und Recht schon auf Alexander anwenden, denn in knapp drei Jahren legte er, als 25 jähriger junger Herrscher, die ganze Welt zu seinen Füßen.
Das Tier hatte vier Köpfe, es war also geteilt in seinen Entschlüssen; das Einheitliche fehlte ihm; denn nach dem Tode Alexanders wurde das Reich unter seine vier fähigsten Generale aufgeteilt.
Das vierte Tier hat keinen Namen (Verse 7-9). Daniel konnte für das schreckliche Tier keinen Namen finden, weil seinesgleichen in dei ganzen Tierwelt nicht zu finden ist. Daniel sagt: „Es war schrecklich und furchtbar und war sehr stark. Es hatte große, eiserne Zähne; es fraß und zermalmte was übrig blieb, zertrat es mit seinen Füßen und hatte zehn Hörner.“ Wenn auch die andern Tiere, z. B. der Löwe Adlersflügel und der Parder vier Köpfe und vier Flügel hatte, so war trotzdem die Art des Tieres erkennbar, dagegen war das beim vierten Tier nicht der Fall. Daher ist es namenlos. Nicht nur Daniel, nein, auch Johannes, der dasselbe Tier aus dem Meer aufsteigen sah, erschrak über dieses beispiellose Ungeheuer. Da dieses Tier namenlos ist und auch kein direkter Name eines Weltreichs in Verbindung mit ihm angegeben ist, wie das bei den drei vorhergehenden der Fall war, so steigt die Frage auf: wen dieses Tier darstelle, resp. welches Reich? Die allgemeine Antwort lautet: es ist das „römische Reich“. Das starke eiserne Reich, mit seinen „zwei Beinen“, bestehend aus dem Ost- und Weströmischen Reich. Die „zehn Hörner“ des Tieres korrespondieren mit den „zehn Zehen“ des Standbildes und stellen zehn Königreiche dar, die unter einer starken Führung stehen. Aber alle zehn Reiche sind vom gleichen Geiste inspiriert, nämlich von dem Geist des Tieres, das aus dem Abgrund hervorkommt. Man hat oft versucht, die zehn Hörner zu identifizieren, aber das ist nutzlos -, es ist eher Spekulation als Schriftauslegung.
Das kleine Horn (Verse 8, 24, 25). Während Daniel das entsetzliche Tier mit seinen zehn Hörnern betrachtete, sah er, wie plötzlich zwischen den zehn Hörnern noch ein kleines, elftes Horn herauswuchs. Es wuchs schnell und wurde immer mächtiger, bis es plötzlich drei der zehn Hörner ausbrach und die Herrschaft bekam. Daniel bestaunte die Menschenaugen des kleinen Horns und seinen schrecklichen Mund, der nur Lästerworte redete. Während der Herrschaft des vierten Weltreiches wird also plötzlich ein neues Reich entstehen, vielmehr eine neue Führung, unter dem kleinen Horn. Daniel, den dieses kleine Horn stark beschäftigte, sehnte sich nach einer näheren Erklärung, die ihm auch gegeben wurde (Vers 15 f.). Was den Propheten besonders ängstigte, war, daß das kleine Horn Macht über die Heiligen bekam. Unter diesen Heiligen konnte sich Daniel keine andern Gläubigen, als die aus Israel vorstellen, die eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit, d. h. 1260 Tage, vom kleinen Horn gequält und schließlich zum Teil umgebracht werden sollten. Das wird also in den 31/2 Jahren der großen Trübsal geschehen, bis der Herr aus dem Himmel hernieder kommt und der Herrschaft des kleinen Horns ein Ende bereiten wird.