Das 1. Buch Mose wird das Buch der Anfänge genannt (Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung, nennen wir das Buch der Abschlüsse Gottes.). Drei große Anfänge von historischer Bedeutung im Handeln Gottes mit den Menschen teilt es uns mit: Mit Adam beginnt die menschliche Geschichte überhaupt. Diese Epoche umfaßt eine Zeitdauer von ca. 1650 Jahren und endet mit der Sintflut. Den zweiten Neuanfang macht Gott, indem er mit Noah einen Bund schließt. Noah war im schroffen Gegensatz zur Mitwelt ein frommer Mann und ohne Tadel und führte ein göttliches Leben unter seinen Zeitgenossen (1. Mose 6,9). In dem Bunde mit Noah lag ein besonderer Segensspruch über Sem. Auch dieses Geschlecht versagte und endete in der Katastrophe von Babel (1. Mose 11), da Gott eingriff und dem hochmütigen Treiben durch die Zerstörung des Turmbaues ein Ende bereitete und die Sprache der Menschen verwirrte. Mit 1. Mose 12 beginnt die dritte und letzte Phase dieses Buches, sie wird eingeleitet durch die Berufung Abrahams. Die überragende Bedeutung dieses dritten Zeitabschnittes kommt schon darin zum Ausdruck, daß die zwei vorangehenden Zeitalter, die etwa insgesamt 2000 Jahre umfassen, nur 11 Kapitel beanspruchen, während der nur etwa 400 Jahre dauernde dritte Zeitraum in 39 Kapiteln beschrieben wird. Hier wird unsere Aufmerksamkeit auf die Familie Abrams gelenkt, die Gott für Seine besonderen Zwecke sich auserwählte. Mit Abram öffnet also die Schrift einen neuen höchst bedeutungsvollen Abschnitt in der Geschichte der ganzen Menschheit. Die Folgen seiner Berufung und seines Gehorsams, aus Ur auszuziehen, sind epochemachend und beeinflussen alle späteren Generationen. Und dies durch einen Mann einfachster Art, der sich aber restlos Gott zur Verfügung stellte.
Abrams Herkunft. Abram entstammt dem Geschlecht Sems, einem der drei Söhne Noahs, mit dem er noch lange Zeit zusammen lebte. Der Vater Abrams hieß Tharah, sein Großvater war Nahor. In Ur in Chaldäa, westlich vom Euphrat brachte er seine Jugendzeit zu. Ausgrabungen der neuesten Zeit lassen auf eine verhältnismäßig hohe
Kulturstufe der Bewohner dieses Landes zu jener Zeit schließen. Reicher Handel und Schiffahrt bildeten die wirtschaftliche Grundlage dazu. Das Geschlecht, aus dem Abram hervorging, dürfte Viehzucht getrieben haben, denn wir erfahren aus der späteren Geschichte, daß Abram Besitzer großer Herden war. Die göttliche Absicht mit dem Geschlecht Sems hatte man bald vergessen. Zu allen anderen bis dahin verübten Sünden der Menschen kam nun noch der Götzendienst hinzu. Abrams Verwandtschaft diente den Götzen (Josua 24,2). Wollte Gott Seine Pläne mit Abram und seinen Nachkommen durchführen, so mußte Er ihn aus dieser Umgebung herauslösen.
Gottes Ruf an Abram. Nach einer Gegenüberstellung von 1. Mose 12,1 und Apg 7,2 geht hervor, daß ein zweimaliger Ruf Gottes an Abram ergangen ist. Den ersten Ruf erhielt er, als er noch in Ur in Chaldäa wohnte, ehe er nach Haran zog (Apg 7,2), wie Stephanus bezeugt: „Der Gott der Herrlichkeit erschien unserm Vater Abraham, als er in Mesopotamien war, ehe er in Haran wohnte.“
Beachten wir, wo Abram berufen wurde. In Ur, einer Stadt am persischen Golf. Das war eine Stadt, in der sich das geistige und religiöse Leben der Chaldäer konzentrierte. Eine Stadt, die den Menschen alles Irdische in großer Fülle bot.
Gott ruft oft Menschen aus Reichtum, Bequemlichkeit und Ansehen heraus, z. B. einen Levi oder Zachäus, die aber gern bereit waren, alles diesem Ruf zu opfern, und die dadurch gesegnete Menschen wurden, im Gegensatz zum reichen Jüngling, der seinen Reichtum dem Herrn vorzug und traurig davonging (Lk 5,25; 19,2).
Gott rief Abram in vorgerücktem Alter. Er war 75 Jahre alt, befand sich also in einem Alter, da man nicht mehr auswanderungslustig ist, sondern lieber auf seiner Scholle bleibt. Es waren daher nicht Abenteuerlust, Armut oder Not, die ihn zur Auswanderung bewogen, sondern allein der Ruf Gottes, die göttliche Gnadenwahl (Neh 9,7).
Dieser Ruf fordert von vielen Menschen bedeutende Opfer (Mk 10,29.30). Abram war bereit, sie zu bringen. Nie haben Sünder von sich aus alles darangegeben, sondern indem sie die göttliche Wahl erkannten, verließen sie alles (2Tim 1,9; Joh 6,44). Abram lebte in einer götzendienerischen Umgebung, und aus dieser rief Gott ihn heraus. Die Gnade schaut ja nicht nach Würdigkeit aus. Die ist nirgends zu finden. Sondern sie ruft Sünder (Mt 10,31).
Wie erging Gottes Ruf an Abram? Nach dem Zeugnis des Stephanus erschien „der Gott der Herrlichkeit“ dem Abram. Diese Herrlichkeit überstrahlte alle chaldäische Kultur und ihren Glanz. Diese Offenbarung leuchtete nicht nur in Abrams Leben, sondern sie wird ihn auch überführt haben von seiner eigenen Nichtigkeit, wie Gott das später bei Männern wie Jesaja und Hiob tat (Jes 6; Hiob 42). Sie war entscheidend für sein ganzes weiteres Leben. übrigens offenbarte sich Gott öfters in einer Art von Herrlichkeitskundgebungen. Man denke an den brennenden Dornbusch, in dem Gott sich Mose offenbarte und ihn berief (2. Mose 3). Ähnliches geschah bei der Gesetzgebung am Sinai und bei der Einweihung der Stiftshütte und des Tempels. Diese göttlichen Herrlichkeitserscheinungen wurden weit übertroffen, als der Herr Jesus geboren wurde (Lk 2). Nicht weniger eindrucksvoll offenbarte Gott sich in Seiner Herrlichkeit an Pfingsten und später vor Saulus auf dessen Wege nach Damaskus.
Und schließlich: Gottes Ruf ergeht auch an dich und an mich. Nachdem der Herr auf Erden erschienen ist und Sein Gnadenwerk vollbracht hat, bedarf es solcher besonderen Erscheinungen nicht mehr. Wir stehen ja auf dem Boden vollendeter Tatsachen und Verheißungen. Er offenbart sich weniger als Gott der Herrlichkeit, vielmehr aber als Gott aller Gnade (1Pet 5,10). Die bedeutsamsten Zeichen Seiner Herrlichkeit für uns sind das Kreuz von Golgatha und Seine Auferstehung. In Seiner Liebe, Gnade und Huld ruft Er noch heute alle zu sich (Mt 11,28.29). Keiner kommt an Jesus und Seinem Kreuz vorbei. Hier müssen alle sinnend stehen bleiben, Ihm gegenüber gibt es keine Neutralität. Und wer wie Abram zu den Gerechten gehören will, dem ist das nur möglich durch den Glauben und die Befolgung des göttlichen Rufes: Gehe aus . . . in ein Land, das Ich dir zeigen will.