Schriften von Georg R. Brinke
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Dan 7,7 - Die vier TiereDan 7,7 - Die vier Tiere
Im vorhergehenden gaben wir einen Überblick über die vier Tiere im Lichte der bekannten Auslegungen. Allgemein wird ja angenommen, daß die Kapitel 2 und 7 ein und dieselben Weltreiche darstellen, nur von zwei verschiedenen Seiten ausgesehen. So soll z. B. Nebukadnezar in seinem Traum mehr die rein äußere Seite, das blendend Schöne, das Großartige, das in die Augenfallende der Weltreiche beachtet haben; Daniel dagegen soll nach dieser Auffassung die brutale Wirklichkeit, den schrecklichen Hintergrund gesehen haben und darob erschrocken sein. Es ist gewiß Tatsache, daß eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Kapiteln besteht, und zwar zwischen den Füßen und den zehn Zehen des zweiten Kapitels und den zehn Hörnern des siebten Kapitels. Beide reden ausschließlich von der Endzeit. Also nur hierin haben die zwei Gesichte, wie wir glauben, etwas Gemeinsames; im übrigen aber sind sie grundverschieden. Wir haben in den Gesichten Daniels nicht eine Wiederholung, sondern eine Fortsetzung der Weissagungen; und so ist Kapitel 7 eine Erweiterung von Kapitel 2, 44 und wir lernen daraus, was stattfinden wird, kurz bevor der Stein ins Rollen kommt, um das ganze Gebilde zu zermalmen. Die vier Tiere in Daniel 7 setzen also den letzten Teil der Weltherrschaft fort und sie werden zur gleichen Zeit bestehen.
Beachten wir folgende Tatsachen. Sie sollen uns Beweise liefern, daß Kapitel 7 nur zukünftig sein kann.
1. Die Weltreiche in Kapitel 2 lösen einander ab; eins folgt dem andern, eins vernichtet das andere und tritt mit Erweiterung an die Stelle des vorhergegangenen. Die vier Tiere in Kapitel 7 aber tauchen zur gleichen Z e i t auf. Daniel sieht sie kommen, so wie Pharao die sieben Kühe aus dem Strom steigen sah. Die vier Tiere kommen wie aus einem gewaltigen Sturm heraus.
2. Die vier Winde, welche die Einleitung bilden, gehören gewiß nicht der Vergangenheit an; denn Johannes sieht ja vier Engel, denen geboten wird, die vier Winde zurückzuhalten. Die Handlung in Offenbarung 7 gehört der Zukunft an. So müssen also die vier Tiere erst kommen, wenn die Winde frei sein werden, so wie Daniel sie über das Meer wehen sieht.
3. Wichtig ist auch der Zeitpunkt, da Daniel d i e Vision hatte. Es war im ersten Jahre Be1sazars. Zur Zeit der Vision aber lebte das goldene Haupt (Nebukadnezar) nicht mehr, folglich hätte Daniel nur drei Tiere sehen sollen, wenn die Visionen in Kapitel 2 und 7 ein und dieselben sind. dann wäre eine neue Vision überflüssig gewesen.
4. Auch die Zahl der Reiche beider Kapitel ist verschieden. In Kapitel 7, 17 heißt es: „Es sind der Reiche vier", aber wir sahen in Kapitel 2, daß es nicht vier Reiche, sondern f ii n f sind, nämlich:
Das Babylonische,
Das Medo-Persische,
Das Griechische,
Das Römische,
Das Reich des Tieres.
Zudem wird in Vers 17 gesagt, daß die Tiere aufstehen werden; so gehörten sie also in den Tagen Daniels der Zukunft an. Das erste Reich war aber, wie wir schon sahen, bereits am Ende.
5. Ferner ist beachtenswert, daß die Weltreiche in Kapitel 2 eins nach dem andern verschwunden sind, die vier Tiere in Kapitel 7 aber bleiben bis zum Ende. Alle vier Tiere leben, bis baß Throne aufgestellt werden. Alle vier Tiere sind also noch da, wenn der Herr die Völker richten wird (Verse 9-18; Mt 25). Es wird den Tieren Verlängerung des Lebens gewährt (Vers 12), bis daß das vierte Tier mit Feuer verzehrt wird. Das ist aber nicht in der Vergangenheit geschehen, sondern muß sich noch erfüllen (Off 17 und 18).
6. Nach Vers 15 ist Daniel darüber betrübt, daß; er die Vision nicht verstehen konnte. Somit kann es sich in Kapitel 7 nicht gleichzeitig um das Standbild Nebukadnezars handeln; denn damals war Daniel der Auslegende, der, welcher Nebukadnezar zum Staunen brachte. Aus allem ersehen wir, daß es schwer zu beweisen ist, daß die beiden Visionen in Daniel 2 und 7 zusammengehören. Vielmehr geht aus dem Ganzen hervor, daß Daniel 7 die Fortsetzung von Kapitel 2 ist.
Ein nochmaliger Überblick über die ersten drei Tiere.
1. Der geflügelte Löwe. „Das erste Tier war gleich einem Löwen und hatte Adlersflügel; ich schaute, bis seine Flügel ausgerissen wurden, und es von der Erde aufgehoben und wie ein Mensch auf seine Füße gestellt und ihm eines Menschen Herz gegeben wurde“ (Vers 4). Der hier gemeinte König wird stark sein wie ein Löwe und schnell wie der Adler im Flug. Ob bei den „Adlersflügeln“ nicht gar schon an unsere moderne Flugwaffe gedacht war? ‑ In unserm Text werden dem Löwen die Flügel ausgerissen. Er erlebt also eine starke Demütigung. Daß ihm ein menschliches Herz gegeben wird, weist auf eine gewisse Sinnesänderung des Königs, resp‑ seines Reiches hin. Er wird offenbar wieder menschliche Methoden annehmen und die Raubgier aufgeben. Eine Rückkehr zur Vernunft und vielleicht eine Art Abrüstung, wie man sie nach dem Weltkrieg 1914-1918 durchzuführen meinte, wird einsetzen.
2. Der plumpe Bär. „Und siehe, ein anderes, zweites Tier, gleich einem Bären“ (Vers 5). Er hat drei Rippen im Maul und frißt viel Fleisch. Der hier im Bilde gesehene Herrscher dehnt sein Reich also weiter aus, aber ohne zum ersehnten Ziel, zur Weltherrschaft zu gelangen, wie dies später das vierte Tier vermag. Vieles und sehr Verschiedenes ist über die drei Rippen geschrieben. Das zeigt nur zu deutlich, wie sehr man auf Vermutungen angewiesen ist, wenn man die Vision anders deutet als die Schrift selbst sie meint. Die Schrift gibt keine Auslegung der drei Rippen, und so wollen wir auch keine suchen.
3. Der schön gefleckte schleichende Parder. Diese falsche Katze sieht so harmlos schlafend hinter dem Gitter aus, aber blitzschnell sitz sie ihrem Opfer auf dem Nacken, wenn die Raublust freie Bahn hat. Daniel sah den Parder mit vier Köpfen und vier Flügeln, ein Bild höchster Entschlossenheit, Umsicht und Schnelligkeit. Das Tier, ebenfalls ein Herrscher, wird wohl die sogenannten Blitzkriege führen. Die vier Köpfe weisen zugleich auf eine Allianz von vier kleineren Staaten hin. Macht und Herrschaft wird dem Tier gegeben.
In Hosea 13,7 und 8 werden dieselben Tiere als Zuchtrute für Israel gebraucht. Dem darf man wohl entnehmen, daß die genannten Tiere Israel nicht freundlich gesinnt sein werden.
Das vierte Tier. Es ist das schrecklichste aller Tiere. Ein Ungeheuer von einem Machthaber! Sowohl Daniel als auch Johannes erschraken beim Anblick desselben. Seine Raubgier übersteigt in großem Maße alle zusammengefaßten niedrigen Triebe der vorhergehenden Tiere. Grausamkeiten, wie sie die Geschichte bis dahin nicht kannte, werden an der Tagesordnung sein. Man möchte meinen, daß Heerführer über sich selbst erschrecken sollten und sich schämen, wenn sie an die unsagbaren Nöte und den großen Jammer denken - durch ihr Treiben verschuldet - aber statt dessen beanspruchen sie Huldigung! Das Tier, das beide, Daniel und Johannes sehen, kommt bekanntlich aus dem Abgrund. Wie könnte es dann auch anders, als nach den Prinzipien der Abgrundmoral handeln.
Wem Weisheit mangelt, der bitte von Gott. Dies ist ein guter Rat, den uns der Apostel Jakobus gibt, vielleicht hat er ihn von Daniel angenommen, denn Daniel suchte das Nötige Verständnis über die Gesichte allein bei Gott. Das ist noch heute der einzig richtige Weg, um in das Verständnis der Schrift zu gelangen. Es ist auch mein ständiges persönliches Flehen, der Gemeinde Jesu Christi durch diese geschriebenen Zeilen einen brauchbaren Kommentar über die Weissagungen Daniels anbieten zu können. Doch nicht in Fragen der Erkenntnis allein, sondern in allem dürfen und sollen wir den Herrn um Licht und Rat bitten.
Wer und was ist das vierte Tier? Daniel beschreibt es in Vers 7, und der Engel erklärt es ihm in Vers 19 ff. „Ein viertes Königreich wird auf Erden sein, welches von allen Königreichen verschieden sein wird und es wird die ganze Erde verzehren und sie zertreten und sie zermalmen.“ Das Gesicht geht auf ferne Tage, deutet also auf keine rosige Zukunft hin. Die Optimisten unserer Zeit, die auf schöne Tage hoffen, würden durch die Bibel anders belehrt, wenn sie sie lesen wollten. Wir sind zweifellos in die Endzeit eingetreten und können aus der Schrift genau wissen, was bald geschehen wird. Doch, wie ruhig und gelassen darf das Gotteskind im Blick auf die kommenden Tage sein. Es schaut nicht auf die schwere Zukunft, sondern auf den Wiederkommenden Herrn und weiß, daß sich die von Daniel geweissagten Dinge erst nach dem Hinwegnehmen der Gemeinde erfüllen werden.
Sechserlei sagt Daniel hier über das vierte Tier.
Es ist:
1. Schrecklich. Der bloße Anblick erfüllte beide, Daniel und Johannes, mit Grauen.
2. Furchtbar. Daniel war gewiß sehr tapfer, doch der Gedanke, was das Tier an Not und Elend anrichten wird, und daß besonders unter dem Volk der Heiligen, erfüllte ihn mit Bangigkeit.
3. Stark. Das Tier wird alle andern Reiche überwinden, ja selbst die Heiligen des Höchsten besiegen. Nichts wird es in seinem Laufe aufhalten können.
4. Gefräßig. Es hat große eiserne Zähne, mit denen es alles zermalmt. Es wird kein Land noch Volk geben, welches vom Tier nicht verschlungen wird.
5. Rücksichtslos. Es hat eiserne Klauen, mit denen es alles zertritt, was, in seinen Weg kommt ‑, Panzerwagen schwersten Kalibers!
6. Allesbeherrschend. Das Tier hat zehn Hörner, die zehn Könige sind. Da das Tier über die ganze Erde herrschen wird, ist es absolut verfrüht, die Königreiche mit Namen nennen zu wollen, wie das leider oft geschehen ist. Das Tier wird es auf geschickte Art verstehen, auch die Reiche, die es nicht unterworfen hat, in sein Machtbereich einzubeziehen. Die Könige der Erde werden gleich Marionetten auf der grausamen Weltbühne von diesem großen Herrscher hin- und hergeschoben werden. Die zehn Hörner des Tieres und die zehn Zehen von Nebukadnezars Standbild sind also die letzte Phase des Zeitalters der Nationen.