Soweit war Jakobs Heimreise glücklich verlaufen. Den habsüchtigen und rachedürstigen Laban hatte Gott als gedemütigten Mann heimgeschickt. Vielleicht wäre er Jakob gar nicht nachgejagt, wenn er den Ausgang zuvor gewußt hätte. Mit vielen prahlerischen Worten mag er vor Antritt seiner Verfolgung sich verschworen haben, daß er Jakob für seine heimliche Flucht eine unvergeßliche Lehre erteilen werde, aber ganz kleinlaut kam er daheim an. Er hatte nicht mit dem Gott Bethels gerechnet, der Jakob ein sicheres Geleit verheißen hatte. Die Welt kennt nicht das trostvolle Wort aus der Schrift: „Wenn Gott für uns ist, wer mag wider uns sein?" (Röm 8,32). Dem Aufrichtigen läßt Gott es gelingen (Spr 2,7), aber nie Menschen der Art Labans, die weder ihr Unrecht einsehen noch wiedergutmachen, vielmehr dem andern mit Absicht nur Schaden zufügen möchten. Jakob dagegen war um einen neuen Beweis der Treue Gottes reicher geworden.
Jakobs Weiterreise. Nachdem die beiden Männer sich getrennt hatten, zog jeder seiner Heimat zu. Jakob befand sich auf dem Wege des Gehorsams, und auf einem solchen Wege dürfen Gottes Kinder stets mit des Herrn Gegenwart rechnen. In Jesu Nachfolge gibt es nicht, wie die Welt meint, nur Härten, Prüfungen, Entbehrungen, vielmehr gibt es im Gegenteil reiche, unverdiente Gnadenerweisungen Gottes. Ja, der wahre Gläubige ist selbst im Tränental glückselig, er macht es zu einem Freudenort (Ps 84,6). Allerdings gibt es auch Nöte, und auf sie hat der Herr die Seinen zuvor aufmerksam gemacht (Joh 16,31-.32). Diese Nöte haben aber stets eine heilsame Nachwirkung (Heb 12,11). Wieder andere Male nimmt der Herr die Seinen mit Sich hinauf nach Tabor, um sie dort Seine Herrlichkeit schauen zu lassen. (Vgl. Mt 17).
Eine unerwartete Begegnung. Auf die nun hinter Jakob liegende Begegnung mit Laban mag Jakob gerechnet haben, ebenso auf das noch vor ihm liegende Zusammentreffen mit seinem gefürchteten Bruder Esau, aber an eine Begegnung mit den Engeln hatte er kaum gedacht, so wenig wie er die schon mit Engeln erlebten Begegnungen vorausgesehen hatte. Plötzlich umgeben Jakob also zwei Engelheere. Das ist nun das dritte Mal, daß ihm Engel begegnen: zuerst bei seiner Ausreise aus der Heimat (Kap. 28,12), das zweite Mal im Hause Labans (Kap. 31,11-13) und nun hier in Mahanaim. Es ist, als wollten ihm die Engel ein Willkommen im Land der Verheißung zurufen, ja mehr als das, ihm zusagen, daß sie ihn umgeben und schützen wollen (Ps.. 34,7). Wie jene Engel Jakob ins irdische Kanaan geleiteten, so werden sie einst uns in das obere Kanaan führen (Lk 16,22). Engeln werden alle Menschen begegnen, entweder um von ihnen heimgeholt oder aber um als Unkraut in Bündel gebunden zu werden (vgl. Mt 13,30). Unsere Geschichte hat große Ähnlichkeit mit dem Bericht in 2Kön 6,17. Wie Jakob den gefürchteten Esau vor sich hatte, so Elisa die Syrer. Beide waren schutzlos, dafür aber nahte beiden das Heer der Engel Gottes. Uns aber ergeht es oft so wie Elisas Diener, daß wir sie nicht früh genug erkennen und darum wie jener uns ängstigen. Sind uns aber die Augen geöffnet, so schwindet jede Furcht.
Der Zeitpunkt jener Engelserscheinungen. Kurz zuvor hatte Laban ungerechte Ansprüche gegen Jakob erhoben. Gott aber hatte Selbst sein Recht verteidigt. Der glatte Verlauf des Gesprächs der beiden Männer mag unsichtbaren Engelmächten zuzuschreiben gewesen sein. Das in Kap. 31,54 erwähnte Schlachtopfer weist auf Jakobs Dankbarkeit hin. Es kam ihm zum Bewußtsein, daß nicht dank seiner klugen Worte, sondern dank des Eingreifens der Engel der Ausgang ein so glücklicher war, und daß er gewiß in der vor ihm liegenden Begegnung mit Esau eine gleiche Hilfe erwarten darf. Trotzdem wurde Jakob bald wieder ängstlich und vergaß gar zu schnell das große Erlebnis und die ihm gewordene Verheißung. Genauso machen auch wir es leider oft.
Jakob nannte den Ort Mahanaim, d. h. Heerlager. Diese tröstliche Begegnung wollte er, wie man sagt, verewigen. Wird nicht David, als er auf seiner Flucht nach Mahanaim kam, an Jakobs Erlebnis gedacht haben? Tatsächlich erlebte auch er dann eine wunderbare Befreiung (2Sam 17,24).
Der Zweck der Begegnung Jakobs mit den Engeln war offenbar der, ihn in seinem Pilgerleben zu ermuntern. Er sollte lernen, Gott allein zu vertrauen und nicht wieder Zuflucht zu eigenem Handeln zu nehmen. Leider tat er solches doch wieder. Handeln wir nicht vielfach ebenso wie Jakob? So können wir heute einen reichen Segen erfahren und morgen schon wieder am Boden liegen oder versuchen, in eigener Kraft zu wirken, um uns selbst zu helfen. Jakob fürchtete zwar Esau, doch was war dieser den Engelmächten gegenüber? Wir brauchen uns nur daran zu erinnern, daß nach 2. Könige 19,35 ein einziger Engel 185 000 Syrer schlug!