„Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, und er ward ein Freund Gottes geheißen.“ (Jak 2,23)
Durch dieses Gotteswort erhält der Titel unserer Schrift „Abraham, der Freund Gottes“ seine volle Bestätigung. Es wird gut und nützlich sein, wenn wir uns immer wieder an diesen Titel erinnern, solange wir uns mit dem Lebensbild Abrahams beschäftigen.
Auch das Leben eines Abraham ist nicht ohne Schatten, und die Bibel verschweigt hier ebensowenig wie sonst überall die Nöte in diesem Leben, Nöte, die auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Um so heller leuchtet dann immer wieder das Licht göttlicher Gnade auf, Gott zur Ehre und uns zum Trost und zur Aufrichtung.
Wohl alle Menschen haben ein starkes Bedürfnis nach Freundschaft und Gemeinschaft; aber dieses Verlangen kann nur dann wirklich voll befriedigt werden, wenn es echt ist und aus wahrem aufrichtigem Herzen fließt. Nur zu oft bestimmen Eigennutz und Selbstsucht die gegenseitige Annäherung wie z. B. zwischen Pilatus und Herodes (Lk 23,12). Man freut sich mit dem Freunde, solange es ihm wohl geht und man Nutzen von ihm hat. Treten aber Nöte ein wie bei Hiob, dann lernt man so wie dieser die Wertlosigkeit solcher Freundschaft kennen (Hiob 16,2). Eine noch schwerere Enttäuschung durch Treubruch beklagt David in den Psalm 41,10 und Psalm 55,12-21.
Wie erquickend sind demgegenüber die biblischen Schilderungen herzlicher uneigennütziger Freundschaften, wie sie beispielsweise zwischen David und Jonathan (1Sam 18,1-4; 2Sam 1,17-27) oder zwischen David und Husai (2Sam 15,37) oder zwischen Daniel und seinen drei Freunden bestanden (Dan 3. Vgl. Spr 17,17; 18,24; 27,9). Der beste Freund ist und bleibt unser Herr und Heiland. Er enttäuscht die Seinen nie; selbst wenn sie Ihm untreu werden, geht Er ihnen mit unendlicher Geduld nach, um ihnen zurechtzuhelfen. Das hat Abraham reichlich erfahren, denn Gott verließ ihn auch dann nicht, als er strauchelte, ja, Er schützte ihn selbst, als er fehlte (1. Mose 12,14-20. und 1. Mose 20,1-18).
Von Mose berichtet uns die Bibel, daß Gott mit ihm redete, wie ein Mann mit seinem Freunde redet (2. Mose 33,11). Ist es verwunderlich, daß wir uns nach solcher Gnade vor Gott, nach solcher Freundschaft herzlich sehnen? Nun, der Herr bietet sie uns an mit den Worten: „Ihr seid meine Freunde, so ihr tut, was ich euch gebiete“ (Joh 15,14). Wir werden diesem hohen Ziel näherkommen, wenn wir nun, von den Worten des Jakobus ausgehend, den Wegen Gottes mit Abraham nachspüren. Die einleitende Betrachtung „Freundschaft mit Gott“ ist dabei besonders wichtig, weil sie das Fundament behandelt, auf dem das Handeln Gottes mit Abraham sich entwickelt hat (Siehe auch die Stellen 2Chr 20,7 und Jes 41,8, wo Abraham der Freund Gottes genannt wird.). Wir fragen:
Was mag Gott bewogen haben, Abraham zum Freund zu wählen?
Als erstes war es Abrahams kindlicher Glaube. Jakobus beantwortet diese Frage mit den schlichten Worten: „Abraham hat Gott geglaubt.“ Der ist ein glücklicher Mensch, der keinen Zweifel an Gott und an Seinem Wort in seinem Herzen aufkommen läßt, sondern in jeder Lebenslage Ihm rückhaltlos vertraut. „Wer Gott nicht glaubt, macht Ihn zum Lügner", sagt Johannes (1Joh 1,10). „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen" (Heb 11,6). Vom Auszug aus Ur in Chaldäa bis hin zur stärksten Glaubensprobe, der Opferung Isaaks, vertraute Abraham seinem Gott (1. Mose 22). Umgekehrt aber hat Gott Abraham auch nie enttäuscht. Darin bestand das Wesen der Freundschaft zwischen Abraham und seinem Gott. Gott hat sich immer wieder zu diesem Glauben bekannt. Er durfte mit prophetischem Blick in die fernste Zukunft schauen. Der Herr bezieht sich darauf: „Abraham, euer Vater, war froh, daß er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich" (Joh 8,56). Das Verlassen der Heimat wurde ihm dadurch erleichtert, daß er „auf eine Stadt wartete, die einen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist" (Heb 11,10). Wer so im Glauben seinen Gott erkennt, gibt dieser Freundschaft wegen alles auf (Phil 3,10-16.).
Ferner war Abraham ein wahrer Verehrer Gottes und ein Zeugnis für Ihn. Wohin er auch zog, ehrte er Gott im Bau von Altären und nahte sich dort seinem Freunde. Damit aber legte er zugleich das Bekenntnis ab, daß er nicht die Götter der Kanaaniter anbetete, sondern vor aller Welt allein den lebendigen und wahren Gott.
Abraham verherrlichte Gott in seiner Selbstlosigkeit und Friedensliebe. Sein uneigennütziges, selbstloses Verhalten dem selbstsüchtigen Lot gegenüber hat Gott ihm hoch angerechnet und reichlich belohnt. Abraham war ein Friedenstifter, und diese preist der Herr Jesus glücklich (Mt 5,9), denn sie haben die Ehre, Gott zu schauen (Heb 12,14).
Die Heilige Schrift erkennt in hohem Maße Abrahams Gastfreundschaft an. Er nahm die Heiligen des Herrn auf und bewirtete dabei ohne es zu wissen, den Herrn selbst, auch Engel, und dies tat er in hingebender Weise (1. Mose 18,1; Heb 13,9).
Sein inniges Gebetsleben wird Gott besonders erquickt haben. Abraham war ein vorbildlicher, anhaltender Beter. Freundschaft bedeutet Zutritt zum Freunde, und dieses Redet benutzte er reichlich. Wie ergreifend ist doch seine Fürbitte für Lot, für Abimelech und Ismael. Abraham war also auch ein Priester Gottes. Er rang mit Gott um die beiden Städte Sodom und Gomorra, obwohl ihm deren schreckliches Lasterleben gewiß nicht unbekannt war. Nur wer mit Gott in einem so innigen Freundschaftsverhältnis steht, darf mit Gott so ringen, wie er es getan hat.
Gott schätzte Abrahams vorbildliche Haltung in seinem Haushalt. Ein Mann, der sich vor aller Augen so bewährte, fand schon vor Menschen hohe Anerkennung. Nannten ihn doch die Kinder Heth einen „Fürsten Gottes“ (1. Mose 23,6). Doch, war nicht viel höher die Ehre, die Gott ihm erwies, indem Er ihn Seinen Freund nannte? Der Herr sagt von Abraham: Ich habe ihn erkannt, daß er seinen Kindern und seinem Hause nach ihm befehle, daß sie den Weg des Herrn bewahren" (1. Mose 18,19). Er bewährte sich als Familienvater und Erzieher seiner Kinder. Das geht z. B. aus der Haltung des jungen Isaak auf Morija hervor, der einen ganz beispiellosen Gehorsam bewiesen hat. Alle diese Eigenschaften schätzte Gott so sehr, daß Er Abraham Seinen „Freund“ nannte.
Der Titel „Freund Gottes“ ist jeder Bewunderung wert. Wir fragen uns: Bedarf Gott überhaupt eines Freundes? Ist Er nicht der dreieinige Gott, umgeben von himmlischen Heerscharen mit ihren Engelsfürsten? Ist nicht Sein Sohn Schoßkind bei Ihm (Spr 8,30). Hier stehen wir vor einem Geheimnis. Vielleicht können uns die Freundschaftserweisungen Gottes an Abraham einiges lehren:
Gott holte ihn heraus aus einem götzendienerischen Lande (Jos 24,2).
Er machte Abraham zum Haupte Seines auserwählten Volkes.
Gott besuchte öfters Seinen Freund (1. Mose 15,1; 17,1). Bei diesen Besuchen wurden Geheimnisse enthüllt (Kap. 15,1; 18,1). Er besuchte ihn des Nachts in Träumen und Nachtgesichten.
Gott war ihm sein Schild vor den Feinden (1. Mose 15,1).
Ja, Er schloß selbst einen Bund mit Abraham (1. Mose 17).
Unter Eidschwur gab ihm Gott große Verheißungen (1. Mose 14).
Er nahm sich Seines Freundes an, als er auf Abwege geriet, und verteidigte ihn vor seinen Verklägern (1. Mose 20).
Gott segnete sogar Seinen Freund in der abtrünnigen Nachkommenschaft und gedachte des Bundes (Jes 41,8).
Gott segnete ihn auch reichlich an irdischen Gütern, so daß er aus Dankbarkeit gegen Gott die Belohnung des Königs von Sodom nach dem Kriege der Könige ausschlagen konnte (1. Mose 14,21-24).
Angesichts solcher Begegnung Gottes mit einem Menschen des Alten Testaments fragen wir uns:
Gewährt Gott auch heute noch Seinen Kindern solche Freundschaft?
Soweit es an Gott liegt, dürfen wir hier mit einem klaren Ja antworten. Zum Beweis dafür können wir uns auf zahlreiche Schriftworte stützen wie z. B. Joh 15,9-16; 10,27-30; 1Joh 3,16; Röm 8,31 usw.
Wie kommt aber diese Freundschaft zustande? Nur durch ein Wunder, denn von Natur sind wir Feinde Gottes und fern von den Bündnissen (Röm 5,10). Er allein hat die Möglichkeit zu dieser herzlichen Verbindung durch Sein Blut geschaffen, indem Er uns mit Ihm selbst versöhnte (2Kor 5,19). Er hat uns in Seiner Herablassung dazu auserkoren und sucht unsere Freundschaft (Jer 31,3; Joh 15,16; Tit 1,1), ein jeder darf sie annehmen (Joh 1,12) ohne Ausnahme.
Freund Gottes heißen ist ein großes Vorrecht. Das vermögen weder Menschen noch Engel zu erfassen, denn neben Seinem hohen und erhabenen Namen erblassen alle andern Namen. Der König aller Könige und Herr aller Herren, der Fürst der Könige der Erde, neigt sich in Liebe zu Seinen einstigen Rebellen herab und erwählt sie zu Seinen Vertrauten. Eine engere Verbindung als die mit Ihm ist nicht mehr möglich, denn wir sind ein Geist mit Ihm (1Kor 6,17). Diese Freundschaft ist dauernd, denn wie Er die Seinen liebt, liebt Er sie bis ans Ende (Joh 13,1; Jes 46,15.16).
Und wie gelangen wir in den Genuß dieser Freundschaft? Wie das sonst bei Freunden üblich ist, durch gegenseitigen Verkehr. Gleichheit ist nicht nötig, um Freund zu sein. Ein König kann auch einen Armen zu seinem Freunde machen. Im Verkehr mit dem Freunde lernen wir Ihn erst kennen. Wir finden Ihn im Wort. Es enthüllt Ihn uns als den Schönsten unter den Menschenkindern, wie Er unseretwegen arm wurde, damit wir durch Seine Armut reich würden. Ja, Er macht Seine Freunde reich, wie Er Seinen Freund Abraham reicht machte im Gebet. Hier hat Er uns die beste Möglichkeit des Umgangs mit Ihm gegeben. Er kommt unter unser Dach wie einst unter jenes des Abraham, und wie dieser dürfen auch wir in aller Freimütigkeit über alles mit Ihm reden an Seinem Tisch, in der Versammlung der Seinen. Da weilt Er (Mt 18,20). Alle, die diese Gebetsgemeinschaft versäumen, sind kaum Seine Freunde, denn Freunde fühlen sich zueinander hingezogen. Wer lebendig glaubt, dessen Leben wird Gott in Seiner großen Gnade so gestalten, daß Gott auch ihn Seiner Freundschaft würdigen kann. Diese Feststellung führt uns zum Ausgangswort zurück: „Abraham hat Gott geglaubt.“