Schriften von Georg R. Brinke
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Dan 7 - Die vier Winde des HimmelsDan 7 - Die vier Winde des Himmels
Die ersten sechs Kapitel geben einen geschichtlichen Überblick während die sechs folgenden die Gesichte des Propheten kund tun. Kapitel 7 führt uns also zum zweiten und zugleich zum Hauptteil dieses Buches. Daniel, der offenbar mit der Zukunft seines in Gefangenschaft schmachtenden Volkes sehr beschäftigt war, erhält göttliche Unterweisung sowohl über den Werdegang der Nationen, als auch über den seines eigenen Volkes „ Israel“. Schon aus früheren Kapiteln ist uns Daniels Weisheit und Einsicht in bezug auf die Wege und Gedanken Gottes bekannt. Er erlebte die Worte: „Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe.“ Jedem, der treu mit der ihm geoffenbarten Wahrheit umgeht und sie in der Tat verwirklicht, gibt Gott noch mehr. Grundbedingung für vermehrte Erkenntnis ist also der Gehorsam dem geoffenbarten Wort gegenüber. Daniel durfte Dinge sehen, hören und verstehen, die die tiefsinnigsten Theologen aller Zeiten vor die schwierigsten Probleme stellten. Einiges ist sogar bis heute noch in gewisses Dunkel gehüllt. Doch eins ist offensichtlich; je näher wir der restlichen Erfüllung, der im Buche Daniel geschauten Gesichte kommen, um so heller leuchtet das prophetische Wort wie eine Lampe an einem dunklen Ort, d. h. in dieser finstern Welt, und kündet das, nahe Morgenrot des großen kommenden Tages Jesu Christi und Seines Reiches auf Erden an.
Im siebenten Kapitel sieht Daniel folgende vier Visionen:
1. Die Nachtvision der drei Tiere (Verse 4-6).
2. Das vierte Tier, mit den zehn Hörnern und dem kleinen Horn (Verse 7-8).
3. Das Gericht über die Tiere, d. h. über die Völkerwelt (Verse 9-12).
4. Den Menschensohn und Sein ewiges Reich (Verse 13-14).
Der Zeitpunkt der schrecklichen Vision (Vers 1). Daniel erhielt dieses Gesicht im ersten J a h r e der Regierung Belsazars, also zwei Jahre v o r dem Untergang des babylonischen Weltreiches, demnach vor den Ereignissen, die wir in Kapitel 5 und 6 betrachtet haben. Das mächtige Weltreich, dargestellt durch das goldene Haupt, war also nur von kurzer, kaum siebzig Jahre langer Dauer. Wie schnell schwinden Macht und Glanz! Ihr bestehen gleicht nur einer Nachtwache oder einer Blume auf dem Felde. Während dieser siebzig Jahre hatte Daniel viel gesehen und erlebt; aber der sittenverderbende Einfluß des babylonischen Hofes vermochte ihm nichts anzuhaben. Er wich keinen Finger breit von Gottes Wegen ab. Trotz aller Schmähungen und Verleumdungen um des Herrn willen bekleidete Daniel während vieler Jahrzehnte die höchsten Ämter der ersten zwei Weltreiche. Die Hintergründe seines weitgehenden Einflusses waren entschieden der verborgene Umgang mit Gott, sein Gebetsleben und sein offenes Fenster nach Jerusalem hin. Und nun beachten wir, was Daniel sah, und verweilen vor allem bei der Auslegung, die dem Propheten gegeben wurde.
Die vier Winde des Himmels. Der Wind ist in der Heiligen Schrift ein Bi1d des Geistes (Joh 3,8; Apg 2,2). Wir erkennen also von vornherein, daß wir es hier mit Geistesmächten zu tun haben. Der Wind, der gewöhnlich aus einer Richtung kommt, kann unter Umständen zum gewaltigen Sturm anschwellen und furchtbare Verheerungen anrichten. Daniel aber sieht vier Winde aus allen Himmelsrichtungen auf das Meer (Völkerwelt) losbrechen und beobachtet im weiteren die Folgen. Die Worte Wind, Odem, (Geist sind einander sehr verwandt und sind Zeichen des Lebens. So blies der Herr bei der Schöpfung Seinen Odem in den Menschen und er wurde eine lebendige Seele. Auch Hesekiel sagt in seinem Gesicht in Kapitel 37, daß der Wind über das Totenfeld wehte und die verdorrten Totengebeine belebte. Und an Pfingsten erfüllte ein gewaltiger Wind das Haus, in welchem die (Gemeinde versammelt war, und alle wurden voll Heiligen Geistes. Das waren gesegnete Winde von oben, die neues Leben bewirkten. Die Schrift zeigt uns aber auch (bildlich gesprochen) Winde von unten, von Satan, dessen Hauptwerk Verheerung ist, der, wenn es möglich wäre, auch das Haus Gottes, die Gemeinde, zerstören möchte. Wer nicht auf den Felsen „Christus“ gebaut hat, wird dereinst weggeweht werden. Aus Hiob 1 erfahren wir, daß Satan einen Sturm gegen das Haus Hiobs losließ. Zwar wurde das Haus zerstört und seine Kinder unter dem Schutt begraben, aber Hiobs Glaube, der auf dem Felsen fußte, konnte nicht umgeweht werben. Zweifellos verursachte Satan auch jenen Sturm über dem See Genezareth, um, wenn möglich, den Herrn und die Jünger umzubringen und Gottes Absichten zu durchkreuzen. Hier sieht Daniel vier Winde, die das Völkermeer aufwühlen. Es sind wohl dieselben Winde, die Johannes später sieht (Off 7,1; Sach 6,5), die aber noch von vier Engeln zurückgehalten wurden, bis daß die Knechte Gottes versiegelt waren.
Wenn wir von Winden Satans reden, so dürfen wir einen besonderen Wind nicht vergessen. Paulus nennt ihn den Wind der Lehre. Dieser unheimliche Wind begann schon in den Tagen der Apostel zu wehen, und begegnet uns heute in allerlei Sekten des Verberbens in einer bereits unheilvollen Stärke; wird aber erst zum Sturm, ja zum Orkan ausarten, wenn der falsche Prophet in Offenbarung 13 sein schreckliches Werk treiben wird. Die verschiedenen Zeichen und Wunder, die Satan durch den falschen Propheten tun wird, werden die Menschen bewegen, das Tier (Antichrist) anzubeten und ihm allein zu dienen.
Beachten wir ferner, wo Daniel die vier Winde hinwirbeln sieht. ‑ Er sieht sie auf das große Meer losbrechen. Damit ist das Mittelmeer gemeint; dazu lesen wir folgende Stellen (4. Mose 34,7; Josua 1,4; 9,1; 15,11,12,47; 23,4; .Hes 47,10 usw.)
Die hier genannten vier Winde, die auch Johannes in Off 7 anführt, werden am Ende dieses Zeitalters im Kampf um die Vorherrschaft über das Gebiet des Mittelmeeres hereinbrechen. Schon im gegenwärtigen Krieg ist der Mittelmeerraum Hauptinteresse der verschiedenen kriegführenden Staaten, da er die Schlüsselstellung zu den drei großen Erdteilen: Europa, Asien und Afrika, mit ihren unbegrenzten Schätzen und Reichtümern ist. Wenn wir die Kriegsereignisse im Lichte der Bibel betrachten, so werden wir an das nahe Ende dieses Zeitalters erinnert. Ferner sei noch hervorgehoben, daß kein anderes Element die Unruhe der Völker so trefflich versinnbildlicht wie das ständig wogende Meer. Seine manchmal so harmlos scheinende Oberfläche verbirgt gewaltige Leidenschaften in sich, ein Wüten, ein Drohen, dem keiner zu widerstehen vermag! Und welch ein Aufatmen der Völkerwelt, wenn der Herr Wind und Meer bedrohen wird, und die Nationen in Seinem Friedensreich endlich zur langersehnten Ruhe kommen werden.
Aus dem Meer stiegen vier große Tiere herauf (Vers 3). In der Auslegung von Vers 17 lesen wir: „Diese großen Tiere; deren vier waren, sind vier Könige, die von der Erde aufstehen werden.“ Mächte, deren Interessensphären in der Mittelmeerzone liegen.
Beachtenswert ist auch, in welchem Lichte Daniel die Königreiche sieht, nämlich als „Raubtiere“, die in ihren niedrigsten Instinkten, wie Grausamkeit, Bestialität und Falschheit die wahre Seite ihres Wesens verraten. Sie folgen ausschließlich ihrem Appetit, ihrer Gier und Raublust und nicht der Vernunft, noch weniger dem Gewissen. Unter den genannten Tieren finden wir keine friedliebenden, etwa ein Lamm. Und doch werden sie am Ende vom Lamm überwunden. Das wahre Gesicht der Weltmächte ist die Geschichte grausamer Kriege und gegenseitiger, rücksichtsloser Vernichtung. Trefflich hat der Apostel Paulus den Menschen im einzelnen und die Völker im ganzen in Röm 1,29 beschrieben: „Erfüllt mit aller Ungerechtigkeit, Bosheit, Habsucht, Schlechtigkeit, voll von Neid, Mord, Streit, Li st, Tücke.“ Alle Reiche, zu allen Zeiten ‑ ganz gleich für wie edelgesinnt sie sich ausgeben mochten, und mit welcher Begeisterung sie aufgenommen wurden, ‑ haben in der Folge stets den wahren Tiercharakter geoffenbart. Das Fortbestehen eines Reiches wurde noch immer durch brutale Machtmittel und Rücksichtslosigkeit verteidigt. Macht ist Recht! Lüge und Fälschung sind gewöhnlich die Mittel, das angebliche Recht zu verteidigen, und der Mensch des Alltags darf nicht hinter die Kulissen schauen. Ja, selbst Nebukadnezar, der die Weltmächte in Kapitel 2 im großen Standbild gesehen hat, beachtete zunächst nur die rein äußere Seite: Glanz, Macht, Ruhm, das für den Menschen Imponierende, Faszinierende. Der Gottesmann, d. h. der vom Heiligen Geiste Erleuchtete, sieht jedoch bald hinter der trügerischen Glanzfassade das alles Zermalmende, Gottfeindliche, ja Gottlästernde. Und jeder, der wie Daniel das leere, vergängliche Wesen dieser Welt erkannt und durchschaut hat, wird sich von ihr absondern.