Schriften von Georg R. Brinke
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Dan 10,4 - Ein Mann, in Linnen gekleidetDan 10,4 - Ein Mann, in Linnen gekleidet
Nachdem wir in den Versen 1-3 mehr bei der Person und den tiefgehenden Seelenübungen Daniels stehen blieben, gehen wir nun zu der neuen großen Erscheinung über, die er hatte.
Ein unvergeßlicher Tag. Es gibt so besondere Gedenktage im Leben der Heiligen. Noah hat die Tage, als er in die Arche ging und sie wieder verließ, nie vergessen. Desgleichen hat Jakob ein Bethel und Pniel in gutem Gedächtnis behalten. Unauslöschlich war für Mose die Erinnerung an den Tag seiner Begegnung mit Gott auf dem Sinai; und Josua gedachte des Tages, an welchem auf sein Gebet hin die Sonne stillstand. Daniel weiß sogar das Datum jenes denkwürdigen Tages der Erscheinung anzugeben. Beachten wir:
Wann Daniel das Gesicht hatte. Nach dreiwöchentlichem Gebet und Fasten. Daniel ließ sich’s viel kosten. Auf so anhaltendes Ringen und ernstes Flehen antwortete Gott mit einem bestimmten Segen. Aber auch Satan war auf dem Plan; doch vermochte er nicht mehr, als die Erhörung des Gebets um volle drei Wochen aufzuhalten (Vers 13). Verhindern konnte er weder das Gebet als solches, noch die Erhörung.
Wo Daniel flehte. Er betete auf ganz biblisch -historischem Boden am „Hiddekel“ (Tigris), jenem Fluß, der einst das Paradies durchfloß. Dort hatte schon lange zuvor unter ganz andern Verhältnissen ein großer Kampf mit satanischen Mächten stattgefunden. Satan überwand dort unsere ersten Eltern inmitten größter Fülle. Daniel aber siegte in der Enthaltsamkeit bei Gebet und Fasten. Folgen wir nun Daniels Schilderung.
Die wunderbare Erscheinung. „Und siehe, da war ein Mann in Linnen gekleidet“ (Vers 5). Wir wissen nicht, wer dieser Geheimnisvolle war. Manche nehmen an, daß es der Herr selbst war; andere meinen, es sei Gabriel gewesen. Wer immer der Erscheinende sein mochte, so geht doch aus der Beschreibung hervor, daß er ein mächtiges himmlisches Wesen war, das viel Ähnlichkeit mit der Person hat, die Johannes auf Patmos erschien (Off 1,13-16). Bei Johannes war es allerdings der Herr selbst. Acht Einzelheiten jenes himmlischen Besuches haben sich tief in Daniels Gedächtnis eingeprägt:
Seine Gestalt. Da war ein „Mann“. Unzweideutig erkannte er trotz des überwältigenden eine männliche Gestalt. Als der Herr Abraham erschien, kam er in menschlicher Gestalt und Johannes sagt vom Herrn in seiner Offenbarung, daß Er einem Menschensohne glich.
Seine Kleider. Er war in „Linnen“ gekleidet; also in ein Priestergewand. Priester sind Mittler zwischen Gott und Menschen, darum wird auch der Herr mit Recht der große Hohepriester genannt. Der hier Erscheinende vermittelte nun zwischen dem betenden Daniel und Gott, dem Hörer der Gebete.
Sein Gürtel (Sinnbild des Dienstes). Die Lenden waren mit Gold von Ofir umgürtet, d. h. er kam, um Daniel zu dienen. Auch Johannes sah den Herrn angetan mit einem goldenen Gürtel. Und als der Herr den Jüngern die Füße wusch, umgürtetes Er sich. Kinder Gottes sollten die Lenden allzeit zum Dienst umgürtet haben und umgürtet sein mit Wahrheit.
Sein Leib. Daniel vergleicht ihm mit einem Crysolith (Türkis), einem leuchtenden Edelstein; er war also überaus herrlich.
Sein Angesicht. Es glich einem Blitz, einem Widerstrahl der himmlischen Herrlichkeit. Das Angesicht des Herrn in Offenbarung 1 ist gleich der Sonne - hellstrahlend, alles erleuchtend.
Seine Augen. Sie glichen Feuerfackeln; hindeutend auf höchste Einsicht und Weisheit. Die erschienene Gestalt war also befähigt, Daniel genügend Licht zu geben. Auch wir haben es mit Dem zu tun, vor dessen Augen alles offenbar ist (Heb 4,13). Der Herr bedarf es nicht, jemanden um Auskunft zu fragen (Joh 2,25). er hat Augen, die in die Weite blicken, die Tat eines Judas voraussahen und die heuchlerischen Gedanken der Pharisäer von ferne durchschauten. Seine Augen übersehen aber auch die verborgene Herzensbuße gefallener Menschen nicht, noch gehen sie am Schaden Seines Volkes vorüber, ohne ihn zu beweinen (Lk 19,41).
Seine Arme und Füße. Sie glichen glänzendem Kupfer. Kupfer ist nach der Symbolik das Bild des Gerichtes. Haben Hände und Füße des Herrn nicht das Gericht, das wir verdient hätten, ertragen? Und wenn wir Seinen starken Arm kennen, der noch heute mächtig ist, zu retten, so ist es dank des über den Herrn ergangenen Gerichtes.
Seine Stimme. Daniel vergleicht sie mit der Stimme einer Menge. Sie übertönte alle und alles, so daß sie jedermann unzweideutig verstehen konnte und mußte. Und doch ist sie trotz allem eine persönliche Stimme. Das sehen wir hier bei Daniel und später bei Saulus von Tarsus vor Damaskus.
Die Wirkung des Gesichtes. Hier erging es Daniel so, wie es ihm bereits bei früheren Engelserscheinungen ergangen war. Er war buchstäblich dahin. Johannes auf Patmos fiel sogar zu Jesu Füßen wie ein Toter. Die Worte Daniels: „Es blieb keine Kraft in mir und meine Gesichtsfarbe verwandelte sich an mir bis zur Entstellung“ und wiederum: „Ich sank betäubt auf mein Angesicht“, sagen uns wirklich genug. Wie aus den Versen 16-21 hervorgeht, trat ein himmlischer Bote an Daniel heran, stärkte und tröstete ihn. Zweimal hören wir ihn sagen „Fürchte dich nicht“ und zweimal braucht er den Ausspruch „Du Vielgeliebter“. Danach wurden des Propheten Lippen berührt. Daniel machte also ein ganz ähnliches Erlebnis wie der Prophet Jesaja (Jes 6,6-7). Auf diese Berührung der Lippen von oben wurden die Propheten befähigt zu reden. Daniels erstes Wort nach dieser Berührung war ein Bekenntnis seiner eigenen absoluten Kraftlosigkeit. Paulus sagt: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ Erlebnisse, wie sie Daniel oder Jesaja machten, sind rein persönlich. In Vers 7 lesen wir: „Und ich, Daniel, allein sah das Gesicht; die Männer aber, welche bei mir waren, sahen das Gesicht nicht.“ Ähnliches berichtet die Schrift in Apg 9,7 über Saulus. Und so ist es bis heute. Die einen, die sich ernsthaft nach göttlichen Segnungen ausstrecken, machen neue Erlebnisse mit Gott, während die andern leer ausgehen. Der Herr hat verheißen, sich den Seinen und nicht der Welt, den Irdischgesinnten zu offenbaren (Joh 14,22). Nachdem der Engel das tröstliche und aufmunternde Wort „Friede dir“ ausgesprochen hatte, bekannte Daniel: „Und als er zu mir geredet hatte, ward ich gestärkt.“ Alle Furcht war beseitigt, obwohl Daniel in Vers 10 von dem mühevollen Sicherheben auf seine Knie und Hände sprach. Der greise Daniel sagt nun ganz ähnliche Worte wie einst der junge Samuel: „ Mein Herr möge reden, denn du hast mich gestärkt“ (1Sam 3,10). Das Herz, das nicht wie das eines Daniel, im vollen Genuß des Friedens Gottes steht, kann kaum Blicke in die Gedanken und Wege Gottes tun. Daniel darf nun vom Engel unterrichtet werden.