Nachdem wir uns mit Jojakim, Judas letztem König, beschäftigt haben, müssen wir einige Blicke auf den zweiten Herrscher, der in diesem Buch genannt wird, werfen, auf Nebukadnezar. In ihm haben wir es mit einer der größten Person des Altertums zu tun. Mit ihm beginnt die „Zeit der Heiden“, deren „goldenes Haupt“ er war. Keiner der folgenden Weltherrscher reichte an ihn heran, obwohl manche unter ihnen sehr groß und mächtig waren. Sie waren, verglichen mit Nebukadnezar, nur Silber, Erz, Eisen oder Ton (Dan 2,32); an Wert also geringer! Wir werden uns in den nächsten Kapiteln viel mit diesem Monarchen beschäftigen müssen, und manche Licht-, aber auch Schattenseite seines Charakters und seiner Tätigkeit sehen. Hier wollen wir nur eine kurze Skizze über ihn entwerfen.
Seine Vorgeschichte. Nabopolassar, sein Vater, ein mächtiger Herrscher des Altertums, war der Begründer des neubabylonischen Reiches. Nebukadnezar, sein Sohn, war Kronprinz und hatte hervorragende Gaben. Schon sehr früh hatte ihn sein Vater zu verantwortlichen Aufgaben herangezogen. So wurde der junge Prinz mit mächtigen Heeren zum Kampf gegen verschiedene Länder ausgesandt. Einer seiner glänzenden Siege war derjenige über Pharao Necho, in der Schlacht bei Karchemis, im Jahre 605. Gerade hier erreichte ihn die Nachricht vom Tode seines Vaters, dessen Erbe er nun antreten mußte und Babylon zu nie erreichter Höhe brachte.
Seine Regierungszeit. Nebukadnezar war König von 605-562 v. Chr. In dieser Zeit hatte er Großes geleistet, sowohl als Feldherr als vor allem auch als Friedensregent. Sobald er seine militärischen Ziele erreicht hatte, widmete er sich in hingegebener Weise seinem Volke. Sein Reich wurde größer und größer. In Kürze war er von allen übrigen Ländern als der unumstrittene Herrscher und Machthaber anerkannt. Uns interessiert in der Betrachtung des Buches Daniel hauptsächlich die Geschichte Judas und seine Unterwerfung, die allerdings nur einen Bruchteil der Siege Nebukadnezars darstellt. Nebukadnezar erschien selbst in Jerusalem und forderte von Jojakim den Lehenseid (2Kön 24,1), den Jojakim schon nach drei Jahren brach, sich empörte und deshalb eine harte Vergeltung erfahren mußte. Nebukadnezar brach den Aufstand mit rücksichtsloser Härte, deportierte den jungen König und seine Edlen nebst einem Teil des Volkes nach Babel. Zedekia, der Nachfolger Jojakims, diente alsdann während einer Reihe von Jahren dem König von Babel. Jeremia, der getreue Ratgeber und Freund Zedekias, stand ihm behilflich zur Seite, ihn ermahnend, daß er, da nun Gott selbst Nebukadnezar die Weltherrschaft übergeben, sich Gottes Willen zu fügen und Nebukadnezar unterwürfig zu sein habe (Jer 27,6 f). Als aber im Jahre 588 Pharao Hophra den Thron bestieg, ließ sich Zedekia nebst andern zur Treulosigkeit verleiten und er und sein Volk empörten sich gegen die babylonische Herrschaft. Nebusaradan, ein Heerführer Nebukadnezars, überwand jedoch den Aufstand. Jerusalem wurde eingenommen, die Stadt und der Tempel zerstört und Zedekia mußte die Folgen seiner Untreue in harter Weise tragen. Er hatte das Gebot Gottes: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“, übertreten, und nun mußte er die über ihn verhängte, äußerst harte und schmerzliche Strafe tragen (2Kön 25,1-8). Wird dieses Gebot heute nicht in vielen Fällen übertreten? Gottes Volk hat sich bedingungslos der Obrigkeit zu fügen. Verlangt sie jedoch von uns Untreue gegen Gott, wie z. B. Nebukadnezar in Kapitel 3 von Daniels Freunden, dann sagen wir „nein“ und sind um Jesu willen bereit zu leiden; im übrigen ist es Pflicht des Gläubigen, der Obrigkeit untertan zu sein.
Obwohl Nebukadnezar ein ausgesprochener Despot war und rein nach Willkür handelte, so erwies er doch den unterjochten Völkern viel Gnade. Geradezu nobel behandelte er den Propheten Jeremia (Jer 39,11 f.). Selbst aus den besiegten Völkern und aus den weggeführten Juden wählte er die Begabtesten und Tüchtigsten zum Staatsdienst aus und gab ihnen die gleichen Gelegenheiten und Rechte wie den Babyloniern. So finden wir bekanntlich gerade Daniel und seine Freunde in höchsten Staatsstellen.
Nebukadnezars Titel. Nebukadnezar wird ein „König der Könige“ genannt. Viele Königreiche hatte er über wunden; manche der besiegten Könige setzte er als seine Vasallen ein, wie er das beispielsweise mit Jojakim und Zedekia getan hatte. Er selbst aber war der oberste Herrscher.
Sein besonderer Beiname wurde nach Gottes Gedanken durch den Propheten Jeremia ausgesprochen: „Nebukadnezar, mein Knecht“. War er doch der Ausführende göttlichen Willens und Vollstrecker göttlicher Gerichte; eine Stellung, die nicht vielen zuteil geworden ist und vor allem nicht in demselben vollen Umfang. Im Blick auf die Nationen war er ihr Herrscher, im Blick auf den Gott des Himmels war er dessen Knecht (Jer 25,9; 27,6 f.). Das alles aber aus Gottes Gnaden.
Mein Knecht. Welch ein bescheidener und doch vielsagender Beiname! Wir hören ihn erstmals bei Mose und in der Folge des öftern bei verschiedenen Dienern Gottes. Selbst unser Herr wird der „Knecht Jehovas“ genannt. So sagt Jesaja von Ihm: „Mein Knecht wird weislich Handeln“ (Jes 52,13). Ebenso nennt sich der Apostel Paulus einen Knecht oder Sklaven Jesu Christi. Sind wir nicht im Grunde genommen alle Knechte? Paulus schreibt in Röm 6,16 „Wisset ihr nicht, daß, wem ihr euch darstellt als Sklaven (Knechte) zum Gehorsam, ihr dessen Sklaven (Knechte) seid, dem ihr gehorchet“. Wir sind entweder Knechte Gottes oder Knechte der Sünde und damit Satans.
Das große Gelingen Nebukadnezars. Nebukadnezar war ein höchst begabter Mann; ein weitsichtiger und fähiger Herrscher. Doch war der große Erfolg nicht dank seines Könnens, sondern er lag in dem, was Jeremia ausspricht, daß Gott alles in seine Hände gegeben hat (Jer 32,3). Nebukadnezar mochte zwar seine Erweiterungsgelüste an den umliegenden Ländern befriedigen, oder sein Mütchen an dem König von Juda kühlen, letzten Endes war es aber doch Gott, der Seine angekündigten Drohungen gegen den König von Juda wahr machte. In Dan 1,2 lesen wir: „Der Herr gab Jojakim in die Hand Nebukadnezars“. Gott brauchte Nebukadnezar also als, Zuchtrute! Wir erkennen folglich, daß der Sieg eines Landes über ein anderes in erster Linie nicht allein von der Tüchtigkeit einer gut ausgerüsteten Armee abhängt, sondern vom Plane (Gottes mit den einzelnen Völkern. Und handelt Gott nicht manchmal genau so im geistlichen Sinne? Hat Er nicht manchen, einst treuen Knecht, auf die Seite stellen müssen und einen andern an seine Stelle gesetzt? Man denke an Eli und Samuel. Entsteht nicht ab und zu Neid im Herzen gewisser Diener Gottes, wenn ein bis dahin unbekannter Bruder in der Öffentlichkeit sichtlich von Gott gebraucht wird? Nebukadnezar mochte in seinem Fall stolz sein über seinen großen Erfolg; denn eine Beute wie er sie mache, hatte bis jetzt noch kein König davongetragen (Vers 2). Er erbeutete nämlich die Gefäße des Hauses Gottes, die er dann in das Land Sinear brachte. Er mochte ähnlich wie die Philister gedacht haben, die die erbeutete Bundeslade in das Haus ihres Gottes Dagon stellten und ihm das Lob für den Sieg über Israel aussprachen. Doch wir sehen, daß Dagon in wenigen Stunden zerschlagen vor der Bundeslade lag (1Sam 5). Man beachte in Verbindung mit Nebukadnezars Fall, wie es seinem Nachfolger Belsazar erging, als er die Gefäße des Hauses Gottes mißbrauchte; ferner erinnern wir an Babylon, das hernach selbst erleben mußte, was, es zuvor Juda angetan hatte. Wahrlich, womit der Mensch sündigt, damit wird er gestraft.
Nebukadnezar war auch sehr groß in Werken des Friedens. Hervorragend sorgte er für seine Untertanen. Er legte umfangreiche Bewässerungsanlagen an und machte unfruchtbare Gegenden zu Kornkammern. In verschiedenen Städten ließ er nebst großartigen Bauten herrliche Tempel erstellen. Das haben die Ausgrabungen vieler Forscher unzweideutig bestätigt. Seine Lieblingsstadt war jedoch Babel, die er zu einem der sieben Weltwunder der damaligen Zeit machte.
Nebukadnezars Sünde. „Hochmut kommt vor dem Fall.“ Nebukadnezar fiel in dieselbe Sünde wie einst Satan und später Eva. Seine großen Erfolge führten ihn zur Selbstüberhebung, die in den Worten ausklang: „ Ist das nicht die große Babel, die ich erbaut habe, durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit“ (Dan 4,30). Nebukadnezar hatte an der Ehre Gottes, der Seine Ehre keinem Andern gibt, und an der Macht dessen, der allein allmächtig ist, Raub geübt. Und so wurde Nebukadnezar sogar zu einer passenden Illustration des gefallenen, vom Himmel herabgestürzten, schönen Morgensterns (Luzifer), der in seinem Herzen sprach „Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen, ich will über die hohen Wolken fahren und gleich sein dem Allerhöchsten“ (Hes 14,12-14). Hat nicht auch Herodes seinen grenzenlosen Hochmuts wegen das Gericht Gottes erfahren (Apg 12,21-23)? Hochmut ist eine ganz furchtbare Sünde. Gott wird sie stets richten. Und wem von uns war sie nicht schon zum Verhängnis? Ja, daß selbst der Mann nach dem Herzen Gottes, „David“, dieser Versuchung zu seinem und seines Volkes Schaden unterlag, lädt uns erkennen, mit welcher Macht diese Sünde an den Besten herantritt (1Chr 21).
Die göttliche Zurechtweisung. Da wir in Kapitel 4 näher darauf eingehen müssen, sei sie hier des Zusammenhangs wegen nur angedeutet. Gott stieß Nebukadnezar von seinem Thron! Lernen wir aus diesen Tatsachen, Gott allein die Ehre zu geben, wenn Er Gelingen und Gedeihen in jeder Weise und in allem Dienst für Ihn schenkt. Hochmut und Selbstbewunderung sind ein Greuel vor Gott. Gott aber wohnt bei denen, die in ihren eigenen Augen nichts sind, und Er beugt alle, die sich selbst gefallen. Der Prophet sagt: „Auf diesen will ich blicken, auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Wort.“
Die Wiederherstellung. Wie lange währte Gottes Züchtigung über Nebukadnezar? „Bis er erkannte, daß der Höchste regiert.“ Gottes Züchtigung hat allein unser Wohl im Auge und Er wartet bis wir uns unter Seine gewaltige Hand beugen und Ihm allein die Ehre geben. Unser Gott verstößt nie einen in die Irre gegangenen Menschen, wenn er gebeugt zu Ihm kommt. Er stellt ihn wieder her und vermag ihn hernach größerer Ehre zu würdigen als zuvor, wie das bei Nebukadnezar der Fall war (Dan 4,36; Hiob 42,10 f.).