Der menschlich, aber nicht biblisch urteilende Mensch empfindet die Handlungsweise Abrahams Hagar und ihrem Sohne gegenüber als brutal. Es wurde auch gewiß Abraham selbst sehr schwer, dem Drängen Saras nachzugeben, hätte ihm nicht Gott befohlen, nach den Worten Saras zu handeln. Wer die neutestamentliche Erklärung in Gal. 4 liest, erkennt den wahren Sinn und ist befriedigt. Abgesehen von der inneren Bedeutung entsprach Abrahams Handlung der Landessitte, das ersehen wir wiederum aus Kap. 25,6. Wir wollen einen Vergleich ziehen zwischen dem ausgestoßenen Ismael und dem Sünder.
Der ursprüngliche Zustand. Wir kennen Ismaels Herkunft und wissen, daß er im Hause der Fülle wohnte, wie einst der Mensch im Paradiese. Seines Spottens wegen mußte Ismael das Haus des Segens verlassen und hinaus in die Wildnis ziehen. Der göttliche Befehl lautete: „Stoßet den Sohn der Magd hinaus.“ So erging es dem Menschen nach dem Fall, er mußte Eden verlassen und kam auf die fluchbeladene Erde. Wie einst vor dem Paradies ein Cherub stand und den Rückweg schloß, so gab es auch für Ismael kein Zurück, er hatte die Gnade verscherzt.
Der Ausgestoßene. Was hatte Ismael gesündigt? Er hatte gespottet. Obwohl er unter dem besten Einfluß am Altar erzogen worden war, verhöhnte er den Erben der Verheißung, der der Segensträger Gottes war; denn aus dieser Linie kam der Christus. Das war eine grobe Sünde und indirekt der Verwerfung Christi gleichkommend. Für solche Menschen gibt es kein Vaterhaus droben, denn niemand kommt zum Vater als durch Christus (Joh 14,6).
Ismael war ein Verfolger (Gal 4,28.29), er verfolgte den Erben nach dem Geiste, etwa ähnlich wie der religiöse Saulus die wahren Gotteskinder verfolgte und sogar mißhandelte. Der lediglich religiöse Mensch ist und bleibt ein geschworener Feind der aus Gott Geborenen, das sehen wir am besten bei den Schriftgelehrten und Pharisäern in Jesu Tagen. So ist es bis heute geblieben: die Namenchristenheit haßt die Heiligen des Herrn, das bezeugt der Herr selbst wiederholt. Dieser Streit setzte gleich am Anfang der menschlichen Geschichte ein. Der bloß religiöse Kain haßte den wahrhaft gläubigen Abel, obwohl dieser sein Bruder war. So war der erste Mord ein Religionsmord, und seither sind Ströme von Blut aus diesem Grunde geflossen.
Ismael war der Sohn nach dem Fleisch. Der Herr sagt: „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch.“ Der fleischliche Sinn ist Feindschaft wider Gott (Röm 8,5-9). Der Unwiedergeborene wird wie Ismael ausgestoßen, er kann das Reich Gottes nicht sehen (Joh 3,3; Mt 8,11.12). Die Wahrheit hat ihn nicht freigemacht, weil er ihr widerstrebt hat (Gal 4,30.31; Joh 8,32).
Der Weg des Übertreters ist hart. Diese Tatsache mußte Ismael schon als Kind erfahren. Er führte Ismael mit seiner Mutter in die Wüste. Sie steht im großen Gegensatz zum Hause Abrahams, einer Stätte des Segens in jeder Hinsicht. Die dürftigen Vorräte waren bald erschöpft. Er war am Verschmachten und mag ähnlich dem verlorenen Sohn geklagt haben: „Ich verderbe im Hunger.“ Jeder gottferne Mensch muß dürsten (Lk 16,25), es sei denn, er trinke vom Lebenswasser (Joh 4,14).
Er lag im Sterben (Vs. 16). Schwere Enttäuschungen, Tränen, Not, Elend, ja der Tod sind die Folgen des Sündenweges. Eigene Wege bringen schweres Herzeleid mit sich. Der trostlose Zustand der beiden Vertriebenen rief den erbarmenden Gott auf den Plan. Gott ist dem Schreienden nie ferne (Apg 17,27). Er offenbart sich jedem Suchenden. Wer da sucht, der findet.
Das Eingreifen der Gnade. Kein Schreien ist Gott so willkommen wie das Schreien verlorener Sünder, das sehen wir am Herrn, als Er sich selbst am Kreuz vergißt, an den Schächer denkt und ihn errettet. Es ist Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tut. Gott hörte das Schreien eines David und sah den betenden Saulus (Ps 40,1-3; Apg 9,11) und half ihnen aus ihrer Not (Ps 145,19).
Gott sprach Worte des Trostes zu Hagar: „Fürchte dich nicht“ (Vs. 17). Ganz gleich, wie weit der Sünder in der Gottferne sein mag, Gott sieht und hört ihn. Der Heilige Geist überführt erst den Sünder von seiner Schuld und offenbart ihm dann die Kostbarkeit des Blutes Jesu. Er ruft ihm auch ein „Fürchte dich nicht“ zu. „Es hat überwunden der Löwe aus Juda.“
Gott öffnete der Hagar die Augen. Das ist es, was Gott dem Sünder gegenüber tut. Jener Brunnen, auf den der Engel sie hinwies, war längst dort, nur Hagar sah ihn nicht. Ihre Augen waren gehalten wie die Abrahams, als er später den Isaak opferte und den Widder auch nicht sah (Kap. 22,13). Die Erlösung ist längst vollbracht, aber der irrende Sünder sieht und erkennt sie nicht. Geöffnete Augen sind eine besondere Gnade. Welch wunderbare Gotteswerke können wir von einer Sternwarte aus sehen. Durch das Fernrohr wird uns gezeigt, was das natürliche Auge nie zu sehen vermag. Oder welche Wunderwerke sehen wir vermittels eines Mikroskops bis hin zu den Molekülen. Augen, durch die Gnade geöffnet, dürfen sehen, was kein Auge gesehen. Gott will den Menschen die Augen öffnen. Viele wollen nicht sehen, weil sie die Finsternis mehr lieben als das Licht. Kaufe dir Augensalbe, sagt die Schrift (Off 3,18). Wie die Tränen der Witwe zu Nain, deren Sohn man zu Grabe trug, ihre Augen trübten, so daß sie den vor ihr stehenden Lebensfürsten nicht sah, so schwächten auch Hagars Tränen ihre Sehkraft. Plötzlich entdeckte sie den Brunnen und labte ihren sterbenden Sohn. Mit von Gott geöffneten Augen sah sie die reiche, göttliche Fürsorge, nahm und trank. Geöffnete Augen sind ein Gottesgeschenk. Gott beauftragt seine Diener, den Menschen die Augen zu öffnen. Das tat Paulus in geschickter Weise vor Agrippa (Apg 26,18). Geöffnete Augen über göttliche Dinge erfüllen das Herz mit Freude (1. Könige 10,4 ff.). So jubelten die Emmausjünger, als der Herr ihnen die Augen öffnete (Lk 24,31). Ähnlich erging es den Brüdern Josefs, als sie ihren Bruder erkannten (1. Mose 45; vergl. auch Ps 119,18).
Mutterliebe. Ergreifend in unserem Abschnitt ist die Mutterliebe. Hagar konnte nicht des Knaben Sterben sehen. Größer aber als alle Mutterliebe ist die Liebe Gottes. Gott ist Liebe. Sie hat Umfassenderes zur Rettung des Sünders getan, um den Durst seiner Seele zu stillen. Gott kann das Sterben des Menschen nicht sehen, darum offenbart Er ihm den Born des Heils. Nun lädt Er ihn ein, zu kommen und zu trinken (Off 22,17).
Eine große Verheißung. Ismaels leiblicher Durst wurde gestillt, wie später die Samariterin die Stillung des Durstes ihrer Seele erlebte. Die große Verheißung: „Wer von dem Wasser trinken wird, das Ich ihm gebe, den wird nicht dürsten in Ewigkeit.“ Ismael trank und lebte auf. So darf und muß der Sünder zu Jesus, dem Born des Heils, kommen und trinken, so hat er das ewige Leben.