Der Besuch Jakobs bei Laban bereitete zunächst allseitig große Freude. Jakob fühlte sich bald daheim, und seine Dienste als Hirte wurden sehr geschätzt. Vor allem wohl darum, weil sie Laban großen Nutzen einbrachten. Die Tatsache, daß Jakob der Gesegnete Jehovas war und daß der Väter Segen auf ihm ruhte, machte Jakob noch begehrenswerter für Laban. Er sann nach, wie er Jakob als Schwiegersohn bekommen könnte, denn Laban war sehr eigennützig, ein ausgesprochener Materialist. Schnell flog die Zeit dahin. Bereits ein Monat war seit Jakobs Ankunft vergangen, und Laban sah, wie Jakob seine Tochter Rahel über alles liebte, sah aber auch, wie er in ihm einen fleißigen, fähigen und fachkundigen Mann ins Haus bekommen hatte. Auch hatte Laban indessen wohl erfahren, daß sich Jakob den Rückzug ins Vaterhaus durch seine eigene Sünde verriegelt hatte. So fand er die Gelegenheit günstig, ihn als Knecht zu dingen. Jakob war ganz arm zu Laban gekommen und konnte also außer seiner Arbeitskraft nichts bieten, um Rahel zu erwerben. Damals erwarb man bekanntlich Frauen durch eine Heiratsgabe. In Hosea 12,12 lesen wir, daß Jakob „um ein Weib diente“. So schloß Laban mit Jakob einen Vertrag, nach dem dieser sieben Jahre arbeiten sollte, um Rahel zu gewinnen.
Jakob der Diener. Auch hier sehen wir wiederum den großen Unterschied zwischen der Brautwerbung des Elieser um Rebekka und derjenigen Jakobs um Rahel. Abrahams Knecht zog nach einigen Tagen mit der gewonnenen Braut heim. Jakob aber rnuß viele Jahre schwer um sie dienen. Im Dienste um Rahel dürften wir wohl ein kleines Vorbild auf Christus und Sein Volk sehen. Er kam aus viel weiterer Ferne, um in härtester Arbeit eine Braut zu werben. Nach den Worten Jakobs war sein Dienst um die geliebte Braut ein sehr harter (Kap. 31, 38-41), und doch dünkten ihn die Jahre wie Tage (Vers 20). Jakobs Liebe zur Braut gab ihm immer wieder neuen Mut und Kraft, auszuharren. Aber unendlich größer ist die Liebe des Herrn zu uns, den Seinen, eine Liebe, die selbst den Tod nicht scheute. Dem Herrn bangte nach Seinen eigenen Worten vor der schweren Stunde, die Er zu unserer Rettung mit Zittern und Zagen durchmachen mußte (Lk 12,50; Jes 53,8). Im Blick auf Rahel erduldete Jakob wohl allerlei Härten, aber im Blick auf unsere Rettung erduldete Jesus den Kreuzestod und „achtete der Schande nicht“ (Heb 12,2; Jes 53,10.11).
Harte Enttäuschungen. Schnell vergingen die sieben Jahre schweren Dienstes um Rahel, denn wir hören bereits, daß Jakob sie so innig liebte, daß ihm die Jahre wie Tage erschienen. Nun nahte der Tag der Hochzeit. Jakob kannte die Selbstsucht Labans, aber dessen Geriebenheit durchschaute er noch nicht. In listiger Weise hatte dieser einen gemeinen Betrug vorbereitet. Hochzeitsfeste währten damals sieben Tage und erst am siebenten Tage wurde des Abends die verschleierte Braut durch Amme und Vater ins Gemach des Bräutigams geführt. Anstatt der Rahel führte Laban dem Jakob die Lea zu, die auf Anraten ihres Vaters ihm Rahel vortäuschen mußte. Das gelang ihr offenbar so gut, daß Jakob den Betrug erst morgens merkte. Jakob protestierte begreiflicherweise bei Laban, aber dieser war auch jetzt um keine Ausrede verlegen. Er erklärte dem hintergangenen Jakob, daß die Landessitte dies so fordere. Warum aber hatte er das Jakob nicht früher gesagt? Jakob mußte gute Miene zum bösen Spiel machen. Im Blick auf seine Vergangenheit hatte er ja viel Ursache, vor seiner eigenen Tür zu kehren, und so schickte er sich in die Lage. Immer wieder bestätigt sich das bekannte Sprichwort: „Womit der Mensch sündigt, damit wird er bestraft“.
Diese boshafte Ausrede entschuldigt aber Laban keineswegs. Er versündigte sich ja bei diesem schmählichen Handel in vieler Hinsicht und bekam später auch den gerechten Lohn. Laban sündigte gegen Jakob, indem er ihm seinen treuen Dienst, durch den er reich geworden war, so ungerecht vergalt.
Laban sündigte gegen Lea, die er zum Betrug verleitete, und ganz besonders auch gegen Rahel, der er ihren ersehnten Bräutigam vorenthielt. Gewiß weinte sie bitterlich über diese Herzlosigkeit. ihres eigenen Vaters.
Vor allem aber sündigte er gegen Gott, denn mit seiner schnöden
Handlung verführte er Jakob zur Vielweiberei. Obwohl sie damals Sitte
war, so widersprach sie doch Gottes Wort (1. Mose 2,22-24;
Gerechte Vergeltung. Wie die Saat, so die Ernte. Auch Jakob begann
nun, diese uralte Wahrheit zu erfahren. Einst hatte er Esau und seinen
Vater hintergangen, als er sich als den Erstgeborenen ausgab, und nun
betrog ihn Laban mit seiner erstgeborenen Tochter, der Lea. Jakob hatte
damals gewiß den Schrei des Esau gehört, als dieser vernahm, daß Jakob
ihm beim Empfang des Erstgeburtssegens zuvorgekommen war (Kap. 27,34).
Wird nicht auch er über das ihm widerfahrene Unrecht getrauert haben?
Jakob hatte zu seinem Betrug das Dunkel ausgenutzt, in dem sich sein
Vater Isaak befand. Lea wurde im Dunkel der Nacht ihm zugeführt. Jakob
war zu seinem Vater Isaak in den Kleidern seines Bruders Esau gekommen,
er hatte sich also getarnt. Lea wurde dem Jakob verhüllt, also auch
getarnt, zugeführt. Gewiß wurde Jakob durch seine herben Erfahrungen
veranlaßt, an seine eigenen Ungerechtigkeiten zu denken, an seine Brust
zu schlagen und Buße zu tun. So ungerecht Laban war, so gerecht handelte
Gott (Ri 1,7). In Jakob sehen wir den betrogenen Betrüger (Hiob 4,8). Ähnlich gerechte Vergeltungen durch Gott finden wir öfters in der
Schrift. Denken wir an Pharao, der den grausamen Befehl gab, alle
neugeborenen israelitischen Söhne ins Wasser zu werfen. Später mußte er
selbst ertrinken (2. Mose 1,22; 14,28). Oder denken wir an den Aussatz
des Gehasi (2Kön 5,27). Und wenn wir 1Kön 21,19 mit Kap. 22,38
vergleichen, so lesen wir, daß Ahab das widerfuhr, was er an Naboth
gesündigt hatte. Saulus hatte Wohlgefallen an der Steinigung des
Stephanus gehabt und in Lystra wurde er selbst gesteinigt (