Bei Jakob trifft das Wort: „Wir müssen durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen“ (Apg 14,22) buchstäblich zu. Dafür ist besonders auch dieses Kapitel ein Beweis. Man darf es füglich das Kapitel der Gräber nennen. Darüber hinaus aber werden drei Gräber besonders geliebter Menschen genannt. Von einem Grab besonderer Art, dem Grab der Götter (Vers 4) haben wir schon gehört. Das erste Grab war Voraussetzung dafür, nach Bethel zu gelangen. Bethel und fremde Götter sind unvereinbar. Im Glaubensleben ist als erstes wichtig, daß der alte Mensch mit seinen Werken begraben wird (Röm 6,4). Der Gläubige muß darüber hinaus durch allerlei Trübsal geläutert werden. Die nachstehend genannten Gräber haben uns viel zu sagen, und wir wollen kurz eines nach dem andern betrachten.
Das Grab der Götter. Wir haben die Götzen schon früher erwähnt, doch des Zusammenhanges und der Wichtigkeit wegen sei nochmals an sie erinnert. Wir staunten, wie bereitwillig Jakobs Familie die Götter herausgab. Nun sehen wir, was Jakob damit machte: er vergrub sie. Die Götter stellten gewiß einen hohen materiellen Wert dar, aber Jakob legte sie nicht nur beiseite, sondern vergrub sie. Soll Christus uneingeschränkt in uns wohnen, so muß das Alte in uns völlig in den Tod gegeben werden (Gal 2,20; 2Kor 5,17). Wer in voller Gemeinschaft mit Gott leben will, über dessen Leben stehen die Worte: mit Christus gestorben und begraben, aber auch auferstanden. Räumen wir mit allem gründlich auf wie einst die Epheser, und wenn es noch so viel kostet. Dementsprechend fließt dann aber auch reicher Segen (Apg 19,19). Das Grab der Götter steht also an erster Stelle, das ist sehr zu beachten.
Das Grab der Debora. Debora war nur eine einfache Magd, aber vor Gott gilt kein Ansehen der Person. Gott räumt allen den ihnen gebührenden Platz ein, ob Gutsherr wie Philemon oder Sklave wie Onesimus. Verschaffen wir uns, wie es auch sonst an Gräbern üblich ist, einen kleinen Überblick über ihr Leben.
Ihr Name. Debora heißt „Biene“. Mit diesem Namen sollen wir wohl an ihren Fleiß erinnert werden. Wie einst Hagar die Magd Sarais war, aber viel Herzeleid in Abrahams Haus brachte, so war Debora Rebekkas Magd, die jedoch viel Honig eintrug, also sehr nützlich war.
Ihre Herkunft. Sie war aus dem Hause Bethuels, des Vaters der Rebekka, und war gemeinsam mit andern Mägden mit Rebekka ausgezogen (Kap. 24 61). Die Tatsache, daß nur sie mit Namen genannt wird, besagt gewiß, daß sie mit Recht besonders geschätzt wurde.
Ihre Treue. Während etwa 140 Jahren hatte sie schon Rebekka, der Mutter Jakobs gedient. Es ist wohl anzunehmen, daß Jakob nach seiner Rückkehr nach Kanaan seinen alten Vater Isaak besuchte. Seine Mutter war indessen gestorben. Wie ein altes, liebes Andenken an seine Mutter nahm er Debora in sein Haus auf. Was einst Elieser als Knecht dem Hause Abrahams war, war Debora als Magd dem Hause Isaaks und der Rebekka. Hier hatte ein inniges Freundschaftsband bestanden. Wir haben hier ein schönes Bild, wie es zwischen gläubigen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sein soll.
Ihr Tod. Sie starb in Bethel. Das war gewiß ein schöner Ort, um zu sterben. Bethel, der Ort, an dem später David zu leben und zu wohnen wünschte (Ps 27,4). Mit ihrem Tode war das letzte Band, das Jakob mit der Jugendzeit und dem Vaterhause noch verbunden hatte, durchschnitten. Während einiger Generationen sah und lebte sie in der auserwählten Familie. Nun begrub man sie unter der Eiche Allon Bakuth, d. h. „Eiche des Weinens“. Ihr Abscheiden verursachte offenbar viele Tränen, die ein beredtes Zeugnis ihrer Treue und Hingabe bedeuteten. .
Das Grab der Rahel. Wenn, wie wir eben sahen, der Tod der Debora viele Tränen gekostet hat, so können wir uns denken, was das Sterben der Rahel, des Lieblingsweibes Jakobs, für diesen bedeutet hat. Früher haben wir uns mit dem Charakter Rahels beschäftigt, darum wollen wir hier nicht mehr darauf eingehen, sondern nur ihren Tod betrachten.
Die Ursache ihres Sterbens. Rahel starb bei der Geburt ihres zweiten Sohnes Benjamin. In Kapitel 31,1 hörten wir ihren Ausspruch: Gib mir Kinder, und wenn nicht, so sterbe ich.“ Hier war nun ihre Sehnsucht gestillt worden. Aus Jer 31,15 und Mt 2,18 ersehen wir, daß Rahel ihre Kinder beweinte und über ihren Verlust untröstlich war. Aus ihrer Not wollen wir lernen, uns in Gottes Wege willig zu fügen. Bei der Geburt wurde Rahel noch von ihrer Hebamme mit den Worten ermuntert: „Fürchte dich nicht, denn auch dieser ist dir ein Sohn.“ Aus dem Namen, den Rahel diesem Kinde gab, dürfen wir wohl auf ihre Not bei der Geburt schließen. Sie nannte ihren Jüngsten Benoni, d. h. „Schmerzenskind“ oder „Sohn der Not“. Jakob dagegen gab ihm den Namen „Benjamin“, d. h. Sohn meiner Rechten. Jakob war innerlich wiederhergestellt und handelte nun im Glauben. Von der sterbenden Rahel wurde ihm der Sohn der Rechten geschenkt.
Die Lage der Grabstätte. Rahel wurde an dem Wege nach Ephrath, d. i. Bethlehem begraben. Das Grab Rahels war noch sehr lange bekannt (1Sam 10,2). Bethlehem aber erlangte später eine große Bedeutung: Hier wurden David, Israels größter König, geboren und vor allem Jesus, der Sohn Davids. Hier wird Bethlehem zum ersten Male genannt.
Jakob reiste nun von Bethlehem nach Bethel, dem Hause Gottes. Bethlehem heißt Brothaus, der Ort, da die wiederhergestellte Seele reichlich Nahrung findet.
Rahels Denkmal. Nach Vers 14 hatte Jakob ein Denkmal der Freude und Dankbarkeit gesetzt, nun aber rnuß er ein solches der Trauer setzen. Wie diese beiden Denkmäler in ihrer Bedeutung verschieden waren, so wechselte im Leben oft Freude und Traurigkeit. Wer kann sich ausdenken, welche wehen Gefühle Jakob erfüllten, als er seiner so geliebten Rahel einen Denkstein setzte! Wie schwer ihm der Abschied von Rahel wurde, ersehen wir noch aus seinen Segenssprüchen in Kapitel 48,7.
Der Abschied. „Und Israel brach auf“ (Vers 21). Wir können uns kaum Jakobs Gefühle vorstellen, als er das Grab Rahels verließ. Aber er blieb nicht untröstlich stehen, wie dies oft selbst bei Gotteskindern in ähnlicher Lage der Fall ist. Jakob kannte den Gott allen Trostes, und so zog er getröstet weiter (2Kor 1,3). Hier steht geschrieben: „. . . und Israel brach auf.“ Als „Israel“, als wahre Gotteskämpfer, können wir jeden Schmerz ertragen und uns sogar der Trübsale rühmen (Röm 5,3). Ehe wir Jakob zum letzten Grabe, zum Grabe seines Vaters Isaak begleiten, müssen wir noch einiges erwähnen. Groß und noch frisch war der Schmerz Jakobs über den Verlust der Rahel, da entstand Jakob eine neue, schwere Not durch die sündige Verbindung Rubens mit seinem Kebsweibe (Vers 22). Es heißt hier: „Und Israel hörte es.“ Wiederum schwieg er wie beim Bekanntwerden der Sünde der Dina. Jakob, der im vollen Segen von Bethel stand, vermochte als wahrer Israel den Schmerz zu ertragen. Ruben beging jene Sünde, die Paulus in 1Kor 5,1 rügen mußte, eine Sünde, die selbst unter den Heiden verabscheut wurde. Ruben mußte später seine Sünde schwer büßen. Sie brachte ihm den Verlust des Erstgeburtsrechtes ein. Sein Vater dachte daran, als er später den Segen austeilte mit den Worten: „Ruben, mein Erstgeborener bist du, Kraft und der Erstling meiner Stärke. Vorzug an Hoheit und Vorzug an Macht. Überwallend wie die Wasser sollst du keinen Vorzug haben, denn du hast das Lager deines Vaters bestiegen, da hast du es entweiht“ (1. Mose 49,3.4). Niemand, der bewußt in der Sünde lebt, bleibt ungestraft.
Zu den schweren Wolken, die durch die Sterbefälle über Jakobs Familie heraufgezogen waren, kam nun das Herzeleid, das Ruben seinem so oft heimgesuchten Vater bereitete.
In den Versen 23-26 werden zum ersten Male alle zwölf Söhne Jakobs genannt. Später finden wir sie öfters genannt, ja sogar noch im letzten Buch der Heiligen Schrift (Off 7,5-8; 21,12). Im vorliegenden Kapitel werden sie wohl genannt in Verbindung mit der Ankunft bei seinem Vater Isaak in Hebron, dem er die Söhne vorstellte. Das war ein Erleben für Isaak, der darin die beginnende Erfüllung der großen Verheißung sah, daß durch seinen Samen alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollen.