Schriften von Georg R. Brinke
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Dan 6,20-29 - Der nächste MorgenDan 6,20-29 - Der nächste Morgen
Nichts vermochte den König von der Grube abzuhalten. Ängstlich benommen und voll Wehmut machte er seinem Herzen Luft und rief den Verurteilten mit Namen, indem er sprach: „Daniel, Knecht des lebendigen Gottes, hat dein Gott, welchem du ohne Unterlaß dienst, vermocht, dich von den Löwen zu erretten?“ Die Rettung schien ihm fast so unglaublich wie den Gläubigen, die um die Befreiung des Apostels Petrus beteten (Apg 12) ; und doch erkannte er unzweideutig Daniels Stimme mit der Antwort: „O König, lebe ewiglich! Mein Gott hat seinen Engel gesandt und hat den Rachen der Löwen verschlossen, daß sie mich nicht verletzt haben, weil vor Ihm Unschuld an mir gefunden wurde; und auch vor dir, o König, habe ich kein Verbrechen begangen“ (Psalm 34,8; 103,20.21). wie belehrend ist Daniels Antwort! Sie enthält nichts von Bitterkeit gegen den König, nichts von Vergeltung an den Feinden. Wer seine Wege aus Gottes Hand nimmt, wird nie gegen die klagen, die den Kelch der Leiden darreichen. Daniel darf sagen, daß Gott ihn seiner Treue wegen vor den Löwen bewahrt hatte. Das erinnert uns an einen untreuen Propheten, der seines Ungehorsams wegen von einem Löwen getötet wurde. (1Kön 13.) Das untreue Gotteskind hat keinen Mut, an die Verheißung zu glauben. Daniel dagegen hatte ihre Erfüllung in überwältigender Weise erfahren. Wahrlich, die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten (Psalm 126). Babylon aber erlebte in dieser Sache noch eine weitere wunderbare Offenbarung des lebendigen Gottes.
Fragen wir: warum mußte Daniel also leiden? Warum mußte Paulus unter Nero sterben? Warum mußte gar der Herr unter Pilatus gekreuzigt werden? Warum das viele Leid des einen oder andern Gotteskindes? Die Antwort nehmen wir aus der Schrift (Lk 24,26; Apg 9,16). Gott will sich auf diesem Wege durch jeden Leidenden verherrlichen und Frucht wirken. Und so verschieden die Leiden, so verschieden sind auch die Befreiungen, die Gott gibt. Einige erfahren sie sichtlich wie Daniel und seine Freunde, oder wie Petrus und Johannes aus dem Gefängnis; andere dagegen werden in ihren Leiden gelassen und sie blicken auf die bessere Auferstehung, etwa wie Stephanus oder Jakobus (Heb 11,33-40; Apg 7,59; 12,2; Joh 21. 18, 19; 2Pet 1,13-14).
Die Geschichte des Löwengrabens ist ein treffliches Bild auf die
Endzeit. Gleich wie Daniel durch tiefe Not ging, aber gerettet wurde, so
wird es auch am Ende mit dem treuen Überrest Israels sein, der ebenfalls
um des Glaubens willen hart verfolgt, aber vom Herrn bewahrt werden
wird, wie z. B. die 144 000 und das Weib (Israel) in Off 12,6. Wieder
andere werden die Befreiung allerdings nicht erleben (
Das Gericht an den Feinden. Wenn Darius es ehedem an Energie hatte mangeln lassen, so übte er doch hernach um so genauere Gerechtigkeit. So sehr der König sich freute, daß keine Verletzung an Daniel zu finden war, und er ihn sofort aus der Grube ziehen ließ, ebensosehr war er über die Feinde Daniels ergrimmt und rechnete nun gründlich mit ihnen ab. Die Freude bei Gottlosen ist von kurzer Dauer und die Vergeltung liegt so nahe. Das sehen wir auch so recht bei den Feinden der zwei Zeugen in Offenbarung 11,7-11, deren Freude über den Tod der beiden Zeugen sehr groß war, die aber selbst bald unter den Trümmern Jerusalems ihr Grab fanden. Ein neuer Befehl des Königs! Diesmal galt er den sich selbst betrogenen Verklägern und ihren Familien. Salomo sagt: Der Gerechte wird aus der Not befreit, und der Böse gerät für ihn hinein (Spr 11,8). Ohne Gott, ohne Hoffnung, ohne Abschiedswort des Königs eilten die einst Schadenfrohen ihrem Gericht entgegen. Sie sahen einen beschützenden Engel – allein die gähnenden Rachen der Löwen bewillkommten sie, und ehe sie den Boden der Grube erreichten, bemächtigten sich ihrer die Bestien und zermalmten ihre Gebeine. Ohne Zweifel ging ein Schaudern und Grausen durch Babylons Adelsherrschaft ob der zwei sich ablösenden Ereignisse an grausamer Richtstätte. Hier erfüllte sich das Wort in Gal 6,7 vor aller Augen: „Was der Mensch säet, das wird er auch ernten.“ Wir erinnern in diesem Sinne auch an Adoni -Besek, der bekennen mußte: „Siebenzig Königen habe ich die Daumen an Händen und Füßen abgehauen; wie ich ihnen getan habe, so hat man mit getan (Richter 1,6-7). Die hohe Stellung der Feinde Daniels schütze sie so wenig wie sie Haman im Buche Esther schütze. Der Herr haßt den Bösen und den, der Unrecht liebt; die Gerechten aber erfahren die Befreiung (Psalm 11,5; 2Tim 3,10-11; Off 2,10).
Der herrliche Ausgang. Die Feinde Daniels waren für immer gerichtet. Keiner wird es mehr gewagt haben, ihn zu verdächtigen und anzutasten. Gott hatte sich aufs neue so sichtlich geoffenbart wie damals, als Er Daniels Freunde im Feuerofen bewahrte.
Daniels große Errettung war mit einem Manifest an alle Völker verbunden. Darius sah sein Zukurzkommen deutlich ein und wollte, soviel in seinen Kräften lag, vor Gott und Menschen alles wieder gutmachen.
Der Erlaß des Königs Darius war eine besondere Ehrung Gottes. Sein Aufruf war weitgehender als der des Königs Nebukadnezar, der auch an alle Völker erging. Inhaltlich gleicht er jenem Wort in Off 14,6-7, das „das ewige Evangelium“ genannt wird: „Fürchtet Gott und gebet Ihm die Ehre“. Das war ja gerade die Botschaft an die Nationen zu allen Zeiten und wirb sie besonders in der Endzeit sein, wenn es gelten wird, entweder Gott oder das Tier zu fürchten und zu ehren.
Die Ursache des Erlasses: Darius hatte durch die große Bewahrung Daniels erkannt, wer der Gott Israels ist und deshalb rühmte er ihn in fünffacher Weise:
Er ist ein lebendiger Gott, im Gegensatz zu den Göttern Babels, die kein Leben haben und weder retten
noch helfen können.
2. Er ist ein ewiger Gott.
3. Er hat ein unzerstörbares Reich, das sich über alle Reiche erstreckt; also mächtiger und größer und vor allem bleibender ist als jene Reiche, die Daniel beschreibt und die einander ablösten.
Er ist ein rettender Gott. Das hat er eben neu durch die Befreiung und Rettung Seines Knechtes Daniel aus der Gewalt der Löwen bewiesen.
5. Er ist ein Gott, der Zeichen und Wunder tut im Himmel und auf Erden.
Der Erlaß war aber auch eine besondere Ehrung Daniels. Aus der tiefsten Erniedrigung und Not, der grausamen Grube, wurde er zu höchster Ehre erhoben. Daniel erfuhr das Wort: „Die mich ehren, will ich ehren.“ Sein Einfluß wurde überaus groß und er hatte Gedeihen; die letzte Prüfung war mit Erfolg bestanden. Er überlebte Darius und diente unter Kores (Cyrus), der das bekannte Edikt über die Heimkehr der Juden ergehen ließ, und dies sicherlich nicht ohne den besonderen Einfluß Daniels (2Chr 36,22-23; Esra 1; Jer 29,10). Daniel mochte Kores auf die alte Weissagung über ihn, in Jes 44,28 aufmerksam gemacht haben, welche von Kores spricht: „Mein Hirt, und der all mein Wohlgefallen vollführt, indem er von Jerusalem sprechen wird: es werde aufgebaut! und vom Tempel: er werde gegründet!“ Und in Jes 45,1-4 heißt es dann weiter: „So spricht Jehova zu seinem Gesalbten, zu Kores, dessen Rechte ich ergriffen habe, um Nationen vor ihm niederzuwerfen und damit ich die Lenden der Könige entgürte, um Pforten vor ihm aufzutun, und damit Tore nicht verschlossen bleiben. Ich, ich werde vor dir herziehen und werde das Höckerichte eben machen; eherne Pforten werde ich zerbrechen . . . Um Jakobs, meines Knechtes, und Israel, meines Auserwählten willen, rief ich dich bei deinem Namen.“ Wie wird Kores darüber gestaunt haben, seinen Namen mehr als 100 Jahre zuvor, von Gott erwähnt zu finden. Und nebenbei sei gesagt, daß unsere Namen vor Grundlegung der Welt bestimmt wurden. Unter Kores kehrte Juda aus der Gefangenschaft zurück. Gott nennt Kores Seinen Gesalbten und Hirten. Unter diesem Titel ist er sogar ein Vorbild auf Christus, den Gesalbten und Hirten. Wenn der Herr in Macht und Herrlichkeit kommen, und Sein geliebtes Volk aus dem Rachen des Löwen befreien wird, dann wird ein Größerer als Kores erscheinen. Er wird die zerstreuten Schafe vom Hause Israel sammeln und weiden. Man wird in einem noch herrlicheren Tempel, als in dem, der unter Kores erstellt wurde, wahre Anbetung dargebracht werden. Dann werden alle Völker kommen und Jesus, den Gesalbten und Hirten, anbeten.
Wie wunderbar, ja, unbegreiflich sind Gottes Wege mit den Seinen! Wohl dem, der in jeder Hinsicht, auch in der schlimmsten Lage, Gott vertraut. Daniel hat nicht allein für sich, sondern auch für sein Volk gelitten, dessen Gefangenschaf t nun ein Ende nehmen sollte. Er hat den Weg jener Trauernden an Babylons Flüssen gebahnt, damit sie wiederum mit Freuden die Harfen von den Weiden nehmen konnten und fröhlich ins Land der Zierde zurückkehren. Wäre Daniel untreu gewesen, so wäre eine judenfeindliche Staatsleitung ans Ruder gekommen. Wie groß ist doch der Segen der Treue eines Einzelnen bis in den Tod, nicht nur für ihn selbst, sondern auch für Gottes Volk im allgemeinen. So möchten auch wir hier jedem Treuen zurufen: „Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst“ (Off 2,10). Mit Paulus stimmen wir in jenes Siegeswort ein: „Der Herr wird mich retten von jedem bösen Werk und bewahren für Sein himmlisches Reich, welchem die Herrlichkeit sei von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ (2Tim 4,18).