Schriften von Georg R. Brinke
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Dan 9,4-19 - Daniels GebetDan 9,4-19 - Daniels Gebet
Die Begebenheit, um die es sich hier handelt, fand v o r Kapitel 6 statt. Daniels vieles Beten mag den Gottlosen Beamten, die ihn näher kannten, aufgefallen sein und so wird, um dem zu steuern, das Gesetz gegen das Beten in Kapitel 6, 1-9 entstanden sein. Ernstes Beten ist gewöhnlich von persönlicher Heiligkeit begleitet, die sich im Gesicht widerspiegelt und sehr wahrscheinlich die Amtskollegen strafte. Doch Israels Not war Daniels Not, die er immer wieder vor Gott ausbreitete. Leider gehen viele Kinder Gottes völlig sorglos an den Schäden des Volkes Gottes vorüber; höchstens, daß sie Sünden im eignen Lager bedauern, aber nur selten daran denken deshalb Buße zutun. Daniels Gebete hingegen sind der Ausdruck innerer Kämpfe und ergebener Hingabe eines außergewöhnlichen Heiligen zugunsten seiner Brüder. Lesen wir Daniels Gebet tief in unser Herz hinein, damit auch wir Herz und Sinn vor Gott beugen lernen und Erhörung finden.
Wann betete Daniel? Zur Zeit des Abendopfers. Obgleich kein Abendopfer mehr gebracht wurde (der Tempel lag ja in Trümmer und Daniel selbst war im gottlosen Babylon), so lebte sein Herz doch in den Anordnungen Gottes. Er war ganz von dem eingenommen, was einmal in Israel war. Entschloßen richtete er sein Angesicht nach Jerusalem. So soll noch heute der Kranke oder der aus Gezwungenheit abwesende Gläubige innerlich an den Gottesdiensten teilnehmen.
Die Anrede im Gebet. „Herr, du großer und furchtbarer Gott“ (Vers 4). Hier, wo Daniel vor dem König aller Könige, vor dem Allmächtigen erscheint, erweist er Ihm im Bewußtsein eigener Nichtigkeit höchste Ehrerbietung. Wohl dürfen wir Gott als „Abba Vater“ anrufen, sollen aber keineswegs Seine Heiligkeit und Majestät vergessen. Vor Ihm neigt sich der ganze Himmel, Cherubim und Seraphim stehen Tag und Nacht gebückt vor Ihm (Off 5). Ja, mit Johannes sagen wir: „Wer sollte sich nicht fürchten“ (Off 15,4).
Das tiefgläubige Gebet. Daniel jagt: „Gott, der du Bund und Gnade hältst denen, die dich lieben und deine Gebote halten“ (V. 4). Er kam also auf Grund der Verheißungen (3. Mose 26,40 f.; 5. Mose 30). Nur Glaubende empfangen von Gott, andere gehen leer aus (Jak 1,6). Ohne Glauben ist es unmöglich Gott zu gefallen (Hebr. 1l, 6). Man denke an das Ausmaß dieses Glaubensgebets. Er erflehte nicht weniger als die Heimkehr der Tausende und aber Tausende gefangener Juden, und war sich bemüht, daß Gott Seinen Bund mit den Vätern nicht brechen konnte; vielmehr Seines Freundes Abraham, für dessen Kinder erflehte, gedenken werde. Er betrachtete Gott auch als seinen persönlichen Bundesgott; denn zweimal brauchte er den Ausdruck „ m e i n“ Gott. Und die Erinnerung an die vielen Beweise der Güte und Treue Gottes leitete ihn zum Bußgebet und führte sowohl damals, wie noch heute, tatsächlich aus der Gefangenschaft. Wie der Herr selbst, so nahm auch Daniel die Sünde seines Volkes auf sich. Er glich keineswegs denen, die gleichgültig an der Wunde Josefs vorübergehen (Amos 6,6). Unmöglich konnte er Jerusalem mit seinem Heiligtum vergessen. Bei alledem dachte Daniel nicht zuerst an sich persönlich; er war ja ein Greis geworden, der kaum noch ins Land der Väter zurückkehrte, wenigstens finden wir diesbezüglich seinen Anhaltspunkt in der Schrift. Ihm lag zunächst die Ehre Gotte und das Wohl seiner Brüder auf dem Herzen und deshalb dieses ernste, innige Ringen vor Gott.
Der Hauptzug in Daniels Gebet. Welch ein schonungsloses Sündenbekenntnis! Wir haben gesündigt und verkehrt und gesetzlos gehandelt, wir haben uns empört und sind von deinen Geboten abgewichen“ (Vers 5). Diese Worte stellen eine äußerst harte Selbstanklage dar, obwohl die erwähnten Sünden den Propheten kaum angingen. Vielmehr waren seine Brüder und Väter von Gottes Wegen abgewichen. Dennoch machte er sich identisch oder solidarisch mit den Sünden seiner Brüder. Er kannte schon das, was später Paulus lehrte: „Die vielen sind ein Leib“; eins in Segnungen, aber auch eins in Verantwortung. Die meisten Gläubigen sind, was diese Geste betrifft, verblendet. Eher tragen sie die Sünden anderer herum, als sie fürbittend in Buße vor Gott niederzulegen. Wollen wir nicht fleischlich gesinnt sein, so müssen uns die fremden Vergehen und Verirrungen genau so tief beugen, wie die eigenen. Möchten mit doch alle, wie Elias, am Altar von zwölf Steinen stehen, d. h. alle Mitgläubigen als eine Familie betrachten. Wenn Daniel schon so einschneidende Nationalbuße tat, so sollten wir eigentlich um so mehr Internationalbuße tun, ob des großen Mangels der Kinder Gottes unter allen Nationen.
Ein besonderes Kennzeichen seiner inneren Zerknirschung liegt in dem
Bekenntnis: „Wir haben uns empört“ Verse 5, 6, 9, 10, 11). .Herr, du
hast uns Deine Propheten geschickt, aber wir hörten nicht auf sie, wir
haben sie sogar getötet (2Chr 36,13). Einen königlichen Boten
schmähen, heißt, den König selbst verachten. Was hätte z. B.
Nebukadnezar getan, wenn jemand einen seiner Gesandten verachtet über
gar umgebracht hätte? Diese ernste Sünde der Empörung und Ablehnung der
angebotenen Gnade hielt der Herr selbst den Juden vor (
Sehr zu beachten ist auch, wie überaus leid es Daniel tat, den Namen des Herrn durch die Vergehungen Israels verunehrt zu wissen. Jerusalem, die heilige Stadt Gottes, lag in Trümmern, herabgesunken zum Hohn und Gespött unter den Heiden. Das einstige Heiligtum, in dem Gott sich so mächtig offenbarte, war verwüstet, und Israel, das als Volk Jehovas galt (Verse 18, 19), hing andern Göttern an. Welch ein drückender Zustand für einen wahren Gottesmann! Daniel konnte es einfach nicht ertragen, daß der Name Gottes, der Sünde seines Volkes wegen, so erniedrigt wurde und er schrie zu Gott, diese Schande doch zu beseitigen. Mit andern Worten gesagt, er betete also für die Wiederherstellung der Ehre Gottes (Hes 36,22,23). In welchem Maße sind wir betrübt über die Lästerungen und das Gespött der Feinde Gottes, wenn sie leider mit Recht auf die Mängel des Volkes Gottes hinweisen?
Schließlich erinnert Daniel den Herrn an frühere Gnadenerweißungen (Vers 15). Wir hören Daniel gleichsam sagen: unsere Väter waren doch nicht besser als wir, dennoch hast Du sie aus Ägypten herausgeführt. Das war auch nur Deine Gnade und Dein Erbarmen über sie; Herr, willst Du dasselbe nicht jetzt an uns wiederholen? Du vermagst es ja; Dein Arm ist auch fernerhin noch stark genug, uns aus diesem Elend zu befreien. Und wenn schon ein Daniel zurückgriff auf die früheren Gnadenkundgebungen, so haben wir heute um so mehr Ursache, in vollem Vertrauen zu kommen, da uns der Apostel in Römer 8,32 wissen lädt: „Gott, der doch seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“
Und obgleich wir hier nicht auf all die Einzelheiten des Gebets eingehen können, so lernen wir doch das Wort Gottes mit ehrfurchtsvollem Flehen zu erforschen. Die Erfüllung irgend einer Verheißung Gottes ist auf dem Wege der Beugung und des Glaubensgebetes sicherlich zu erlangen.