Schriften von Georg R. Brinke
Die Weltreiche im Lichte der Prophetie
Dan 12,13 - Gehe hin bis zum EndeDan 12,13 - Gehe hin bis zum Ende
Der letzte Vers des uns lieb gewordenen Buches Daniel ist in jeder Hinsicht des großen treuen Schreibers würdig. Der Prophet war zwar am Schluß seines Buches, aber wie es scheint, noch nicht ganz am Ende seiner Lebensaufgabe. Die ihm anvertrauten Weissagungen waren abgeschlossen, noch ausstehende sollten seinen Nachfolgern ‑Haggai, Sacharia und Maleachi gegeben werden. Bis er also zu seiner Ruhe eingehen konnte, mußte er noch den vor ihm liegenden, für ihn von Gott bestimmten Weg vollenden.
Wie mag er sich als Kind aus königlichem Samen, als er mit seinen Eltern durch Jerusalems Straßen ging und den Tempel besuchte, seine Karriere so ganz anders ausgedacht haben, als sie in Wirklichkeit wurde. Später, als frommer Jüngling in Babylon wird er das Wort des Propheten Jesaja 55,8: „Meine Wege sind nicht eure Wege“ beherzigt haben. Als Mann stärkte er sich täglich in der Gemeinschaf t mit dem Gott seiner Väter; war seinem König untertan und diente ihm in musterhafter Treue. Jetzt als Greis steht er vor einer nahezu vollendeten, selbstlosen, mit vielen moralischen Gefahren verbundenen Laufbahn. Er hat erfahren: „ Ich will euch tragen bis ins Alter“ (Jes 46,4). Sein Leben war Mühe und Arbeit; aber er schaute wie Mose auf die Belohnung (Heb 11,25-27). Und obwohl es in bezug auf sein geliebtes Volk noch manche ungelöste Frage für ihn gab, weil der Zeitpunkt der göttlichen Enthüllung noch nicht gekommen war, so ermunterte ihn der Herr mit den Worten: „Du aber gehe hin bis zum Ende.“ Bleib nicht bei den Führungen deiner Brüder stehen; etwas, was wir alle mehr oder weniger mit Vorliebe tun, und worüber der Herr schon den Petrus in bezug auf Johannes korrigieren mußte, indem Er sagte: „Wenn ich will, daß e r bleibe bis ich komme, was geht das dich an?“ Folge du mir nach“" (Joh 21,22).
Du aber gehe hin bis zum Ende. Diesen Worten ist zugleich das Bild einer Wanderung zugrunde gelegt ‑, und das ist das Leben in Wirklichkeit. Wir alle sind auf der Reise zwischen zwei Welten und sie gestaltet sich nicht bei zweien von uns gleich, obwohl wir alle auf demselben Weg und zu demselben Ziel pilgern. Wie im Flug eilt die Landschaft dieses Lebens in einem immerwährenden Wechsel an jedem vorüber. Und wenn wir unser Leben mit einer Wanderung vergleichen wollen, so bringen wir gleichsam jede Nacht in einer andern Herberge zu. Täglich lassen wir Ansichten hinter uns, denen wir nie wieder begegnen. Wie töricht ist es deshalb, sich so krampfhaft an das Vorüberziehende zu halten, da wir doch alles und alle zurücklassen müssen. Daniel hatte, bildlich gesprochen, nur noch wenige Kilometer zurückzulegen; doch von einer Altersgrenze im Dienste des Königs war nicht die Rede. Die Welt pensioniert, aber der wahre Diener Gottes wirkt bis ans Ende, bis daß der Herr kommt (Lk 19,13). Er ist fest und unbeweglich und nimmt immer mehr zu im Werke des Herrn (1Kor 15,58). Wenn unser Herr und Meister selbst bis zum letzten Atemzuge diente, und sogar am Kreuze noch fürbittend Seiner Feinde gedachte, sollte dann der Diener nicht unablässig dem Beispiel seines Herrn folgen, und mit Entschlossenheit und ganzer Hingabe wirken bis zum Ende. Daniel praktizierte jenes „Sich selbst erhalten in der Liebe Gottes und andere zu retten, wie aus einem Feuer sie reißend“ (Jud 21-23). Bei ihm gab es kein handeln, wie bei jenem Knecht, der sagte: „Mein Herr kommt noch lange nicht“, und dabei seine Mitknechte schlug (Lk 12,45,46).
Du wirst ruhen. So fährt der Prophet fort am Ende seiner Tage von sich selbst zu reden. Die wenigen Ruhetage, die er in seinem Leben hatte, dienten nur zum Sammeln neuer Kräfte für kommende Dienste; hier aber war die Rede von der Ruhe, die noch vorhanden ist dem Volke Gottes. Ist es nicht geradezu eine wunderbare Art, das Ableben im Sinne von r u h e n zu betrachten. Das Ruhen nimmt dem Tode jeden Schrecken und erinnert uns an das Wort in Offenbarung 14,13: „Sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach.“ Du wirft ruhen, also nicht bewußtlos im Grabe liegen und schlafen oder gar ausgetilgt werben, nein, „ruhen“ wie ein Lazarus in Abrahams Schoß (Lk 16).
Du wirst auferstehen. Das ist die eine große Hoffnung der Gläubigen. Die Gewißheit der Auferstehung verkündigt der Herr selbst. Seine Auferstehung ist die Gewähr der unsern. Sie war das große Thema der Apostel, für das sie bereit waren zu leiden. Daniel soll nun hingehen und ruhen bis sich die Erfüllung der erhaltenen Weissagung über sein geliebtes Volk einlöst. Sein Volk wird also nicht nur durch Trübsale gehen, es wir auch auferstehen, und er mit ihm. Er soll ruhen, bis das Zeitalter der Nationen vollendet ist, bis die Nationen gerichtet werden und Israel wieder zu ehren kommt und die Führung der Welt übernehmen wird. Daniel selbst, der mit seinem Volke viel gelitten hat, soll dann auch teilhaben an Israels Segnungen. Und wenn die Lehrer einen speziellen Lohn erhalten werden, wie wir in Vers 3 lesen, dann erhält ihn Daniel in erster Linie.
Zu deinem lose am Ende der Tage. Was ist unter diesem Los zunächst gemeint? Hier wird zweifellos an die Loswerfung durch Josua gedacht, der dem Volke, als es in Kanaan eingezogen war, das Land auf diese Weise als Erbe verteilte. So wissen wir z. B., daß Kaleb für seinen treuen Dienst ein zusätzliches Erbteil erhielt (Jos 14). Noch einmal wird der Herr dem Volke das Land zum Erbe geben. Und wir können uns wohl denken, daß wenn Er das Los wirft und das Erbe verteilt, es für Daniel nicht weniger günstig sein wird, wie einst für Kaleb. Ewig wird Daniel mit dem Psalmisten sagen können: „Das Los ist mit gefallen aufs lieblichste, mir ist ein schön Erbteil geworden“ (Psalm 16,6). Daniel hatte viel Einsicht in dunkle und darauffolgende lichte Tage, nun aber läßt der Herr ihn einen Blick in sein eigenes Los tun. Dreierlei hat ihm der Herr in diesem letzten Vers zugesichert:
Die wohlverdiente Ruhe
Die leibliche Auferstehung und den ihr folgenden reichen Lohn.
Bald kommt der Tag der Auferstehung und des damit verbundenen Erbes für uns alle. Dort werden wir ernten ohne Aufhören ‑, vorausgesetzt, daß unser Leben eine gute Aussaat war. Das Ende des Gläubigen steht unter besonderer göttlicher Kontrolle. Und wie am Ziel der Rennbahn der Preisrichter steht, so wartet unser Herr, um uns am Ziel den verheißenen Lohn zu geben. Was wird der Lohn sein? - Unsere Seligkeit ist nicht ein von u ns verdienter Lohn, sondern einzig ein Gnadengeschenk, das uns der Herr am Kreuz erworben hat und ist Sein Lohn für die Mühsal Seiner Seele (Jes 53,11). Der uns verheißene Lohn aber ist die Entschädigung, die der Herr allen geben wird, die Ihm in Treue dienten und Seine Erscheinung lieb hatten. Ein jeglicher wird Lohn empfangen für das, was er getan hat bei Leibesleben (2Kor 5,10).
Zum Schluß möchten wir den Unentschiedenen noch ein Wort zurufen. – Denke daran, auch du gehst hin zum Ende, darum bestelle dein Haus! Eile rette deine Seele! Komm zu Jesus, deinem Retter! Laß deinen Namen ins Lebensbuch Gottes eintragen! Möchte der Befehl, mit dem das Buch schließt: „Du aber gehe hin“, dich überführen und an den Tag der Auferstehung erinnern, damit du den gleichen Weg wie Daniel wählst, den Weg, der zu einem so herrlichen Ziele führt.