Schriften von Georg R. Brinke
1. Mose 28,16-22 - EIN NEUER MORGEN1. Mose 28,16-22 - EIN NEUER MORGEN
Jeder Nacht folgt ein neuer Morgen, und das galt auch von jener denkwürdigen unvergeßlichen Nacht von Bethel. Sie hatte nicht nur für Jakob, sondern auch für Gott selbst Bedeutung. Jakob wurde von Gott später wiederholt daran erinnert (Kap. 31, 13; 35, 1). Hosea mußte noch etwa tausend Jahre später darüber schreiben (Hosea 12,5). Ähnlich erging es Paulus, der oft an sein Erlebnis von Damaskus dachte, weil es ihm so bedeutsam war. Ja, selbst der Herr Jesus erinnert daran in Seiner Unterredung mit Nathanael, indem Er an die Engel der Leiter erinnert und sagt: „Ein rechter Israelit, in dem kein Falsch ist“, oder mit andern Worten: Einer, in dem keine Jakobsnatur mehr ist (Joh 1,47 ff).
Jakobs Erwachen. Die hinter ihm liegende Nacht barg sein erstes großes inneres Erlebnis mit Gott. Jedes Gotterleben ist etwas überaus Großes und Eindrucksvolles, ja etwas Unvergeßliches. Wir fragen uns, ob wohl Jakob damals wirklich bekehrt wurde. Darüber gehen die Meinungen auseinander, weil in seinem späteren Leben doch noch so allerlei vorkam, was ein Gotteskind niemals tun sollte. Dennoch glauben wir alle, daß, wenn Jakob schon an jenem Tage in die Ewigkeit abgerufen worden wäre, er auch beim Herrn wäre. In jedem Falle war Jakob tief beeindruckt von der geheimnisvollen Offenbarung Gottes, und mancherlei war mit dem Erwachen verbunden.
Ein Bekenntnis. Jakob stellt fest: „Der Herr ist an diesem Orte“. Und tief erschüttert fährt er fort: „Wie heilig ist diese Stätte!“ Furchtbar kommt ihm alles vor, so daß er gewiß innerlich bebt. Andere Männer, die weit besser als Jakob waren, zitterten auch bei einem besonderen Lotterleben. Jesaja rief ein „Wehe mir!" über sich aus, als er jene große Vision hatte (Jes 6). Israel konnte das Reden Gottes am Sinai nicht ertragen und bat Mose: „Rede du mit uns, und wir wollen gehorchen; aber Gott möge nicht zu uns reden, daß wir nicht sterben“ (2. Mose 20,19). Gewiß hat mancher Leser ähnliche Stunden der überwältigenden Gegenwart Gottes erlebt und hätte am liebsten in die Worte des Apostels eingestimmt: „Herr, gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch" (Lk 5,8). Ferner bekennt Jakob seine
Unwissenheit. Jakob ruft aus: „Ich wußte es nicht!“ Er konnte es nicht fassen, daß der große Gott in Lus, in der Einöde, sein könne und dazu noch Sich einem Betrüger, wie er es in seinen eigenen Augen war, nahen könne. Er kannte nicht die schönen Worte Davids: „Ich sitze oder liege, so bist Du um mich. Du siehest meine Gedanken von ferne“ (Ps 139,3).
Die Denksteinsetzung war eine Tat überströmender Dankbarkeit.
Jakob setzte ein Denkmal. Er wollte das große Erlebnis sozusagen verewigen. Das Denkmal selbst war zwar äußerst einfach, aber gerade das Einfache ist oft am schönsten und sinnvollsten. Hier vor den Toren von Lus trifft das ganz offensichtlich zu, denn Jakobs Denkstein redet heute noch zu uns.
Hier fehlte jede menschliche Kunst, denn nicht sie, sondern Gottes Gnade, Erbarmen, Liebe und Treue sollten hier ihren Ausdruck finden und die Seele des Beschauers erquicken.
Das Material des Denkmals. Es war nur ein gewöhnlicher Stein, den Jakob dort auf dem Felde gefunden und der ihm als Kopfkissen in jener Nacht gedient hatte, ein Stein, der von seinem damaligen Elend und seiner großen Armut zeugte. Wir lesen in der späteren Geschichte noch öfter von solchen Denkmälern, und diese Berichte sind alle voll von tiefgründiger, geistlicher Belehrung. Sie vermögen den kommenden Generationen eine eindrucksvolle Predigt zu halten und auch zu uns zu reden, daß wir vor ihnen still werden (1. Mose 31,45 ff; 35, 14; Josua 4,4 ff; 1Sam 7,12).
Der Zeitpunkt der Denkmalserrichtung. Es war Jakobs erstes Tagwerk. Er richtete es sehr früh auf, gleich nach dem Erwachen, als das Erlebte ihn noch tief bewegte und die Bilder des Traumes lebendig vor ihm standen. Dieses Denkmal war der sichtbare Ausdruck des Lobens und Dankens. Ist Lob und Dank auch unser erstes Tagewerk am frühen Morgen?
Noah baute, nachdem er die Arche verlassen hatte, zuerst dem Herrn einen Altar und nachher erst sein eigenes Haus (1. Mose 8). In Haggais Tagen, nach der Heimkehr aus Babel, tat man das Gegenteil. Juda baute erst die eigenen Häuser und vollendete nicht das Haus Gottes. Der Herr beklagte Sich über diese Vernachlässigung Seiner Ehre (Hagg. 1,2 ff). Uns hat Er befohlen, zuerst nach dem Reiche Gottes zu trachten (Mt 6,33). Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung sollen das Erste beim Erwachen des Gläubigen sein (1Tim 2,1). So hat uns der Herr auch den Sonntag geschenkt, den ersten Tag der Woche, aber wofür? Zu Sport und Vergnügen, zu sonstigen materiellen 'Dingen? Nein, gewiß nicht, sondern um mit Seinem Volke Ihn zu loben und Ihm zu dienen, und zur Ruhe in Ihm.
Der Zweck des Denkmals. Es sollte ein dauernder Zeuge der unverdienten Güte und Treue Gottes sein. Wahre Dankbarkeit erfordert eine bleibende Erinnerung. Das lehrt uns ja auch das Abendmahl, denn es erinnert uns an des Herrn Leiden und Sterben für uns, und wir bringen Ihm Dank und Anbetung damit dar (1Kor 11,26). Das lehrt uns auch die Taufe, denn sie erinnert uns daran, daß wir mit Christo begraben und mit Ihm auferstanden sind (Röm 6,3.4). Wahre Dankbarkeit bedarf oft einer dauernden Erinnerung. Jakobs neue Entschlüsse, Gott fortan allein zu dienen, sein Gelübde zu erfüllen, daß dieser Gott von Bethel sein Gott sein solle, sollten durch dieses Denkmal in steter Erinnerung bleiben.
Die Einweihung des Denkmals. Jakob goß Ö1 auf den Stein. Hier zeigt sich eine tiefe Symbolik. Zum ersten Male wird hier in der Schrift das Öl genannt, das Sinnbild des Heiligen Geistes. Es steht schon hier in Verbindung mit dem Hause Gottes. Später wurde Mose befohlen, die Stiftshütte mit öl zu salben (2. Mose 40,9). In das Haus Gottes gehört der Geist Gottes, sonst ist es kein Gotteshaus. Durch diese Handlung gab Jakob dem so schlichten Denkstein den rechten Sinn und Inhalt. Jakob war wohl sehr arm ausgezogen, aber zweierlei hatte er doch mitgenommen: das Ö1 und den Stab, Ö1, das Bild des Heiligen Geistes, und den Stab, das Bild des Wortes. In Psalm 23 finden wir beides: das öl und den Stab.
Der Name des Denkmals: Bethel ‑ Haus Gottes. Dieser
Denkstein sollte nicht nur Jakob, sondern der gesamten Umgebung dienen.
Die Tatsache, daß die Bewohner von Lus den neuen Namen, den Jakob der
Stadt gab, annahmen, dürfte beweisen, wie tief Jakobs Zeugnis von seinem
Erleben in jener Nacht auf die Umgebung wirkte und auch sie mitergriffen
hat. Wahre Segnungen bleiben nie verborgen. Echte Bekehrungen haben oft
zu ganzen Ortschaften geredet. Man denke nur an die Samariterin (
Jakob nannte Bethel die Pforte des Himmels. Nicht nur die Bewohner von Lus, Gott selbst anerkannte den neuen Namen, den Jakob dem Orte gab, denn Gott nennt Sich in Kap. 31,13 den Gott von Bethel. Dieses Erlebnis sollte für Jakob der Eingang, die Pforte zu einem neuen Leben sein. Laßt uns mit Jakob in unserm Lus ‑ d. h. Einöde, Verlassenheit ‑ auch sprechen: „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, hier ist die Pforte des Himmels“. Jeder von uns Lesern, die Hausfrau in der Küche, der Bauer auf dem Felde, der Arbeiter in der Fabrik, sie alle dürfen inmitten von Nöten, Schwierigkeiten und Einsamkeit mit Jakob ausrufen: „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, hier ist die Pforte des Himmels“. Hier soll kein anderer Geist als der von Bethel herrschen. Josef im Gefängnis (1. Mose 39,20-23), die drei Männer im Feuerofen (Dan 3), Daniel in der Löwengrube (Dan 6), sie und viele andere hatten nicht weniger die Pforte des Himmels vor sich als die drei Jünger auf Tabors Höhen (Mt 17,1-8). Wir aber sagen mit allen Gläubigen zusammen in unserer Behausung, an unserm Wohnort: „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, hier ist die Pforte des Himmels“.