Gelegentlich trifft man sehr brave Weltmenschen an, die edler zu sein scheinen als Gotteskinder, obwohl gerade jene diese an guten Eigenschaften aller Art übertreffen müßten, da sie göttlichen Geschlechtes sind. Wer z. B. Jakob und Esau vergleicht, meint, daß Jakob mit seiner List vor Gott bestimmt weniger gegolten hat als sein Bruder, aber die Schrift sagt das Gegenteil (Heb 12,16). Auch scheint Abimelech der vornehmere Charakter zu sein, aber er ist es nicht, sondern Abraham, weil er zum vornehmsten Geschlecht gehört (1Pet 2,9). Abimelech zeigt sich diesmal von seiner besten Seite, Abraham aber von seiner schwächsten. Zu Abimelech sagt Gott: „Du bist ein Kind des Todes.“ Nach Jak 2,23 ward Abraham ein Freund Gottes genannt, damit ist alles gesagt. Die Welt ist oft besser als der Wiedergeborne, und doch gilt vor Gott nur die neue Geburt. Es kann uns dienen, auch Charaktere wie Abimelech zu betrachten.,
Abimelech war ein aufrechter, gerader Weltmensch. Das ist unser Eindruck, wenn wir das Kapitel lesen. Vielleicht hätte der Herr auch zu ihm gesagt: „Eins fehlt dir“ (Mk 10,21). Wäre der Herr ihm in den Weg getreten, wäre Abimelech Gott nachgefolgt, so wäre er ein Mann des Segens für sein Volk geworden.
Abraham war auf seinen Wanderungen in das Gebiet Abimelechs gekommen. Er hatte ja von Gott den Auftrag erhalten, das Land zu durchziehen. Sicher wird Abimelech Abrahams Bedeutung, seinen Reichtum und seine großen Siege über die Könige vernommen haben, vielleicht auch von Abrahams Gott gehört und den Einzug Abrahams in sein Land begrüßt haben. Ein solcher Verbündeter war im Notfall gewiß nicht zu verachten. Abimelech wußte, daß Ehebruch Sünde wider Gott ist. Obwohl er ein Heide war, nahmen er und sein Volk es genau in diesem Stück, mehr als viele Namenchristen.
Er wußte auch, wie Gotteskinder wandeln sollen. Im Traum hatte Abimelech erfahren, daß Abraham sogar ein Prophet war, so konnte er nicht verstehen, daß dieser ihn anlog. Die Welt weiß auch in unseren Tagen sehr gut, wie Gotteskinder wandeln sollen (Kol 4,5; 1Thes 4,12).
Abimelech wußte auch, daß ein Ehebruch Gottes Gericht zur Folge hat (Vs. 9), und daß Gerechtigkeit ein Volk erhöht (Spr 14,34). Er wollte gewiß nicht die Sodomiter nachahmen, ihr schreckliches Ende war eine ernste Warnung für ihn und sein Volk. Sie hüteten sich also vor solchen Ausschweifungen.
Abimelech war ein großherziger Mann. Wenn nach menschlicher Weise Abimelech allen Grund gehabt hätte, Abraham die Tür zu weisen, so tat er doch das Gegenteil. Er beschenkte Abraham in fürstlicher Weise, gab ihm sein Weib zurück und bot ihm an, in seinem Lande zu wohnen. Warum all diese Güte? Wohl auch darum, weil er aus Gottes Munde weiß, daß er von Abrahams Fürbitte abhängig ist (Vs. 7). Aber achten wir darauf, was Gott zu all dem edlen Tun Abimelechs sagt. „Du bist ein Mann des Todes!` So lautet nicht nur Gottes Urteil über den vornehmen Abimelech, sondern immer wieder über alles Fleisch. Allen ohne Ausnahme gilt der Befehl Gottes: „Ihr müsset von neuem geboren werden?“ Fleisch bleibt Fleisch, selbst wenn es sich noch so religiös bemüht. Es fehlt das neue Herz und die Reinigung durch das Blut Jesu. Nur Menschen reinen Herzens können Gott schauen.
Beachten wir noch eine andere Seite bei Abimelech. Nach Vs. 6 hatte Gott Abimelech davor bewahrt, sich an Sara zu versündigen. Abimelech rechtfertigt sich vor Gott: „In der Lauterkeit meines Herzens und in Unschuld meiner Hände habe ich das getan.“ Aber was sagt Gott? „Ich habe dich behütet.“ Das klingt ganz anders. Wie oft wären wir wohl in Sünde gefallen, hätte Gott uns nicht daran gehindert. Wie Abimelech wären wir alle Kinder des Todes. Rühme dich ja nie deiner Reinheit und Unschuld, denn sie ist nur ein Gnadengeschenk. Nur wer wie Abraham die Gerechtigkeit aus Glauben besitzt, ist kein Kind des Todes.
Abimelech als Täter des Wortes. Die göttliche Offenbarung erschütterte ihn derart, daß er kaum noch ein Auge geschlossen haben mag. Abimelech erkannte, daß von seinem Verhalten Sara gegenüber Leben oder Tod abhing (Vs. 7). Wenn Gott mit Menschen redet, dann gilt es, eiligst zu handeln, und das tat Abimelech. Er stand des Morgens früh auf, schob also nichts hinaus. Er unterrichtete auch sein ganzes Volk über das Reden Gottes. Der Schrecken Gottes hatte ihn zutiefst erfaßt, so daß er nichts verbergen konnte. Zugleich war dieser Schrecken auf alle seine Knechte gefallen. Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Heb 10,31). Abimelech sagte also andern von seinem Erlebnis. Da auch wir den Schrecken Gottes kennengelernt haben, sollten wir da nicht ähnlich handeln wie er, um die Leute zur Buße zu leiten (2Kor 5,14).
Abimelech war gütig gegen Abraham. Menschen, die erkannt haben, daß Gott sie vor dem Tode verschont hat, zeigen Einsehen gegenüber andern. Wir vergeben, weil Gott uns vergeben hat, und lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat.
Fruchtbare Worte. Das waren Gottes Worte im Traum an Abimelech. Die Tatsache, daß Abrahams Täuschung ihm gegenüber auf einer alten Abmachung zwischen Abraham und Sara beruhte, stimmte ihn zur Milde. Ohne Zögern gab er Sara heraus. Er machte es also nicht wie Herodes, der trotz ernster Warnung die Herodias behielt und so ein Mann des Todes wurde. Abimelech gab Abraham große Geschenke. Er gab ihm nicht nur Knechte und Mägde und Kleinvieh und Rinder, sondern öffnete ihm das ganze Land. Je tiefer Gottes Wort ins Herz eindringt, um so auffallender wird es im Wirken der Liebe an uns Menschen offenbar. Unsere Umgebung muß Früchte des Wortes Gottes an uns sehen können, und diese zeigen sich nach außen vor allem im Verhalten zu den Mitmenschen. Abimelech wollte sich im gewissen Sinne für die empfangenen Segnungen erkenntlich zeigen (1Kor 9,11), denn Abraham hatte für seine und seines Volkes Heilung gebetet.
Des Menschen Versagen ‑ Gottes unergründliche Gnade! Beide Begriffe stehen hier wieder vor uns und erfüllen uns einerseits mit tiefer Beugung in Gedanken an unser eigenes so vielfaches, oft so schweres Versagen und andererseits mit um so größerer Bewunderung und Dankbarkeit für Gottes unendliches Erbarmen.