Schriften von Georg R. Brinke
2. Mose 26,31-33 ; Mt 27,51 ; Heb 10,19.20 - Der dritte und bedeutungsvollste der Vorhänge2. Mose 26,31-33 ; Mt 27,51 ; Heb 10,19.20 - Der dritte und bedeutungsvollste der Vorhänge
Vorhänge sind an und für sich nichts Besonderes. Man findet sie in allen Häusern, z. B. an Fenstern oder vor Räumen, die den Augen Fremder verborgen sein sollen. Moses verhüllte sein Angesicht mit einer Decke, weil seine Umgebung sein leuchtendes Angesicht nicht ertragen konnte (2. Mose 34,29 ff.). So verhüllte der Vorhang im Heiligtum die Gegenwart Gottes, die Israel nicht ohne Lebensgefahr sehen durfte, denn hinter dem Vorhang war der Thron des Gottes Israels. Der Vorhang bildete eine Scheidewand zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten. Er ist eines der wichtigsten Vorbilder auf unsern Herrn. Das bestätigt Heb 10,19.20, wo der Vorhang Christi Fleisch genannt wird, der von oben bis unten zerriß, als der Herr am Kreuze starb. Wie der zerrissene Vorhang den Zugang ins Heiligtum öffnete, so erschloß der Tod des Herrn den Zugang zu Gott, den wir nun mit aller Freimütigkeit benützen dürfen.
Die Beschaffenheit des Vorhangs. Im vorigen Kapitel von den ersten beiden Vorhängen erfuhren wir schon, daß alle Vorhänge aus denselben Stoffen hergestellt waren, die die göttlichen Eigenschaften des Herrn darstellen. Es werden vier genannt.
Blauer Purpur, der auf den himmlischen Charakter und die himmlische Herkunft Christi hinweist. Der rote Purpur weist auf Christi Königsherrschaft, auf Seine königliche Gesinnung und Würde hin. Scharlach oder Karmesin redet vom leidenden Messias. Die feine, weiße Leinwand schließlich zeigt Ihn uns als den Reinen, den Heiligen, der von den Sündern abgesondert war und Sünde nicht kannte. Der Vorhang war ein Kunstwerk, würdig Dessen, den er versinnbildlicht. Man denke dabei nur an Christi übernatürliche Geburt, die, in aller Ehrfurcht gesagt, ein Wunderwerk des Heiligen Geistes war. Kurz, der Vorhang bildet geradezu eine Weissagung auf Christi Kommen ins Fleisch (1Tim 3,16). Als der Engel Gabriel mit der Ankündigung der Fleischwerdung Christi zu Maria kam, fragte sie ihn: „Wie soll das geschehen, sintemal ich von keinem Manne weiß?“ Der Engel antwortete: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten, darum wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden“ (Lk 1,26 ff.). Doch so groß und bewundernswert die Fleischwerdung Christi auch ist, so genügt sie allein nicht. Er als der Vorhang mußte erst zerrissen werden, sonst blieb das Allerheiligste verschlossen und es gab kein Zurück zu Gott. Der Herr mußte erst sterben, erst mußten Blut und Wasser aus Seiner Seite fließen (Joh 19,34).
Wo befand sich der Vorhang? Er bildete die schon erwähnte Scheidewand zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten. Die im Heiligtum dienenden Priester konnten unmöglich die Herrlichkeit Gottes anschauen und am Leben bleiben. So schonte Gott ihr Leben durch den Vorhang. Und dasselbe tut unser Herr an uns. Er ist der Mittler zwischen Gott und uns. Er allein schützt uns vor dem ewigen Tode.
Der herrliche und bedeutungsvolle Vorhang ruhte auf vier Säulen. Wir gehen kaum fehl, wenn wir in ihnen die vier Berichte über das Sterben des Herrn erkennen. Die vier Evangelisten waren Gottes Werkzeuge, um die mannigfaltigen Wunder Christi, besonders aber Sein Leiden und Sterben, zu beschreiben; sie selbst werden ja Säulen genannt (Gal 2,9). Matthäus beschreibt den Herrn als Israels König, den Sohn Davids und Abrahams im roten Purpur.
Markus schildert Ihn als den allezeit bereiten Diener Jehovas. Bei Lukas erscheint Er als der Mensch in der feinen weißen Leinwand; und bei Johannes als der ewige Gottessohn.
Wer durfte hinter den Vorhang gehen? Allein der Hohepriester, und dieser auch nur am großen Versöhnungstage. Hinter dem Vorhang wohnte der dreimal Heilige Gott Israels, vor dem Aaron nur mit dem Blut der Sühne erscheinen durfte. Er bekannte damit sinnbildlich: Wir haben nichts anderes als den Tod verdient, denn wir haben Dein Gesetz gebrochen. Aaron besprengte mit dem Blut den Sühndeckel und versöhnte so das Volk mit Gott. Außer Aaron durfte kein Mensch das Heiligtum betreten, nicht einmal Moses, der Mann nach dem Herzen Gottes. Er durfte nur in den Vorhof eintreten, aber dieser war ihm der liebste Aufenthaltsort (Ps 84). In die vordere Hütte des Heiligtums gingen täglich die Priester und opferten Weihrauch, den lieblichen Wohlgeruch, ins Allerheiligste aber ging nur der Hohepriester als Vorbild auf unsern Herrn, der mit Seinem eigenen Blute einging und uns versöhnte und eine ewige Erlösung erfunden hat (Heb 9,12.14).
Das Zerreißen des Vorhangs. Jüdische Gelehrte sagen, der
Vorhang sei so fest gewoben gewesen, daß selbst zwei Paar Ochsen ihn
nicht hätten auseinander reißen können. Das Zerreißen des Vorhangs in
der Stunde, da der Herr am Kreuze starb, war ein göttlicher Akt, zumal
er von oben nach unten hin zerrissen wurde, nicht etwa umgekehrt. Ebenso
war der Tod Christi eine göttliche Handlung. Der Herr war von Gott
geschlagen, der Allmächtige legte Ihn in den Staub (
Versetzen wir uns in den Schrecken, der die Priester im Heiligtum packte, als während ihres Dienstes der Vorhang plötzlich zerriß! Sie waren gewiß tief erschüttert, als sie dieses Schauspiel sahen und sie, obwohl das Allerheiligste nun offen vor ihnen war, doch nicht starben. Ein anderer war ohne ihr Wissen für sie gestorben. Aber ich denke mir, daß sie eher voller Schrecken aus dem Heiligtum flohen, anstatt den freien Zugang zu Gott zu benützen. In Apg 6,7 lesen wir, daß sich viele Priester bekehrten. Es ist wohl gewiß anzunehmen, daß gerade solche unter ihnen waren, die selbst das Zerreißen des Vorhanges mit eigenen Augen gesehen haben. Wenn jene tief bewegt waren über diesen Vorgang, wie viel mehr sollten wir es sein und mit dankerfüllten Herzen vor Gott treten, um Ihn für das Opfer Seines Sohnes zu preisen. Der Vorhang war ganz zerrissen, nun war ein offener Zugang da, nicht etwa nur ein Seiteneingang. Ja: „Ein volles, freies, ewiges Heil hat Jesus uns gebracht. O Herz, ergreife jetzt dein Teil, das völlig selig macht.“
Wann zerriß der Vorhang? Während des Abendopfers, als das Lamm im Vorhof auf den ehernen Altar gelegt wurde, während die Schreie von tausenden Lämmern aufstiegen, die zur Opferung bestimmt waren. Ihr Schreien vereinigte sich mit dem des Lammes Gottes, das mit lauter Stimme rief: „Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlasssen?“ Aber bald darauf rief der Herr als der große Sieger aus: „Es ist vollbracht.“ Droben am Thron wurde dieser Jubelruf vernommen und beantwortet mit dem Zerreißen des Vorhangs in zwei Stücke. Selbst der heidnische Hauptmann mußte in jenem Augenblick die Gottessohnschaft vor allen bekennen (Mk 15,39). Nun war der Zugang geschaffen für alle, die kommen wollen, um sich retten zu lassen.
Die gesegneten Folgen dieses Geschehens. Als der Vorhang in zwei Stücke zerriß, wurde er zum offenen Zugang. Es bestand keine Barriere mehr, die den Eingang ins Allerheiligste verwehrt hätte. Ehe der Vorhang zerriß, war der Anblick des Herrn für die Menschen dasselbe, was bis dahin für den Priester der Vorhang war. Jedermann konnte das heilige Leben Jesu bewundern, aber damit sah er nur umso deutlicher sein eigenes völliges Zukurzkommen. Durch Seinen Tod aber, den Er an unserer Statt erduldete, bahnte Er allen Glaubenden den Weg zu Gott. Christi Sterben bedeutet für uns Gerechtigkeit, Heiligkeit, Unsträflichkeit. Es stellt jeden Glaubenden als vollkommen vor Gott hin. „Es ist nun nichts Verdammliches mehr an denen, die in Christo Jesu sind" (Röm 8,1; 2Tim 1,10). Fortan ist Sein Leben in allen wirksam, die in Buße und Glauben Sein Opfer angenommen und damit zugleich anerkannt haben, daß sie selbst an dem grausamen Tode Christi schuldig sind. Nun lebt Er in uns, den Glaubenden, und ist unsere Hoffnung der Herrlichkeit.
Die sichere Ruhe, die uns geschenkt ist. Der Hohepriester, der am großen Versöhnungstage mit dem Blut ins Allerheiligste hinein ging und den Sühndeckel besprengte, kam bald wieder heraus. Dort war keine Sitzgelegenheit vorhanden, kein Bleiben in der Gemeinschaft mit Gott. Unser Herr aber, der Mensch Christus Jesus, sitzt zur Rechten Gottes (Heb 1,3). Was sagt uns das? Daß die Opfer der Böcke nicht genügten, sie waren nur ein Schatten, bis Christus kam, denn unmöglich konnte Bocksblut Sünde tilgen (Heb 10,4). Es bedurfte eines besseren Opfers (Heb 9,23). Das brachte unser Herr und schuf damit ewige Ruhe und Sicherheit. Er starb einmal für die Sünde und stirbt nie mehr (Röm 6,9.10). Durch dieses Opfer sind wir für immer geheiligt (Heb 10,10.14). Steht das nicht im Widerspruch zur Messe der katholischen Kirche, die in ihrem Messopfer dem Herrn täglich neu opfert? Das ist ein Zurückkehren zu den Schatten des Alten Testamentes, durch die niemand zur Ruhe kommt. Das ausgesprochene, erquickende Gegenteil finden wir in Heb 10,19 ff. Da wird uns volle Gewißheit und Ruhe zugesichert. In Heb 1,3 lesen wir, daß erst dann, nachdem der Herr die Reinigung der Sünde vollbracht hatte, Er sich zur Rechten Gottes gesetzt hat, nicht vorher. Das tat Er nicht für sich selbst, sondern als Stellvertreter Seines Volkes, dem Er nun droben Stätten bereitet (Joh 14,2). Nach Heb 6,20 ist der Herr als Vorläufer droben eingegangen. Von Gott aus gesehen sind wir im Glauben schon jetzt mit Ihm dahin versetzt, wo unser Bürgertum ist. Wir sind Mitgekreuzigte, Mitbegrabene und Auferstandene, ja wir dürfen mitsitzen zur Rechten Gottes (Eph 2,4-6). Wir genießen und erfreuen uns der herrlichen Auferstehung. „Laßt uns hinzutreten“, wie der verlorene
Sohn, der ins Vaterhaus zurückkehrte. Hier erhalten wir Barmherzigkeit und Gnade. Hier liegt der Anker unserer Seele und hier erwarten wir unsern wiederkommenden Herrn (Heb 6,18-20).
Flickwerk. Es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß nach des Herrn Tod der Vorhang wieder geflickt wurde, denn der Gottesdienst im Tempel währte nach dem Tode des Herrn noch volle vierzig Jahre, bis Titus Jerusalem und den Tempel zerstörte. Solches Flickwerk betreibt die Menschheit bis zum heutigen Tage, es gleicht der Rückkehr zum Gesetz und zu den Zeremonien. Man will lieber aus eigenem Bemühen Gott befriedigen. Das ist aber völlig unmöglich, denn wer das ganze Gesetz hält und in einem fehlt, ist es ganz schuldig (Jak 2,10). Alle, die sich auf Gesetzesboden stellen, geraten unter den Fluch (Gal 3,10-14; Röm 3,20-24.28).
Die Säulen, auf denen der Vorhang hing, blieben stehen. Sie verkündigen, was geschehen ist, den Herrn, Sein Erlösungswerk und Seine mannigfaltige Herrlichkeit (1Tim 3,16). Sie rufen allen zu: „Lasset euch versöhnen mit Gott“ (2Kor 5,20). Er hat für alle gelitten. Er ist gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren, dort sitzt Er zur Rechten Gottes und kommt bald wieder.