Schriften von Cor Bruins
C. Mk 15,6-19 Mt 27,15-30 Lk 23,13-25 Joh 18,39 - 19,16 - Das zweite Verhör vor PilatusC. Mk 15,6-19 Mt 27,15-30 Lk 23,13-25 Joh 18,39 - 19,16 - Das zweite Verhör vor Pilatus
Markus 15,6-19; Matthäus 27,15-30; Lukas 23,13-25; Johannes 18,39 - 19,16
Markus 15,6-19: Das hier erwähnte Fest ist natürlich das Passah. Der Brauch, einen Gefangenen freizulassen, scheint eine versöhnliche Geste seitens der Römer gewesen zu sein. Zur Zeit dieses Festes befand sich Barabbas, ein politischer Umstürzler und Mörder, in Haft (V. 7). Er wird auch als berüchtigter Gefangener (Matthäus 27,15) und Räuber (Johannes 18,40) bezeichnet. Die Menge beginnt nun, von Pilatus zu fordern, daß er tue „wie er ihnen allezeit getan“ (V. 8). War er es vielleicht, der als erster diesen Brauch eingeführt hatte? Zweifellos steckten die religiösen Führer hinter der Menge und wiegelten die Volksmenge auf (V. 11).
Sowohl Markus (V. 9) als auch Johannes (Kap. 18,39) nennen in diesem Zusammenhang „König der Juden“ als Titel Jesu. Pilatus, der von Seiner Unschuld überzeugt war, wollte Ihn freilassen.
Die Juden haßten die Römer und den römischen Statthalter, Pilatus. Sie betrachteten jeden, der sich gegen diese auflehnte, als Nationalhelden, als Eiferer für den Gott Israels. Von Jesus waren sie enttäuscht; Er war kein aufrührerischer Empörer und Freiheitskämpfer, wie sie gemeint und gehofft hatten. Dieser Barabbas dagegen, ja, das war ein Draufgänger. Sollten sie zwischen diesen beiden zu wählen haben, würden sie deshalb natürlich Barabbas vorziehen. In diesem Punkt sollte sich Pilatus gründlich verrechnen!
Jesus war geradezu ein „Spielball“ in den Händen dieser beiden sich bekämpfenden politischen Kräfte; auf der einen Seite Pilatus, auf der anderen die religiösen Führer der Juden, insbesondere die Hohenpriester (V. 10). Pilatus wußte sehr wohl, daß sie Jesus aus Neid (Vers 10) zu töten suchten.
Alle vereint - Hohepriester (V. 11), Älteste (Matthäus 27,20) und die wütende Volksmenge - fordern nun lautstark die Freilassung des Barabbas und dürsten wie ein Rudel Wölfe nach dem Blut ihres eigenen Messias (V. 11-14). Pilatus ist völlig überrascht von diesem Ausbruch blinder Wut. Mit seiner Frage: „Was wollt ihr denn, daß ich mit ihm tue, welchen ihr König der Juden nennt?“ (V. 12) will er nicht nähere Informationen bekommen, sondern er bringt einfach sein Erstaunen über ihre außergewöhnliche Wahl zum Ausdruck einen Mörder und Räuber statt Jesus!
Doch der Heiland kam, um andere zu retten, nicht Sich Selbst. So ist Er auch hier das Mittel zu Barabbas' Freilassung, so böse dieser Mann auch war. Barabbas wäre unweigerlich von den Römern gekreuzigt worden. Während er jetzt freikommt, fordert die Volksmenge eben diesen Tod, der dem Mörder Barabbas gebührte, für den Unschuldigen, für Jesus.
Es ist überhaupt erstaunlich, die Forderung „kreuzige ihn!“ (V. 13) aus dem Mund von Juden zu hören. Es war eine römische Art der Todesstrafe. Bei den Juden wurde ein Gotteslästerer gesteinigt und sein Leichnam öffentlich aufgehängt. Dennoch erfüllte sich in den Ereignissen, die wie lauter Zufälle aussahen, der große Ratschluß göttlicher Vorsehung. Danach sollte Christus einen schimpflichen, qualvollen Tod erleiden, Sein Leib jedoch unversehrt und vor Verstümmlung und Entstellung bewahrt bleiben. Zugleich mußte sich dabei buchstäblich erfüllen, daß Christus ein Gehängter wurde und damit ein Fluch (vgl. 5Mo 21,23 mit Gal 3,13). Zunächst hatte dieser Fluch Bezug auf das öffentliche Aufhängen des Körpers nach vollzogener Steinigung oder Enthauptung. Dies war die einzige Form des Aufhängens unter dem Gesetz Moses'. Doch die den Fluch betreffende Formulierung ist so gewählt, daß sie ebensogut auf die Kreuzigung zutrifft. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür, daß sich die Vorhersagen des Wortes Gottes oft auf eine unvermutete Weise erfüllen! So gehörte auch dies zu den Absichten, die mit der Überführung des Heilands aus jüdischer in römische Gewalt erreicht werden sollten.
Pilatus lag mehr am Beifall der Welt als an einer ehrlichen Rechtsprechung und -ausübung. Er wurde zwischen zwei Dingen hin- und hergerissen - „Pilatus, ... indem er Jesus losgeben wollte“ (Lukas 23,20) und „Da aber Pilatus der Volksmenge willfahren wollte“ (Markus 15,15). Er wählte das Letztere und stellte Menschen zufrieden. Er kreuzigte nicht nur Jesus, sondern zugleich auch sein eigenes Gewissen. So setzt er hier sein gefährliches Spiel mit den Juden fort. Im Grunde genommen übergibt er Jesus dem Willen des Volkes, tatsächlich allerdings den Soldaten, damit diese das Urteil vollstrecken konnten.
Die boshafte Grausamkeit dieses Mannes, der als Mörder Jesu Christi in die Geschichte eingegangen ist, zeigt sich auch darin, daß er Ihn vor der schmachvollen Kreuzigung erst noch geißeln ließ (V. 15, vgl. Lukas 13,1).
Aber auch diese Geißelung hatte Jesus in Lukas 18,33 vorhergesagt. Nach der Geißelung wird Er in den Innenhof des Prätoriums geführt (V. 16).
Obwohl Er Sich noch im Palast des Landpflegers befindet, ist Jesus erneut grausamer, roher Mißhandlung und Verspottung ausgesetzt. Diesmal mehr von der Hand der römischen Soldaten als von der Tempelwache und den Mitgliedern des Synedriums. Markus erwähnt nichts davon, daß sie Ihm die Kleider auszogen, wie wir es in Matthäus 27,28 finden, aber daß sie Ihm einen Purpur anlegten (V. 17), Johannes sagt das gleiche, Matthäus dagegen „einen Scharlachmantel“ (Matthäus 27,28 im Griech. und Engl.; s. Elberf. Übers. Fußnote). Dazu schreibt ein Schriftausleger: „Ein scharlachroter Soldatenmantel mußte den Herrscherpurpur vertreten - daher die Bezeichnung: ein Purpurmantel ... und weil das die symbolische Bedeutung des Mantels ausmacht, liegt hier keine Unstimmigkeit vor. Der scharlachrote Soldatenmantel brauchte ebensowenig ein wirklicher Purpur zu sein, wie die Dornenkrone eine wirkliche Krone zu sein brauchte, oder das Rohr ein wirkliches Zepter. Denn die ganze Sache war ein ironisches Drama, und überdies so angelegt, daß die gemeine Verspottung durch die geheuchelte Ehrenbezeichnung um so deutlicher hervortreten sollte. Ein Rohr, Sinnbild der Schwäche, war der „Herrscherstab“; die „Krone“ verletzte und zerstach die Stirn: und so sollte der „Purpur“ erbärmliche, angemaßte Hoheit ausdrücken, was man mit dem alten Soldatenmantel auch erreichte.“
Wir sehen das Rohr im Markusbericht nicht in Seiner Hand, sondern es wird gesagt, daß man Ihm damit auf das Haupt schlug (V. 19). Domen, die an den Fluch erinnern (1Mo 3,18), mußten das Haupt des sündlosen Stellvertreters krönen, der für uns zur Sünde gemacht und ein Fluch wurde (V. 17).
Spottend gebrauchen sie den Titel, zu dem Er Sich willig bekannt hatte: „König der Juden“. Sie machten sich ebenso über Seinen Anspruch auf die Königs würde lustig, wie es vorher Sein Volk im Blick auf Seine prophetische Sendung getan hatte (Markus 14,65). Anstatt Ihn ehrerbietig zu küssen, spie man Ihm ins Angesicht! Ünd doch war Er tatsächlich der König und der Prophet.
Matthäus 27,15-30: Hier mußte eine Entscheidung für „Barabbas oder Jesus, welcher Christus (= Messias oder Gesalbter) genannt wird“, getroffen werden (V. 17).
Neben dem, was wir über den Charakter und die Vergehen dieses Mannes erfahren haben, wollen wir daran denken, daß Barabbas' Name „Sohn (Bar) des Vaters (Abbas)“ bedeutet. Wir erkennen deutlich, worum es bei dieser Entscheidung ging: auf der einen Seite der Sohn des Vaters, Jesus Christus, der Retter, der fleckenlose, sündlose Sohn Gottes - auf der anderen Seite dieser „Sohn“ seines Vaters, des Teufels (vgl. Johannes 8,44). Letztlich geht es um die Frage: Gott oder Satan? Austragungsort für diese Entscheidung ist der Mensch.
Neid oder Eifersucht (V. 18) ist „hart (unerweichlich) wie der Scheol“ (Hld 8,6). Der Neid machte sie blind.
Gerade in diesem Moment kam es - nur Matthäus berichtet das - zu einer Unterbrechung (V. 19). Pilatus erhält eine Warnung von seiner Frau, Claudia Procula: „Habe du nichts zu schaffen mit jenem Gerechten; denn viel habe ich heute im Traum gelitten um seinetwillen.“ Mußte Pilatus vielleicht an Calpurnia denken, die — wie die Geschichte berichtet - in Verbindung mit der Ermordung Caesars ebenfalls einen Traum gehabt hatte? Hätte dies den römischen Landpfleger nicht zur Genüge warnen müssen, von der Verurteilung Jesu abzustehen?
Immer wieder zeigt uns dieses Evangelium, daß in erster Linie die religiösen Führer, die Hohenpriester und Ältesten, für den Tod ihres Messias verantwortlich sind.
Vers 22 weicht insofern von Markus 15,12 ab, als Pilatus hier sagt: „Was soll ich denn mit Jesus tun, welcher Christus genannt wird?“, während Markus schreibt: „Was wollt ihr denn, daß ich mit dem tue, welchen ihr König der Juden nennt?“
Die Verse 24 und 25 stehen nur in diesem Evangelium. In dem Wunsch, sich von einem so furchtbaren Verbrechen wie der Kreuzigung eines Unschuldigen zu distanzieren, folgt Pilatus einem jüdischen Brauch. Wir lesen darüber in 5. Mose 21,6-8: „Und alle Ältesten jener Stadt, die dem Erschlagenen am nächsten sind, sollen ihre Hände über der Färse waschen, welcher das Genick im Bache gebrochen worden ist, und sollen anheben und sprechen: Unsere Hände haben dieses Blut nicht vergossen, und unsere Augen haben es nicht gesehen.“ Pilatus meint, auf diese Weise die ganze Verantwortung den Häuptern der jüdischen Nation zuschieben zu können. Doch und dieser Tatbestand ist niederschmetternd - das gesamte Volk, die Nation als Ganzes übernimmt die Verantwortung für den Tod ihres Messias! Ja, mehr noch, herausfordernd rufen sie: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ (V. 25)
Beachten wir das nächste Wort - „Alsdann!“ „Alsdann“, von Jesu Unschuld überzeugt, läßt diese Karrikatur eines Richters, dieser Mörder seines eigenen Herzens und der Gerechtigkeit, der römische Landpfleger Pilatus, Jesus geißeln und übergibt Ihn zur Kreuzigung (V. 26)! Pilatus hatte versucht, den Juden, die lärmend Jesu Tod forderten, auf halbem Weg entgegenzukommen, indem er Ihn hatte züchtigen (Lukas 23,16.22), d.h. geißeln lassen. Wir finden bei Lukas nicht direkt, daß Jesus gegeißelt wurde. Wir lesen jedoch bei Matthäus, Markus und Johannes, daß diese gräßliche Foltermethode bei dem Herrn Jesus zur Anwendung kam. In Johannes' Bericht hat es den Anschein, daß Pilatus hoffte, der blutdürstige Pöbel würde sich mit der Geißelung zufriedengeben. Darum führt er Jesus heraus vor die Volksmenge (Johannes 19,5) und sagt: „Siehe, der Mensch!“
Farrar schreibt: „Das für „geißeln“ benutzte Wort (phragellosas) zeigt, daß es nicht mit Ruten (virgae) erfolgte - denn Pilatus hatte keine Rutenträger (lictores) - sondern mit dem, was Horaz „flagellum horribile“ (die furchtbare Geißel) nennt. Diese Geißelung bildete die übliche Einleitung bei der Kreuzigung und anderen Formen der Todesstrafe und war in der Tat eine über jede Vorstellung schreckliche Strafe.
Der unglückliche Verurteile wurde öffentlich entkleidet und in gebückter Haltung mit den Händen an einen Pfahl festgebunden. Die Schläge erfolgten mit Lederpeitschen, die an den Enden mit scharfkantigen Knochen- oder Bleistücken beschwert waren, auf den straff gespannten, bloßen Rücken. Manchmal trafen die Schläge unabsichtlich - oder in erschreckender Roheit bewußt so gelenkt - sogar Gesicht und Augen.
Diese Strafe war so gräßlich, daß das Opfer infolge der rasenden Schmerzen im allgemeinen ohnmächtig wurde, oft auch verstarb. Noch häufiger schickte man die so Gegeißelten anschließend fort, um sie an der sich einstellenden Wundinfektion oder nervlichen Erschöpfung zugrundegehen zu lassen. Und dieser furchtbaren Grausamkeit, bei der wir nicht zu verweilen wagen, die das Herz schaudern und erstarren läßt, folgt unmittelbar die dritte und bitterste Verspottungsszene - die Verspottung Christi als König.“
Unser hochgelobter Herr Jesus starb nicht bei der Geißelung, wie andere zuweilen, denn Er mußte am Fluchholz sterben. Selbst wenn man Ihn zwei-oder dreimal gegeißelt hätte, hätte Er nicht dabei sterben können. Es gibt jedoch keinen echten Anhaltspunkt für mehr als eine Geißelung. Der Schreiber hat bei zahlreichen Auslegern nach einem Hinweis auf eine zweite Geißelung gesucht, jedoch vergeblich. Aber wir wollen auch in diesem Punkt nicht dogmatisch sein.
Doch genug von dieser unmenschlichen Grausamkeit. Wir wollen die Gedanken nicht zu lange dabei verweilen lassen!
In diesem Evangelium lesen wir, daß man Jesus entkleidete. „Und sie zogen ihn aus“ (V. 28). Dann bekleideten sie Ihn mit einem Scharlachmantel.
Sieh die Dornenkrone auf Seinem Haupt und das Rohr in Seiner Rechten (V. 29). Er wurde gekreuzigt in Schwachheit (2Kor 13,4), und einige sehen in dem Rohr ein Bild von Schwachheit. Aber in Wirklichkeit wird es zum Bild Seiner Macht, denn Er wird tatsächlich herrschen. Er ist bereits erhöht und gekrönt und wird wiederkommen auf die Erde. In Seiner Hand wird dann kein Rohr sein, sondern ein eisernes Zepter, mit dem Er alle Seine Feinde wie Töpfergefäße zerschmettern wird. Anstatt Ihm ins teure Angesicht zu speien und Ihm Backenstreiche zu geben, werden die Menschen dann aufgefordert werden, den Sohn zu küssen, daß Er nicht zürne (Ps 2). Doch hier im Matthäusevangelium ist Er noch der leidende König.
Lukas 23,13-25: Die Verse 13-16 sind besonders beachtenswert, da sie nur hier Vorkommen. Sie enthalten das öffentliche Zeugnis der Welt, abgegeben von Pilatus und Herodes, daß Jesus unschuldig war und nichts Todeswürdiges begangen hatte. Beide waren unabhängig voneinander zu der gleichen Schlußfolgerung gelangt, nachdem sie Jesus verhört hatten (V. 14). Erneut fällt uns die Schuld der jüdischen Nation ins Auge. Aber nun gibt die staatliche Gewalt dem abtrünnigen Volk Gottes nach. So verlief und verläuft die Weltgeschichte; und von beiden Gewalten steht die religiöse Satan stets näher.
Sowohl das Volk als auch Pilatus hatten nun das Maß ihrer Schuld vollgemacht. Hat man jemals gehört, daß jemand sechsmal vor verschiedenen weltlichen und religiösen Gerichten stand, öffentlich für unschuldig erklärt und dann doch hingerichtet wurde? Was für eine Welle von Empörung würde so etwas heutzutage auslösen! Selbst ein unbedeutender Fall würde zahlreiche Eingaben von Nationen und Regierungen an die betreffende Regierung zur Folge haben. Aber in diesem Fall wurde skrupellos das scheußlichste aller Verbrechen begangen. Im Zuge der Maßnahme, mit der dieser ungerechte Mann wohl die Raserei der blutdürstigen Sünder, die vor ihm standen, etwas besänftigen wollte, wurde der Unschuldige gräßlich gepeitscht (V. 16)!
Wie bereits bemerkt, erwähnt Lukas die eigentliche Geißelung nicht, sondern lediglich den Vorschlag, sie auszuführen (V. 16.22) und anschließend den Gefangenen freizulassen! Da er sich damit verrechnet hatte, mußte Pilatus nun auf andere Mittel sinnen, um den Gefangenen freizubekommen und dabei den abscheulichen Juden möglichst noch ein Schnippchen schlagen zu können.
Lukas' Beschreibung des Barabbas in Vers 19 deckt sich nahezu mit der bei Markus (Markus 15,7). Wir sind darauf und auf Vers 20 schon eingegangen.
Lukas und Johannes geben die hysterische Fordemng der Juden, „Kreuzige, kreuzige ihn!“ wieder (V. 21). Dann wieder berichtet nur Lukas: Er aber sprach zum dritten Male zu ihnen: Was hat dieser denn Böses getan?“ (V. 22). Das deckt sich mit Johannes' Bericht, wo wir Pilatus bei drei Gelegenheiten sagen hören: „Ich finde keinerlei Schuld an ihm“ (Johannes 18,38; 19,4.6). Paradoxerweise wiederholt Pilatus trotzdem seine Absicht, Jesus zu „züchtigen“.
Die beiderseitige Schuld der Nationen und der Juden wird in Vers 25 erneut unterstrichen, wo Pilatus Ihn ihrem Willen übergibt. Sie hatten es letztlich durchgesetzt, daß mit Jesus nach ihrem Gutdünken verfahren wurde!
Johannes 18,39-19,16: Herodes war bezüglich der Unschuld Jesu zu dem gleichen Resultat wie Pilatus gekommen, obwohl er es nicht ausdrücklich ausspricht. Er verurteilt Jesus aber auch nicht (vgl. Lukas 23,15). Nun steht Jesus zum sechsten Mal vor Gericht.
Beachte die „Weglassungen“ bei Johannes: kein Verhör vor Herodes; kein Rohr in Seiner Rechten; kein Geschlagenwerden mit dem Rohr, sondern von ihren Händen. Andererseits bietet Johannes wieder mehr Einzelheiten. Er vermerkt, daß es das Passahfest war (18,39) und daß Pilatus Jesus, nachdem seine Soldaten Ihn gegeißelt und verspottet hatten, zu der Volksmenge herausführte, um ihr Mitleid zu erwecken (19,5). Wir hören ferner von Pilatus' Furcht, als er die Anklage vernahm, Jesus habe Sich Selbst zu Gottes Sohn gemacht (19,7). Überhaupt ist der ganze Dialog in den Versen 9-11 und 12-16 nur in diesem Evangelium zu finden.
Jesus wird hier der „König der Juden“ (18,39), Barabbas ein „Räuber“ (18,40) genannt.
Jesus ging hinaus und stand neben Pilatus, die Spuren der Schläge und des Speichels auf dem Angesicht, Ermattung infolge der schrecklichen Qualen in den übermüdeten Augen, dunkle Striemen auf dem zerschlagenen Rücken. Vielleicht fielen karmesinrote Tropfen auf den Mosaikfußboden. Doch sogar jetzt, wo Er in der Stunde Seiner tiefsten Erniedrigung so hoheitsvoll und in heiliger Ruhe an erhöhter Stelle über der gellend schreienden Menge stand, strahlte Er eine solche göttliche Erhabenheit und Würde aus, daß Pilatus unwillkürlich jenen Ausruf tat, der seither schon Millionen Herzen aufwühlte: „Siehe, der Mensch!“ (V. 5).
Doch ihr Fühlen und Denken war derart niedrig, verfinstert und entartet, daß der Anblick Seines Blutes sie nur noch blutdürstiger machte. Ihre verkommenen Herzen konnten selbst diese Qualen ruhig mitansehen. Und so schrieen sie um so heftiger „Kreuzige, kreuzige ihn!“ (V. 6; vgl. Jes 53,2-3).
Nun scheint selbst der blutdürstige Pilatus, dessen Grausamkeiten, Unerbittlichkeit und Blutbäder nur zu gut bekannt waren, von diesem Volk angewidert zu sein, das sich nicht umstimmen ließ. Er macht keine Anstalten, Ihn zu kreuzigen. „Nun gut, dann tut es doch selbst“, sagt er in Vers 6 gewissermaßen. Aber er hatte sich bereits zu fest verstrickt, um sich jetzt noch herauswinden zu können; die Juden wußten das zu verhindern!
Schließlich kommen sie mit ihrem wahren Anklagegrund heraus kein Gedanke an ein politisches Vergehen: „Weil er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht hat“. Wir alle fühlen, wie gut dieser Vers ins Johanneszv angelium paßt.
Ist Pilatus im tiefsten Herzen etwas abergläubisch? Fürchtete er, die übernatürliche Welt könne sich irgendwie gegen ihn kehren? Hatte nicht seine Frau diesen Traum gehabt? Angenommen, dieser Jesus wäre eine Art Gott! In der heidnischen Mythologie wimmelte es von Göttern, Göttinnen und Götterkindern! O ja, er fürchtete sich (V. 8). Er muß Gewißheit erlangen, wer dieser Jesus eigentlich ist.
So nimmt er Jesus wieder mit hinein. Doch er fragt nicht „Wer sondern „Woher bist du?“ Aber Jesus ist nicht willens, reine Neugierde zu befriedigen (V. 9). Wie ganz anders begegnete Er im ersten Kapitel solchen, die Ihn durch den Geist getrieben fragten: „Wo hältst du dich auf? (Kap. 1,38).
Die ruhige Würde und das Schweigen Jesu versetzen Pilatus in Wut; jetzt zeigt er sich in seinem wahren, tyrannischen Charakter. Er schreit: „Redest du nicht mit mir?“ (V. 10). Dann beginnt er zu prahlen - ein typisches Kennzeichen eines hilflosen Feiglings, der sich aus seiner mißlichen Lage herauswinden möchte. „Ich habe Gewalt dich zu kreuzigen“, behauptet er.
Aber da muß Jesus seine irrige Auffassung korrigieren. Es ist wirklich Gottes Sohn, der ihm jetzt sagt: „Du hättest keinerlei Gewalt wider mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“ (V. 11) Diese sanfte Zurechtweisung muß Pilatus irgendwie berührt haben. Vielleicht war er tief im Innern von der Wahrheit dieser Worte überzeugt. „Wer ist dieser Geheimnisvolle, von dessen völliger Ohnmacht eine größere und furchtbarere Wirkung ausgeht als von der höchsten Macht?“, mag er sich zu Recht gefragt haben. Er ist nun sogar noch geneigter, Jesus loszugeben (V. 12).
Die Juden aber geben ihm schließlich den Todesstoß. Ein meisterlicher Schachzug genügt, um Pilatus in ihren willigen Sklaven zu verwandeln: „Wenn du diesen losgibst, bist du des Kaisers Freund nicht“ (V. 12). Jetzt kapituliert Pilatus, er duckt sich vor dem Namen des Kaisers! Jesus wird erneut herausgeführt. Pilatus, auf dem Richterstuhl sitzend, stellt Ihn der Volksmenge mit den Worten vor: „Siehe, euer König!“ (V. 14).
Und dann vernichten die jüdischen religiösen Führer mit einem letzten Hieb die messianische Hoffnung ihres Volkes, indem sie erklären: „Wir haben keinen König, als nur den Kaiser“ (V. 15).
So blieb es dem, der so oft „das Erbarmen abgetötet hatte, jetzt versagt, die Süßigkeit des Erbarmens zu schmecken, das er diesmal gern geübt hätte. Er, der so oft die Macht mißbraucht hatte, erwies sich hier als unfähig, sie ein einziges Mal zugunsten des Rechts auszuüben.“ (Zitat) „Dann nun überlieferte er ihn denselben, auf daß er gekreuzigt würde“ (V. 16).