Schriften von Cor Bruins
Mk 12,28-34 Mt 22,34-40 - Die Frage des Schriftgelehrten nach dem wichtigsten GebotMk 12,28-34 Mt 22,34-40 - Die Frage des Schriftgelehrten nach dem wichtigsten Gebot
Markus 12,28-34; Matthäus 22,34-40
Markus 12,28-34: Nach dem Bericht des Matthäus scheint es, daß der Fragende den Angriff in den Versen 15-17 zu erneuern versucht; nach der Beschreibung in Markus stimmte er jedoch der Antwort des Herrn an die Sadducäer wohl zu (siehe Lukas 20,39) und brachte Christus Ehrerbietung entgegen.
Von der Antwort Jesu hing viel ab. Entweder würde Sein Ansehen als Ausleger des Gesetzes bestätigt werden, oder man würde Ihn des Fehlers verdächtigen, bestimmte Gebote gegenüber anderen vorzuziehen. Aber der Herr in Seiner Weisheit umging diese Fallen, die man Ihm stellte. Ein Ausleger bemerkt dazu: „Von allen weisen Antworten, die unser Erlöser auf die Ihm gestellten, hinterlistigen Fragen gab, besitzt diese wohl eine besondere moralische Schönheit. Sie geht völlig unzweideutig, einfach und exakt auf die Frage ein, weicht dem leichtfertigen und unnützen Element, das in der Frage lag, aus und stellt das wirkliche Wesentliche klar heraus. Sie ist deshalb bis in unsere Tage so aktuell und wertvoll.“
In Seiner Antwort hebt der Herr Jesus nicht ein Gebot in seiner Bedeutung besonders hervor, sondern faßt alle Gebote in dem Gedanken der Liebe zu Gott und zu dem Nächsten zusammen. Einige Bibelausleger fragten sich, ob die Begebenheit in Lukas 10,25-28 dieselbe wie hier in Matthäus und Markus ist. Bei Lukas bildet sie die Einleitung zu dem Gleichnis von dem barmherzigen Samariter. Nach unserer Meinung sind die Zusammenhänge unterschiedlich; deshalb haben wir auch Lukas 10,25-37 als besonders charakteristisch für dieses Evangelium an anderer Stelle behandelt (siehe Abschnitt 86).
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß Markus uns in Vers 29 eine vollständige Zusammenfassung dessen gibt, was wir in 5. Mose 6,4.5 und 3. Mose 19,18 finden, während Matthäus den Wortlaut verkürzt. Markus trägt immer der Tatsache Rechnung, daß seine römischen Leser in Bezug auf das jüdische Gesetz und die Tradition unwissend waren.
Die Verse 32-34 stehen wieder nur bei Markus. Dieser Schriftgelehrte anerkennt einen einigen Gott in Seiner Einzigartigkeit, und er zeigt damit, daß seine Einsicht in die wahre Bedeutung und den Geist des Gesetzes über das Übliche hinausging.
Manche lesen den Vers 34, „und Jesus sah ihn, als er antwortete“, was bedeutet, daß Er ihn ansah, aber auch seine Gedanken erkannte. Eine Fußnote sagt „umsichtig, zurückhaltend“; die Darby-Übersetzung gibt das Wort mit „verständig“ wieder, und das trifft wohl mehr zu. „Zurückhaltend“ könnte auch negativ verstanden werden das Umgehen einer Gefahr durch besondere Vorsicht und Raffinesse - und das ist angesichts der Aufrichtigkeit des Schriftgelehrten sicher eine unzutreffende Auslegung. Der Herr Jesus hebt seine Aufrichtigkeit lobend hervor. „Du bist nicht fern vom Reiche Gottes.“ Doch diese Anerkennung enthält auch zu gleicher Zeit eine Warnung: Du bist noch nicht in das Reich eingegangen!
Matthäus 22,34-40: Die Beschreibung der Reaktion der Pharisäer in Vers 34 ist typisch für Matthäus.
Vers 35 zeigt uns, daß der nächste Fragesteller einer von denen war, die bereits den Herrn „versucht“ hatten. Er scheint hier diesen Angriff fortzuführen als Repräsentant des sich auflehnenden Volkes. Das Ziel des Matthäus ist es, zu zeigen, wie widerwillig und aufrührerisch dieses Volk tatsächlich war, um seine jüdischen Leser dahin zu bringen, daß sie sich schämen und Buße tun.
Obwohl der Schriftgelehrte zum Herrn gekommen sein mag, um Ihn zu versuchen, sehen wir doch bei Markus , daß er am Ende nicht fern vom Reich Gottes war. Vielleicht glich er dem Schächer am Kreuz, der zuerst gegen Christus auftrat, aber doch ins Paradies eingehen durfte.