Schriften von Cor Bruins
B. Mk 14,53-64 Mt 26,57-66 - Das inoffizielle Verhör vor KajaphasB. Mk 14,53-64 Mt 26,57-66 - Das inoffizielle Verhör vor Kajaphas
Markus 14,53-64; Matthäus 26,57-66
Markus 14,53-64: Während die Berichte von Markus und Matthäus über das ganze traurige Geschehen weitgehend übereinstimmen, scheint Johannes vieles aus einer ganz anderen Sicht darzubieten. Lukas schildert als einziger die Verhöre vor dem Synedrium und vor Herodes.
Markus erwähnt die Befragung des Herrn durch Annas nicht. Er schrieb ja für römische Leser, die kaum Interesse für die verworrenen Verhältnisse des Priestertums oder die Szene vor dem einheimischen Vierfürsten aufbringen würden, desto mehr aber für den römischen Landpfleger Pilatus.
In Vers 53 wird einfach berichtet, daß der Hohepriester sowie alle Hohenpriester, Ältesten und Schriftgelehrten eilig im Hause Kajaphas zusammenkamen. Kajaphas führte den Vorsitz. Auch Petrus war von feme gefolgt, hatte dann aber mit ziemlichem Mut und mit der Unterstützung des Johannes Zutritt zum Innenhof des hohenpriesterlichen Hauses erlangt. Das war zweifellos gefährlich für ihn. Hatte er nicht beinah Malchus getötet? Hier hätte er sich am allerwenigsten aufhalten dürfen! Doch der angeborene Mut und seine rasch entschlossene Art überwogen im Moment seine Furcht.
Mit Vers 55 beginnt das Verhör.
Judas, der wichtigste Zeuge, war nicht zugegen. So mußten sie nach anderen Zeugen suchen, sagt Markus. Matthäus sagt uns genauer, daß sie falsche Zeugen suchten (Matthäus 26,59). Markus bestätigt diese knappe Bemerkung und fügt in Vers 56 hinzu: „Denn viele gaben falsches Zeugnis wider ihn, und die Zeugnisse waren nicht übereinstimmend.“ Natürlich nicht!
In Vers 58 finden sich schließlich Leute, die die Wahrheit verdrehen wollen. Sie erinnern sich, was Jesus zu Beginn Seines Dienstes in Johannes 2,18-21 gesagt hatte. Er hatte von Seinem eigenen Leib gesprochen. Sie verdrehen das, und so wie ihr Vater, der Teufel, in Matthäus 4,6Psalm 91,11.12 falsch wiedergibt, geben sie nun ihrerseits Jesu Worte falsch wieder. Tatsächlich sind „der mit Händen gemacht ist“ und „der nicht mit Händen gemacht ist“ Zufügungen von ihrer Seite. Christus hatte das nie gesagt. Was hatte der Herr wirklich gesagt? „Brechet diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten“ (Johannes 2,19). Beachten wir, daß Jesus nie gesagt hat: „Ich werde abbrechen“, sondern „Brechet ab“- sie würden ihn abbrechen!
„Und auch also war ihr Zeugnis nicht übereinstimmend“, berichtet Markus uns in Vers 59. Der Hohepriester, dem längst klar geworden war, daß er so niemals zu einem Urteilsspruch kommen würde, war jetzt mit seinem Latein am Ende. Umsomehr, als ihn dieser schweigende Angeklagte verwirrte und aufregte. Kajaphas stand nun auf, um auf sein Opfer mehr Eindruck zu machen. Wir hören ihn förmlich, wie er Jesus anschreit: „Antwortest du nichts?“ (V. 60).
Die Frage: „Was zeugen diese wider dich?“ stellte ein ungesetzliches Vorgehen des Kajaphas dar. Es war ein Versuch, dem Angeklagten ein Geständnis zu entlocken, das gegen ihn zeugte - eine Verfahrensweise also, die in völligem Widerspruch zu Geist und Praxis des Gesetzes stand.
Markus betont noch einmal das Schweigen des Herrn: „Er aber schwieg und antwortete nichts“ (V. 61). Damit fand Jesaja 53,7 ein weiteres Mal seine Erfüllung.
Wütend dringt Kajaphas nun mit seiner abschließenden Frage auf unseren hochgelobten Herrn ein (in Matthäus stellt er Ihn unter Eid): „Bist du der Christus, der Sohn des Gesegneten?“ („der Sohn Gottes?“ in Matthäus).
Aus mehreren Gründen bricht Jesus jetzt Sein Schweigen. Erstens beugt Er Sich der Forderung des Gesetzes, daß Er nun sprechen muß. Zweitens - und das ist bedeutungsvoller - ist Er der treue Zeuge bezüglich der Wahrheit, daß Er tatsächlich der „Ich bin“ Jahwe aus 2. Mose 3,14 ist. Doch Er sagt noch mehr: Obwohl Er wahrhaftig Gott ist, ist Er auch Sohn des Menschen, und obwohl Er jetzt als Sohn des Menschen von ihnen mißhandelt werden würde, wird Er ihnen eines Tages in Herrlichkeit erscheinen, wird Er verherrlicht mit den Wolken zum Gericht kommen. Ja, in Wirklichkeit richteten nicht sie Ihn, sondern sie werden von Ihm gerichtet werden. Sie hören gewissermaßen einen Donner, der den vom Sinai noch übertrifft.
Das ist zuviel für Kajaphas' angespannte Nerven. Als Ausdruck der Entrüstung zerreißt er hysterisch sein prachtvolles Obergewand. Für diesen blinden Diener des Teufels war die Wahrheit tatsächlich zur Lästerung geworden. Gleich seinem Vater, dem Menschenmörder von Anfang, hat er nun nichts weiter als den Tod Jesu im Sinn (64).
Es ist wichtig zu sehen, daß Christus vor der jüdischen Nation aufgrund Seines eigenen Bekenntnisses verurteilt wurde. Vor Pilatus obgleich Er auch dort die Wahrheit Seines Kommens in diese Welt bekennt (Johannes 18,37) - wird Er des Anspruchs beschuldigt, König der Juden, d.h. offensichtlicher Rivale des Kaisers zu sein (Lukas 23,2).
Wie losgelassene Tiere stürzen sie sich gleichsam auf ihre Beute (später bei Stephanus taten sie es buchstäblich) und beginnen, abscheuliche Gewalttätigkeiten an dem Herrn Jesus zu verüben. Kein Wunder, daß Johannes die Abscheulichkeiten dieser Szene mit Schweigen übergeht! Aber die Tatsachen mußten berichtet werden, um deutlich zu machen, wie tief der Mensch fallen kann bzw. gefallen ist. Alle drei synoptischen Evangelien schreiben darüber; Markus hier in Vers 65.
Matthäus 26,57-66: Es war Annas, der Jesus in der Nacht Seiner Gefangennahme gebunden zu Kajaphas gesandt hatte (Johannes 18,24). Es war hier noch nicht die eigentliche Verhandlung vor dem Synedrium, dem Obersten Gericht in religiösen Angelegenheiten, das am Morgen zusammenzutreten pflegte (siehe Jer 21,12). Das hier war in Wirklichkeit eine illegale Gerichtssitzung, an der jedermann teilnehmen konnte. Aber es waren gar keine Ermittlungen nötig, denn sie waren ja bereits entschlossen, Jesus zu beseitigen! Die Sitzung war daher anberaumt worden, um den Fall am Morgen, wenn das Synedrium offiziell tagen würde, schnell erledigen zu können.
Das Gesetz forderte: „Auf die Aussage zweier Zeugen oder dreier Zeugen soll getötet werden, wer sterben soll“ (5Mo 17,6). Dem suchte Kajaphas hier nachzukommen. Es kam ihm nicht auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einzelner Anklagen an, sondern er suchte wenigstens zwei übereinstimmende Zeugen. Falsche Zeugen waren alle, die hier auftraten (V. 59).
Zuletzt traten zwei Zeugen mit der Behauptung auf, Jesus sei schuldig, gegen den Tempel Gottes geredet zu haben. Dies scheint eine beliebte Anklage bei den Juden gewesen zu sein, wenn sie Volksgenossen ermorden wollten (siehe Apg 6,13.14).
Wenn Jesus behauptete, solch ein erstaunliches Wunder der Baukunst vollbringen zu können, nämlich den Tempel abzubrechen und in drei Tagen wieder zu errichten, dann konnte das für Kajaphas nur eins bedeuten - Jesus beanspruchte damit, der Messias zu sein. Jesus schwieg - gegen diese absurde Anklage war keine Verteidigung erforderlich. Aber Kajaphas gibt keine Ruhe. Er möchte Jesus endlich zu einem Ja oder Nein zwingen.
Nur Matthäus berichtet: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes“ (Vers 63). War dem Kajaphas vielleicht im Blick auf diesen Menschen Jesus eine schreckliche Ahnung aufgestiegen? Jedenfalls eine seltsame Frage, die da an einen gebundenen, wehrlosen und verurteilten Verbrecher von dem gestellt wird, der Hoherpriester seines Volkes ist!
3. Mose 5,1 legt fest, daß jemand, der die Stimme der Beschwörung hört und es nicht anzeigt, seine Ungerechtigkeit tragen soll. Und so leugnet Jesus - dem Gesetz gehorchend - nicht ab, tatsächlich der Christus, der Sohn Gottes, zu sein. Aber Er ist noch mehr: Er ist auch der Sohn des Menschen, wie wir sahen.
Für das Zerreißen seiner Kleider, das der Hohepriester in Vers 65 vomahm, verdiente er ebenso die Todesstrafe wie für Gotteslästerung. Denn das Gesetz sagt in 3. Mose 10,6.7: „Eure Häupter sollt ihr nicht entblößen und eure Kleider nicht zerreißen, damit ihr nicht sterbet“, und in 3. Mose 21,10: „Der Hohepriester unter seinen Brüdern ... soll sein Haupt nicht entblößen und seine Kleider nicht zerreißen.“ Wie bezeichnend ist es, daß dieser falsche Hohenpriester vor dem einzigen wahren Hohenpriester seine leinenen Gewänder zerreißt!
Obwohl sie Jesus „des Todes schuldig“ (V. 66) befunden hatten, konnten sie das Urteil nicht selbst vollstrecken. Sie mußten jetzt eine gut durchdachte und formulierte Anklage finden, um Pilatus zum Handeln zu bewegen. Doch das war erst am Morgen möglich. Inzwischen überließen sie Jesus der „Obhut“ der Soldaten.