Schriften von Samuel Ridout
Vorträge über die Stiftshütte (1-20)
2Mo 37,10-16 - Vorträge über die Stiftshütte - Der Tisch
Die Schaubrote – Christi VolkDie Schaubrote – Christi Volk
Aber es ist die „Herrlichkeit seiner Gnade“ (Eph 1,6), woran die Brote uns denken lassen, wenn sie durch den Kranz an Ort und Stelle gehalten werden. Es ist ein verherrlichter Christus, der die Seinen bewahrt, und Er tut es seinem ganzen Wesen gemäß. Diese Herrlichkeit ist, wie wir gesehen haben, unmittelbar und auf ewig mit seinem Erlösungswerk auf dem Kreuz verbunden. Im Licht dieser Herrlichkeit lesen wir: „Ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben“ (Joh 10,28). „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben“ (Joh 14,19). „So werden wir viel mehr, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden“ (Röm 5,10). Hier ist sein Leben als auferstandener und verherrlichter Mensch gemeint. Alles ist von nun an mit der Herrlichkeit des Herrn Jesus verbunden – einer Herrlichkeit, in die Er eingegangen ist, nachdem Er und weil Er den Weg seiner Leiden bis zum Tod durchschritten hat. Weil Er verherrlicht war, konnte an Pfingsten der Geist gegeben werden (Apg 2,33; vgl. Joh 7,39). Die Heilung des Gelähmten an der Pforte des Tempels schreibt Petrus der Kraft des verherrlichten Jesus zu: „Der Gott unserer Väter hat seinen Knecht Jesus verherrlicht“ (Apg 3,13). Dieser Gedanke prägt die ganze Lehre des Apostels: Christus in Herrlichkeit ist die Quelle allen Segens und auch der Kraft, in der dieser Segen durch den Heiligen Geist offenbart wird.
Aber wir finden noch eine weitere Bestätigung dafür, dass der Tisch samt seinem Kranz mit der Sicherheit des Gottesvolkes zu tun hat, wenn wir die Schaubrote anschauen, die ja dauerhaft auf dem Tisch sein sollten. Dass sie Schaubrote (oder „Brote des Angesichts“50) genannt wurden, soll andeuten, dass sie vor Gottes Angesicht gestellt wurden als Ihm vollkommen annehmlich. Sie wurden auch „das beständige Brot“ genannt (4Mo 4,7), weil sie stets vor Gott standen, und „heiliges Brot“ (vgl. 1Sam 21,5), was von der Heiligkeit in ihrer Darstellung spricht. Es war das, was vor Gott dargestellt wurde, wie es die Ausdrücke „Schichtbrot“ (1Chr 9,32) und „Darstellung der Brote“ (Heb 9,2) nahelegen.
Das mit „Kuchen“ wiedergegebene Wort ist challoth (Plural)51. Es ist das gebräuchliche Wort, bedeutet aber wörtlich „durchstochener Kuchen“, weil diese Kuchen durchstochen oder perforiert wurden, wohl um sie schneller durchbacken zu können. Insofern diese Kuchen von Christus sprechen, ist das „Durchstechen“ besonders passend, nicht in erster Linie im Blick auf das Durchstechen bei seinem Tod – obwohl alles darauf hinauslief –, sondern im Blick auf die stete Unterwerfung seines ganzen Wesens, seines Herzens unter die Hitze des Feuers und der Erprobung auf Erden sowie die Erforschung durch Gottes heiliges Wort.
Diese Brote wurden aus Feinmehl gemacht, was von der vollkommenen Menschheit unseres Herrn spricht, von der Beständigkeit und Gleichförmigkeit seines Wesens. Wir werden das näher anschauen, wenn wir das Speisopfer untersuchen. Jeder Kuchen oder jedes Brot wurde aus zwei Zehnteln Feinmehl gemacht. Genauso war das Speisopfer bemessen, das zur Opferung eines Widders gehörte. Beim Rind waren es drei Zehntel und beim Lamm nur ein Zehntel. Der Widder deutet hin auf die Weihe und Hingabe unseres Herrn bis zum Tod. Wir haben das schon bei den Decken des Zeltes gesehen. Indem das Feinmehl von seiner Person spricht, erinnert es uns auf passende Weise an Ihn, der Gott völlig ergeben war und nun vor Ihm sein Volk im ganzen Wert und in der vollen Kraft dieser Hingabe vertritt.
Es gab zwölf dieser Brote, was uns sogleich an die zwölf Stämme erinnert, aus denen das Volk Israel in seiner Gesamtheit besteht. Es war die Zahl nationaler Einheit, und damit verbunden ist der Gedanke an eine göttliche Regierung, die über sie und – wären sie treu gewesen – auch durch sie über die Welt hätte ausgeübt werden sollen. Die Zahl taucht bei den zwölf Aposteln wieder auf, denen Gottes Regierung in der Christenheit anvertraut war und für das Tausendjährige Reich auch die Regierung Israels (Mt 19,28). Auch in der himmlischen Stadt sticht die Zahl Zwölf hervor: Die Stadt hat zwölf Tore mit den Namen der zwölf Stämme darauf; sie hat eine Ausdehnung von 12.000 Stadien in jede Richtung, wodurch sie einen perfekten Würfel bildet; ihre Mauer misst 144 (12 ∙ 12) Ellen; sie hat zwölf Grundlagen aus wertvollen Steinen; der Baum des Lebens darin trägt zwölf verschiedene Früchte. Das erinnert uns daran, dass Israels Segnungen ewig sind und dass göttliche Regierung die wesentliche Eigenschaft und der Zustand dieses „unerschütterlichen Reiches“ ist (Heb 12,28). Darin wird Gott die Schöpfung wieder aufgreifen und sich ihr gegenüber in seiner vollkommenen Heiligkeit und Liebe offenbaren (4 ∙ 3).
Diese Tatsachen unterstreichen die Bedeutung der zwölf Brote. Sie stellen Israel dar unter der Kontrolle göttlicher Regierung und daher zu ewigem Segen bestimmt. Dass die Brote in zwei Reihen angeordnet waren, scheint die vollkommene Ordnung aller göttlichen Regierung anzudeuten und das wahrhaftige Zeugnis dessen, worüber uns die Brote belehren. Sie stellen Christus in der Vollkommenheit seiner Person dar, und der Weihrauch darauf spricht von seinem Duft und Wohlgeruch für Gott. Aber sie zeigen auch Christi Volk in Ihm, wie es stets vor Gott ist entsprechend dem Wert und Wohlgeruch dessen, was der Herr ist. Sie werden nicht als das gesehen, was sie in sich selbst sind und worin kein lieblicher Duft für Gott ist, sondern als in Christus und so angenehm gemäß dem, was Er vor Gott ist. So sehen wir in den zwölf Broten nicht nur die Vollkommenheiten Christi, sondern auch die seines Volkes als in Ihm.
Im Neuen Testament haben wir einen ähnlichen Gedanken in dem Brot, das auf dem Tisch des Herrn ist: „Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle nehmen teil an dem einen Brot“ (1Kor 10,16.17). Auch hier erinnert uns das eine Brot, während es von dem Leib unseres Herrn spricht, zugleich an sein Volk, das ebenfalls ein Brot, ein Leib ist, denn alle nehmen teil an dem einen Brot. So wird sein Volk in Ihm gesehen – vollständig und als vollendetes Ganzes.
Diese Wahrheit der Einheit des Volkes vor Gott nimmt offenbar einen wichtigen Platz in den Gedanken Gottes ein, im Alten wie im Neuen Testament. In den Tagen Elias war die nationale Einheit Israels auf traurige Weise und nach außen hin sichtbar zerbrochen: Die zehn Stämme hatten sich gegen das Haus Davids aufgelehnt und die Masse war abgefallen. Und doch hatte sich Gottes Gedanke über die Einheit Israels nicht verändert. Elia, der das Volk zu Gott zurückführen wollte, stellte den zerbrochenen Altar wieder her: „Und Elia nahm zwölf Steine, nach der Zahl der Stämme der Söhne Jakobs , an den das Wort des HERRN ergangen war, indem er sprach: Israel soll dein Name sein! Und er baute von den Steinen einen Altar im Namen des HERRN“ (1Kön 18,31.32).
Das war im Geiste der Tat Josuas ähnlich, der in früherer Zeit auf das Gebot des HERRN hin zwölf Steine im Jordan aufrichtete, wo Israel hindurchzog, und zwölf Steine aus dem Bett des Flusses herausnahm, um sie im Lager bei Gilgal aufzustellen (Jos 4,3-9). Diese Steine symbolisieren die Einsmachung des Volkes Gottes mit Christus. Die Steine im Flussbett des Jordan erinnerten nicht nur daran, dass der HERR den Strom aufgehalten hatte, sondern auch daran, dass ganz Israel hindurchgezogen war. Gleicherweise erinnern die in Gilgal aufgerichteten Steine daran, dass ganz Israel in sein Erbteil eingegangen ist. So hielt der Tod unseres Herrn Jesus den Todes- und Gerichtsfluss auf und bereitete einen Weg für sein Volk, damit es hindurchzog in sein ewiges Erbteil. Es ist sein Tod, der in den zwölf Steinen vorgebildet wird, aber sein Volk wird in Ihm gesehen. Und so sind sie auch in seiner Auferstehung vertreten als seine Miterben. Jeder Glaubende kann sagen: „Ich bin mit Christus gekreuzigt“ (Gal 2,19), „mit ihm begraben“ (Röm 6,4), „mit dem Christus auferweckt“ (Kol 3,1), und Gott hat mich „mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus“ (Eph 2,6). Und das ist nicht nur für eine besondere Klasse von Glaubenden wahr, sondern für jeden, der an den Herrn Jesus Christus glaubt. Für die volle Zahl der Heiligen ist gesorgt, und jeder Einzelne steht vor Gott als mit Christus einsgemacht und verbunden. Das ist wahr, ob nun das verantwortliche Zeugnis unversehrt ist wie in den Tagen Josuas oder ob Versagen eingekehrt ist wie zur Zeit Elias. Der Israel Gottes war stets vor Ihm als ein unversehrtes Ganzes: So ist es auch mit der Kirche Gottes, ob in ungebrochener äußerlicher Einheit der ersten Liebe in den Tagen der Apostel oder zu „schweren Zeiten“ der Gegenwart (2Tim 3,1), wenn die Kirche dem äußeren Erscheinen nach in lauter Bruchstücke zerfallen ist.
Der goldene Tisch (Christus) in der gänzlich beispiellosen Vollkommenheit seiner Person bleibt bestehen. Und Er, der Auferweckte und Verherrlichte, ist stellvertretend für sein bluterkauftes Volk, das mit Ihm und in Ihm eins ist, vor Gott. So ist sein Gebet in Johannes 17 von göttlicher Seite beantwortet, wenn auch – leider – durch trauriges Versagen nach außen hin völlig verwüstet ist, was eigentlich ein Zeugnis für die Welt sein sollte. Das gemeinsame Leben bleibt und so auch jene Einheit vor Gott, die damit einhergeht (Joh 17,21).
So kehrt der Glaube immer zu den Gedanken Gottes zurück, selbst in Tagen des Verfalls. Elias Altar mit seinen zwölf Steinen lässt völlig unbeachtet, dass es zwei Königreiche gab. Vor Gott ist es ein Israel. Zur Zeit des Apostels Paulus war die Zerstreuung noch umfassender: Die zehn Stämme waren bereits aus dem Blickfeld verschwunden – unter den Nationen verschüttet wegen ihres Götzendienstes. Und die Juden hatten sich teils in gefälliger Selbstgerechtigkeit eingenistet, teils in blankem Unglauben. Sie hatten den Herrn der Herrlichkeit abgelehnt und hinausgeworfen und häuften „Zorn bis zum Ende“ auf (1Thes 2,16; s. Fußnote in der Elberfelder, Edition CSV). Zu einer solchen Zeit hielt Paulus weiter an Gottes Gedanken über Israel fest. Er wusste: „Nicht alle, die aus Israel sind, diese sind Israel“ (Röm 9,6), und dann erinnert er gerade an die Zeiten Elias, wie Gott damals siebentausend übriggelassen hatte, die ihre Knie nicht vor dem Baal gebeugt hatten, und fügt hinzu: „So besteht nun auch in der jetzigen Zeit ein Überrest nach Auswahl der Gnade“ (Röm 11,4.5).
So sagt er auch vor König Agrippa, als er zu seiner Verteidigung von der an die Väter ergangenen Verheißung spricht, dass zu dieser „unser zwölfstämmiges Volk, unablässig Nacht und Tag Gott dienend, hinzugelangen hofft“ (Apg 26,7). Das Auge Gottes und der Glaube sehen die ganze erwählte Nation. So war es auch bei den Propheten, wenn sie den Tag zukünftiger Herrlichkeit Israels vorhersagten: Die zwischenzeitlichen Teilungen und Zerstreuungen wurden entweder ignoriert oder triumphal überwunden. Durch die Vereinigung von zwei Hölzern sollte Hesekiel die zukünftige Wiedervereinigung von Israel und Juda zu einer Nation anzeigen (Hes 37,16-22), und derselbe Prophet traf umfänglich Vorsorge für die Aufteilung des Landes unter den zwölf Stämmen des vereinigten Volkes (Hes 48). So hat die Zahl Zwölf eine unmissverständliche Bedeutung nicht nur für eine begrenzte Zeit, sondern in Bezug auf die „unbereubaren“ Gnadengaben und Berufungen Gottes (Röm 11,29).
So deuten der goldene Kranz rings um den Tisch sowie die zwölf Schaubrote oben darauf die Fülle an, in der das ganze geliebte Volk Gottes in Christus vor Gott gestellt ist und vor Gott bewahrt wird aufgrund der Tatsache, dass Christus vor Ihm mit Herrlichkeit gekrönt als der Stellvertreter ist. Auf diese Weise festgehalten, können sie niemals verlorengehen. Wir können uns gut vorstellen, wie irgendein übereifriger Levit den Priester auf die Gefahr hinweist, dass die Brote vom Tisch herabgleiten könnten, und einen Plan ersinnt, sie sicherer zu halten. Der Priester konnte ruhig darauf antworten: „Dafür ist von Gottes Seite bereits gesorgt: Siehst du den Kranz (die Krone) nicht? Daran kommen sie nicht vorbei.“ Und so können wir auch einem bangenden Gläubigen, der fürchtet, er möchte nicht bis zum Ende ausharren, die Antwort geben: „Siehst du diese Krone nicht? – Jesus, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt?“
Anm. d. Red.: Siehe Fußnote in der Elberfelder, Edition CSV, zu 2. Mose 25,30.
↩︎ 51Anm. d. Red.: Der Singular von challoth lautet challah.