Schriften von Samuel Ridout
Vorträge über die Stiftshütte (1-20)
Cherubim in der Heiligen SchriftCherubim in der Heiligen Schrift
Wir hatten bereits die Gelegenheit, auf die Cherubim hinzuweisen, sowohl auf den Teppichen und dem Vorhang als auch auf dem Sühndeckel, aber wir haben es bisher aufgeschoben, ihre Bedeutung aus der Schrift aufzuzeigen.
Die Cherubim wurden, wie wir gesehen haben, mit dem Sühndeckel aus einem Stück getrieben. Das deutet wohl an, dass sie dieselben Wahrheiten verkörpern, die auch im Deckel dargestellt werden, bloß aus einem anderen Blickwinkel. Wir werden zunächst eine Reihe von weiteren Schriftabschnitten besehen, die von den Cherubim sprechen.44 „Er ließ östlich vom Garten Eden die Cherubim lagern und die Flamme des kreisenden Schwertes, um den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen“ (1Mo 3,24). Hier waren die Cherubim also Wächter, um den Menschen von dem zurückzuhalten, was er verwirkt hatte: sein Anrecht am Baum des Lebens. Obwohl nicht gesagt wird, dass die Cherubim das Schwert trugen, lässt ihre so eng dabeistehende Nennung doch ihren Zweck damit zusammenfallen. Der Engel des HERRN mit seinem gezückten Schwert, der Bileam widerstand (4Mo 22,23), und der Bote der Pest für Israel nach der Sünde Davids in der Zählung des Volkes (1Chr 21,16) lassen beide an dieses Werk der Cherubim an den Toren Edens denken und mögen weitere Anhaltspunkte zu ihrem Verständnis bieten.
„Und wenn Mose in das Zelt der Zusammenkunft hineinging, um mit ihm zu reden, dann hörte er die Stimme zu ihm reden vom Deckel herab, der auf der Lade des Zeugnisses war, zwischen den beiden Cherubim hervor“ (4Mo 7,89). Das stimmt mit der früheren Verheißung überein: „Und dort werde ich mit dir zusammenkommen und von dem Deckel herab, zwischen den beiden Cherubim hervor, die auf der Lade des Zeugnisses sind, alles zu dir reden“ (2Mo 25,22). So bildeten die zwei Cherubim die Flanken oder Stützen des Thrones Gottes, von dem es heißt, dass Er „zwischen den Cherubim thront“ (2Sam 6,2). Dort wandte sich Hiskia an Gott, als er um Befreiung von den Assyrern betete (2Kön 19,15). Siehe auch Psalm 99,1: „Der HERR regiert. Es zittern die Völker. Er thront zwischen den Cherubim: Die Erde wankt.“ In Psalm 97,1.2 scheint das für uns übertragen worden zu sein: „Der HERR regiert. Es frohlocke die Erde, mögen sich die vielen Inseln freuen! Gewölk und Dunkel sind um ihn her; Gerechtigkeit und Gericht sind die Grundfesten seines Thrones.“ Die Cherubim stellen offenbar die göttlichen Attribute der Gerechtigkeit sowie ihrer Ausführung im Gericht dar. Sie bilden die Grundlage jeder wahrhaftigen Regierung, ob von Menschen oder von Gott, und sind die einzige Gewähr der Beständigkeit dessen, was ihrer Macht untersteht. Der Thron der Ungerechtigkeit (andere übersetzen: „des Verderbens“) kann keine Gemeinschaft mit dem Gott des gerechten Gerichts haben (Ps 94,20). Darum wird Gott ihn umstürzen, bis der gerechte Herrscher kommt, der Gerechtigkeit liebt und Gottlosigkeit hasst (Hes 21,32; Ps 45,7.8). Nur ein solcher Thron kann „immer und ewig“ sein, und der genannte Herrscher ist der wahre Melchisedek, „König der Gerechtigkeit“ und „König des Friedens“, Sohn Davids und zugleich dessen Herr. Er sitzt nun zur Rechten Gottes, bis seine Feinde hingelegt sind als Schemel seiner Füße (Ps 110,1.2). Angesichts eines solchen Herrschers tut das Volk wohl, zu zittern und sich im Herzen vor Ihm zu beugen am Tag seiner Gnade, ehe sein Gericht herabfällt. Und doch: Wenn Er die Macht ergreift und herrscht, wird die Erde jubeln und sich freuen. Auf Ihn wartet seine ganze Schöpfung in Hoffnung, denn dann werden die Kinder Gottes offenbart werden in ihrer Freiheit der Herrlichkeit, und die Schöpfung wird von ihrer gegenwärtigen Knechtschaft befreit (Röm 8,21.22).
Der Hauptgedanke, den diese Schriftstellen über die Cherubim vermitteln, ist daher der von Stützen oder Wächtern des Thrones Gottes in seiner absoluten Gerechtigkeit und Ausübung des Gerichts. Wir finden denselben Gedanken in einem anderen Zusammenhang in Psalm 18, wo David sich freut über die Befreiung von all seinen Feinden und insbesondere von Saul. Davids Gebet wurde in Gottes heiligem Tempel gehört und von dort erscheint Er ihm zur Befreiung. Die Erde zittert, als ihr Schöpfer hervortritt zur Befreiung seines Geliebten – der ein Bild des wahren Königs ist, der all dem Hass der gottlosen Menschen ausgeliefert war. „Und er fuhr auf einem Cherub und flog daher, und er schwebte auf den Fittichen des Windes“ (Ps 18,11). Es ist, als ob der ewige König für eine Zeit seinen Platz im Heiligtum verlässt und zum Gericht über seine Feinde erscheint. Der Ausdruck „Er fuhr auf einem Cherub und flog daher“ scheint einen Ausdruck zu erklären, der in Bezug auf den Sühndeckel gebraucht wird: „Und das Muster der Wagen der Cherubim aus Gold, die die Flügel ausbreiten und die Lade des Bundes des HERRN überdecken“ (1Chr 28,18). Hier sehen wir den Thron als diesen Wagen, auf dem der Herr auszieht, wobei die Cherubim Ihn gleichsam mit unwiderstehlicher Macht durch seine Schöpfung tragen.
Das führt uns zu einer anderen Schriftstelle, wo dieser Gedanke ausgeweitet wird, nämlich in Hesekiel 1,4-28. In der Wolke und dem verzehrenden Feuer wird die furchterregende Majestät Gottes sichtbar sowie der Glanz seiner Herrlichkeit (Hes 1,4). In Verbindung damit erscheinen die „lebendigen Wesen“ – und es sind derer vier, nicht bloß zwei. Mit erstaunlicher Genauigkeit werden sie beschrieben. Sie hatten die Gestalt eines Menschen (Hes 1,5), was andeutet, dass es vernunftbegabte Wesen sind, allerdings mit vier Gesichtern: eines Menschen, eines Löwen, eines Stieres und eines Adlers. Die vier Gesichter weisen hin auf Einsicht im menschlichen Gesicht; furchtlose Autorität im Löwen; Stärke im Stier und rasanten himmlischen Flug im Adler. Die „Fußsohlen wie die Fußsohle eines Kalbes“ deuten auf Standfestigkeit hin, und die Menschenhände und Augen auf den Rädern zeigen, dass der Verstand gegenüber bloßer Gewalt den überlegenen Platz einnimmt. Die Flügel deuten den himmlischen Charakter dieser Wesen an und erinnern uns auf diese Weise an die Engel als die „Gewaltigen an Kraft, Täter seines Wortes, gehorsam der Stimme seines Wortes“ (Ps 103,20). „Die lebendigen Wesen liefen hin und her wie das Aussehen von Blitzstrahlen“ (Hes 1,14) – Gott macht „seine Diener zu einer Feuerflamme“ (Heb 1,7). Wir sehen augenblicklichen und unverzüglichen Gehorsam auf die Weisungen des Geistes (Hes 1,12). Dann werden die Räder beschrieben – diese furchterregenden Symbole der Macht Gottes, die ihren unwiderstehlichen Lauf nehmen –; sie sind hoch wie die Himmel und tragen den Thron sowie den, der auf dem Thron sitzt, „eine Gestalt wie das Aussehen eines Menschen oben darauf“ (Hes 1,26).45
Hier haben wir in göttlicher Ausführlichkeit den „Wagen der Cherubim“ (1Chr 28,18) beschrieben, den Wagen, auf dem der allmächtige HERR in Regierung und Gericht auszieht. Der Thron ist in Bewegung und durchzieht seine weitgedehnte Schöpfung in widerstandsloser Erhabenheit von Ort zu Ort. In engem Bezug dazu steht die Versetzung des Thrones aus seinem Tempel (der durch sündige Menschen verunreinigt wurde, denen es doch anvertraut war, ihn in Ehren zu halten) auf den Wagen und seine Entfernung aus Jerusalem und weg vom auserwählten Volk. Seine Wegnahme gleicht der Entführung der Bundeslade in den Tagen Elis, aber Tragweite und Ernst des Geschehens sind hier noch viel größer.
Dasselbe Gesicht wird nochmals in Hesekiel 10 beschrieben, und dort werden die „lebendigen Wesen“ auch Cherubim genannt. Wir sehen die Gerichtsausübung auch in den „Feuerkohlen“, die einer der Cherubim austeilt, damit sie über die Stadt Jerusalem ausgestreut werden (Hes 10,7). Dann geschieht es: „Die Herrlichkeit des HERRN begab sich von der Schwelle des Hauses weg und stellte sich über die Cherubim“ (Hes 10,18), und „Ikabod“ wurde über das Haus geschrieben, in dem der Gott Israels bis dahin seines Namens gedenken ließ. Ach, wenn das Herz des Menschen die Quelle lebendigen Wassers verlässt!
Es mag eine Bedeutung darin liegen, dass in der Beschreibung der Cherubim im zehnten Kapitel nicht wie im ersten Kapitel das „Angesicht eines Stieres“ erwähnt wird, sondern das „Angesicht eines Cherubs“ (Hes 10,14). Der Stier als das wichtigste Geschöpf im Dienst des Menschen könnte die Tatsache hervorheben, dass diese Cherubim Geschöpfe sind und nicht göttlich.
Als Nächstes wenden wir uns dem feierlichen Abschnitt im sechsten Kapitel des Propheten Jesaja zu (Jes 6,1-8). Hier finden wir Seraphim46 und nicht Cherubim. Ihre Tätigkeit ist Anbetung und nicht Gericht: „Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit!“ (Jes 6,3). In der Gegenwart dieser unaussprechlichen Herrlichkeit ist der Prophet bis zum Staub gedemütigt. Er ruft aus: „Wehe mir! Denn ich bin verloren“ (Jes 6,5). Aber es ist die Heiligkeit der Liebe, deren Gericht für die Sünde bereits an einem anderen heimgesucht wurde, denn die glühende Kohle vom Altar spricht von einem Feuer, das das Opfer samt seinem Weihrauch darauf bereits verzehrt hat. Die glühende Kohle berührt die unreinen Lippen (wie die eines Aussätzigen, siehe 3Mo 13,45) und reinigt von aller Ungerechtigkeit.
Im neutestamentlichen Buch der Symbole fallen die wesentlichen Kennzeichen von Cherubim und Seraphim in den vier lebendigen Wesen zusammen (Off 4,6-8). Wie die Cherubim werden sie einzeln als Löwe, Kalb, Mensch und Adler beschrieben, und wie die Seraphim erweisen sie dem dreieinen Gott Anbetung. Den Cherubim gleichen sie zudem darin, dass sie mit dem Gericht in Verbindung stehen, das über die Erde kommen wird (Off 6).
Aus den betrachteten Schriftstellen schließen wir, dass diese Wesen symbolhaft für Gottes vernunftbegabte Schöpfung stehen, denn sie erweisen Ihm Anbetung; dass sie mit unbeschreiblicher Macht ausgestattet sind, denn sie laufen mit der Geschwindigkeit eines Blitzes hin und her; und dass sie eng verbunden sind mit dem Thron seiner Regierung und mit der richterlichen Vollstreckung des gerechten Gerichts auf diesem Thron. Aber wir wollen uns diese Tatsachen noch etwas näher ansehen.
Wir können sie nicht als bloß symbolische Darstellungen göttlicher Eigenschaften auffassen, denn es ist undenkbar, dass Gott von seinen Wesenseigenschaften angebetet wird oder dass diese in seiner Gegenwart mit Flügeln verdeckt würden. Nur Wesen mit einem eigenen Bewusstsein können Ihm auf solche Weise ihre Verehrung bringen. Und doch werden diese Wesen in ihrer Funktion mit der Ausübung göttlicher Gerechtigkeit einsgemacht. Wir müssen uns hüten, auf Dinge einzugehen, die wir nicht gesehen haben, wozu auch die „Anbetung der Engel“ (Kol 2,18) gehört. Aber das soll uns nicht hindern, alles zu Rate zu ziehen, was uns nach Gottes Wohlgefallen offenbart ist.
Sowohl das Alte wie auch das Neue Testament sind voll von Abschnitten, die von der Existenz, der Persönlichkeit und dem Dienst der Engel berichten. Wörtlich heißen sie „Boten“, denn das ist ihre Bedeutung sowohl im Hebräischen als auch im Griechischen, und es gibt keine Zweifel, dass sie himmlische Boten sind. Ihr Wohnort ist im Himmel (siehe Gal 1,8; 2Thes 1,7), und sie sind dort als Anbeter und Diener Gottes (Hiob 1,6; 38,7; 1Kön 22,19). Der letztgenannte Vers lässt beinahe an die Stellung der Cherubim denken: „Ich sah den HERRN auf seinem Thron sitzen und alles Heer des Himmels bei ihm stehen, zu seiner Rechten und zu seiner Linken.“ Sie sind um seinen Thron herum aufgeteilt und stehen bereit, seinen Willen zu tun. Engel wurden besonders Aufträge anvertraut, die mit Barmherzigkeit und Gericht zu tun haben: Sie kündigten Abraham die Geburt Isaaks zur bestimmten Zeit an (1Mo 18,2 in Verbindung mit Heb 13,2); sie retteten Lot aus Sodom (1Mo 19,1); sie dienten Jakob, als er schlief (1Mo 28,12). Sie waren in großer Menge am Sinai und prägten den Dienst des Gesetzes (Ps 68,18 in Verbindung mit Apg 7,53 und Heb 2,2).
Einen erhabeneren Gedanken haben wir in dem oft erwähnten „Engel des HERRN“ (1Mo 16,7-13; 22,11; 2Mo 3,2; 23,20; Ri 2,1 usw.), der in einer Anzahl von Stellen wohl mit dem Herrn selbst gleichzusetzen ist, der in Engelsgestalt erscheint und an anderen Stellen ein Stellvertreter des HERRN ist. Das ist bedeutsam und führt uns auf den Gedanken zurück, den wir in den Cherubim gesehen haben.
Die Cherubim scheinen also als symbolische Figuren wohlbekannt gewesen zu sein, die in ihrer zusammengestellten Form die Vereinigung aller geschöpflichen Macht darstellen und in ihren Flügeln und der engen Beziehung zum Thron Gottes ihr himmlisches, engelsähnliches Wesen. Sie waren daher Symbole des Himmelsheers, der Engel, Diener göttlichen Gerichts und göttlicher Gerechtigkeit, verbunden mit Gott als seine Diener in der Regierung der Welt. Als solche sind sie seine Stellvertreter, mit seiner Autorität bekleidet und, soweit nötig, auch mit seiner Macht (siehe Mt 13,39; 25,31; Mk 8,38 usw.). Sie sind nicht Gegenstände der Anbetung, sondern selbst Anbeter. Aber als Beschäftigte in seinem Dienst sind sie seine Repräsentanten und daher mit der Majestät versehen, die zur Darstellung der Gegenwart Gottes selbst gehört.47
44 Was die Bedeutung des Wortes Cherubim betrifft, so gehen die Meinungen der Gelehrten weit auseinander. Manche legen nahe, dass es von einem Wort abgeleitet ist, das „für den gewöhnlichen Gebrauch verbieten“ bedeutet, also den Gedanken des Heiligens enthält. Es würde dann einen Wächter oder Hüter bezeichnen. Ein anderer Gedanke sieht es als Bezeichnung für „jemand, der hinzunahen darf“. Wiederum andere verbinden es mit dem Wort „Griff“, abgeleitet von einem persischen Wort, das „halten“ oder „greifen“ bedeutet und somit auf den Hüter eines Schatzes hinweist. Es ist auch der Gedanke geäußert worden, dass es sich von einer Wurzel ableitet, die „reiten“ bedeutet, was an einen Streitwagen denken lässt und Psalm 18,10.11 erklären könnte. Jemand anders legt nahe, dass es vom Wort „eingravieren“ abgeleitet ist. Gravuren seien für diese Figuren besonders kennzeichnend. Es würde so eine Verbindung mit dem griechischen und lateinischen Wort für „schreiben“ bestehen. Aber es ist zu bedenken, dass solche Gravuren nur der Ausdruck des bereits Bestehenden waren, und es scheint unnatürlich, der Beschriftung eines Gegenstands statt dem Gegenstand selbst einen Namen zu geben. Zu guter Letzt hat man in dem Wort auch eine Zusammensetzung der Worte für „als Bittsteller“ und „Feinde“ gesehen. Diese Herleitung ist gut möglich und stimmt mit der offenkundigen Bedeutung der Cherubim überein. Aber angesichts der Menge an Vorschlägen zögere ich doch, mich endgültig festzulegen, würde sie allerdings reduzieren auf den letzten sowie den, der das Wort „herzunahen“ darin sieht – die Cherubim sind es, „die Zutritt haben“ und als solche die Wächter der göttlichen Gegenwart sind. Es ist auffallend, dass sie schon so früh in der Schrift erwähnt werden, und dort so, als müssten sie wohlbekannt sein. Es scheint, dass ihr Sinn sich mehr durch ihr Tun erschließt als durch die Bedeutung ihres Namens.↩︎
45Die Felgen der Räder waren „hoch und furchtbar“ (Hes 1,18). Man kann in diesen Rädern eine Beschreibung von Gottes gewaltiger und unermesslicher Schöpfung sehen. Die Erde selbst und alle Himmelskörper sind sphärisch und ihre Bewegungen kreisförmig. Das Ausmaß ihrer Umlaufbahnen ist nur schwer mit Worten zu beschreiben, die unser begrenzter Verstand fassen kann. Die Umlaufbahn der Erde hat einen Durchmesser von beinahe 300 Millionen Kilometern. Bei Neptun, dem entferntesten Planeten unseres Sonnensystems, sind es 9 Milliarden Kilometer. Aber das Sonnensystem als Ganzes hat eine Bahn von unerforschtem Ausmaß. So dreht sich ein System nach dem anderen um immer neue Mittelpunkte – Räder inmitten von Rädern. Alles geschieht in vollkommener Harmonie, und alles bringt den vollkommenen Willen dessen voran, der als Gott über allem steht. Angesichts dieser Unermesslichkeiten ist die Geschichte der Menschheit fast zu klein, um wahrgenommen zu werden. Wir beugen uns in unserer kümmerlichen Schwachheit vor dem allmächtigen Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist.
46 Die Herkunft des Wortes „Seraphim“ ist umstritten, aber es scheint klar, dass es eine der zwei folgenden Wurzeln hat: „brennen“ oder „groß, vornehm sein“. Wenn wir die erste Bedeutung annehmen, so haben wir darin eine Andeutung des verzehrenden Feuers, und wenn wir die zweite annehmen, dann scheint der Gedanke fürstlicher Würde darin zu liegen – „Fürstentümer und Gewalten“ (Eph 3,10) oder Erzengel (Jud 9).↩︎
47In Hesekiel treten die Cherubim, wie wir gesehen haben, besonders in Verbindung mit dem Thron Gottes hervor. In Kapitel 28 finden wir eine andersartige Erwähnung: „ein schirmender, gesalbter Cherub“ (Hes 28,14). So wird der „König von Tyrus“ beschrieben, Sinnbild von Glanz und Macht dieser Welt und von dem Menschen als ihrem Herrscher. Aber, und darauf haben andere bereits hingewiesen, der wahre Herrscher dieser Welt, ihr „Fürst“, ist Satan (Joh 14,30), und dieser Abschnitt enthält bemerkenswerte Ausdrücke, die auf übermenschliche Würden und Privilegien hinweisen und auf mehr als nur eines Menschen Fall: „Dein Herz hat sich erhoben wegen deiner Schönheit, du hast deine Weisheit zunichtegemacht wegen deines Glanzes“ (Hes 28,17). Solcherart war der durch Stolz bedingte Fall dessen, der eigentlich als eines der höchsten Geschöpfe Gottes in Gericht und Herrschaft mit seinem Schöpfer verbunden gewesen wäre.