Schriften von Samuel Ridout
Vorträge über die Stiftshütte (1-20)
Die vier Säulen des Vorhangs – die Versammlung hält die Wahrheit über den Herrn hochDie vier Säulen des Vorhangs – die Versammlung hält die Wahrheit über den Herrn hoch
Dieser Vorhang wurde an den goldenen Haken der vier Säulen aus Akazienholz aufgehängt, die mit Gold überzogen waren und auf silbernen Füßen standen. Wir haben bereits die Bedeutung dieser verschiedenen Materialien betrachtet: Das Gold spricht von der göttlichen Herrlichkeit und der göttlichen Natur und somit von der Gottheit unseres Herrn. Das Akazienholz hingegen spricht von seiner einzigartigen Menschheit, und die silbernen Füße sprechen von Erlösung. Die Tatsache, dass diese vier Säulen auf silbernen Füßen standen, zeigt uns, dass sie (wie die Bretter) von Erlösten reden, die jetzt als in Christus gesehen werden.35
Aber wie kann das Volk Gottes so dargestellt werden, dass es in gewissem Sinn Christus in seinem Haus hochhält? Es kann nur die vollkommene Gnade sein, die sie in die Stellung eines solch unaussprechlichen und unvorstellbaren Vorrechts bringt. Doch wenn wir das Haus Gottes in seinem endgültigen Zustand, der ewigen Wohnstätte, betrachten, verheißt unser Herr da nicht: „Wer überwindet, den werde ich zu einer Säule machen in dem Tempel meines Gottes, und er wird nie mehr hinausgehen“ (Off 3,12)? Und was sonst wird die himmlische und ewige Beschäftigung der Erlösten sein, als die Vollkommenheiten ihres Herrn und Erlösers in Lob und Anbetung „hochzuhalten“?
Die Stiftshütte ist jedoch eindeutig Gottes Wohnstätte in der Wüste. So wie die Stiftshütte mit Absonderung (durch das Pilgern), Zeugnis und Verantwortung verbunden ist, so wird der Gläubige in Verbindung mit der Person des Herrn gesehen, wie wir es bereits in Verbindung mit den Brettern gesehen haben: „Damit du weißt, wie man sich verhalten soll im Haus Gottes, das die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit. Und anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit“ (1Tim 3,15.16).
In dieser wunderbaren Stelle finden wir zwei große Wahrheiten, die wir die Schmuckschatulle und das Juwel nennen können (wobei sich das Juwel in der Schmuckschatulle befindet). Der Apostel zeigt Timotheus in diesem Brief über die Ordnung in der Versammlung, wie er sich im Haus Gottes verhalten soll. Wie wir bereits gesehen haben, bilden die Bretter das Haus Gottes. Es sind Gläubige, die auf der Erlösung Christi ruhen und in Ihm vollkommen gemacht sind. Sie werden „mitaufgebaut zu einer Behausung Gottes im Geist“ (Eph 2,22). Das ist „die Versammlung des lebendigen Gottes“. Wir finden einen ähnlichen Gedanken bezüglich des Hauses Gottes in 1. Petrus: „Zu welchem kommend, als zu einem lebendigen Stein, von Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt kostbar, werdet auch ihr selbst als lebendige Steine aufgebaut, ein geistliches Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um darzubringen geistliche Schlachtopfer, Gott wohlangenehm durch Jesus Christus“ (1Pet 2,4.5). Obwohl sich diese Stelle primär auf den Tempel bezieht, ist der Gedanke doch ähnlich: Es gibt einen lebendigen Stein als Fundament. Auf diesen Stein werden lebendige Steine aufgebaut, um ein lebendiges Haus für den lebendigen Gott zu bilden. Nichts anderes als Leben kann dem lebendigen Gott entsprechen. Deshalb sind diejenigen, die wirklich zu Ihm gehören, wiedergeboren. Sie haben ein Leben, das aus Gott ist: ewiges Leben, das niemals vergeht. Dies ist also das Merkmal der Versammlung des lebendigen Gottes.
Aber der nächste Ausdruck in 1. Timotheus 3,15 ist bemerkenswert: „der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“. Die Versammlung ist in der Welt gelassen, um die Wahrheit Gottes hochzuhalten, um von ihr Ausdruck zu geben. Nach seiner Auferstehung sichert der Herr seinen Jüngern zuerst den Frieden zu, indem Er ihnen seine Hände und seine Seite zeigt (Joh 20,19.20) – die Erinnerung an seinen Tod, den Beweis für sein Sühnungswerk. Das ist der Fuß aus Silber. Dann sagt Er: „Wie der Vater mich ausgesandt hat, so sende auch ich euch. Und als er dies gesagt hatte, hauchte er in sie und spricht zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Welchen irgend ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben, welchen irgend ihr sie behaltet, sind sie behalten“ (Joh 20,21-23). Er hatte zuvor von ihnen als von seinen „Brüdern“ gesprochen und gesagt: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17). Das darf uns an die mit Gold überzogenen Bretter erinnern und an unsere Stellung vor Gott in dem ganzen Wert dessen, was Christus ist.
Wir sehen, wie der Herr die Jünger in eine repräsentative Position versetzt. Dass Er in sie hauchte, scheint dabei eine vorwegnehmende und symbolische Handlung gewesen zu sein. Sie deutete auf die Gabe des Heiligen Geistes hin, der zu Pfingsten gesandt wurde. In dessen Kraft sollten sie einerseits durch das Evangelium Christus vor den Menschen hochhalten und andererseits durch Zucht der Versammlung die Ordnung des Hauses Gottes verwalten.
Damit haben wir eine einfache aber schriftgemäße Bedeutung dieser Säulen, die die Stütze der Wahrheit sind: Sie sind das erlöste Volk des Herrn, das von Ihm hier zurückgelassen wurde, damit sie diese Wahrheit hochhalten. Der Herr Jesus sagt allerdings auch: „Ich bin … die Wahrheit“ (Joh 14,6). Die Versammlung ist, wie wir zuvor gesagt haben, nur die Schmuckschatulle, die das Juwel enthält, aber ohne das Juwel wertlos wäre.
Wir brauchen uns daher nicht zu wundern, wenn wir gerade in diesem Abschnitt in 1. Timotheus 3 das kostbare Juwel der Person des Herrn Jesus eingeschlossen finden, „das Geheimnis der Gottseligkeit“ bzw. der Frömmigkeit. Hier haben wir die wahre Gottseligkeit und das Geheimnis ihrer Entfaltung. Gottseligkeit ist kein Zustand in uns. Sie besteht überhaupt nicht darin, das eigene Ich zu kultivieren oder sich auch nur damit zu beschäftigen. Der Geist Gottes richtet den Blick nie auf uns selbst und unseren Fortschritt, den wir machen. Das Geheimnis der Gottseligkeit ist das, was allein Gottseligkeit in den Erlösten hervorbringen kann – es ist Christus selbst. Wenn die Seele von Ihm erfüllt und eingenommen ist, wird sein Ebenbild sichtbar und „Christus lebt in“ uns (Gal 2,20). Heiligkeit wird niemals durch Gesetzestreue, Askese oder pharisäische Beachtung von Äußerlichkeiten gesichert.
Das Geheimnis der Gottseligkeit
Schauen wir uns dieses große Geheimnis der Gottseligkeit näher an
„Gott wurde im Fleisch offenbart“36
Hier finden wir die goldenen Haken, die Gottheit Christi, an denen der Vorhang aufgehängt war. Daran hängt tatsächlich alles. Leugnet man seine Gottheit, fällt der Vorhang, dieses wunderbare Geheimnis, zur Erde. Aber der unsichtbare Gott ist nun in diesem heiligen, himmlischen, königlichen Menschen offenbart. „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat ihn kundgemacht“ (Joh 1,18). In der Krippe, in Simeons Armen, auf der Flucht nach Ägypten, in Nazareth und an den Ufern des Jordan – das ganze Leben hindurch war es Gott, offenbart im Fleisch. Das ist die große Wahrheit, die von der Versammlung hochgehalten wird. In einem gewissen Sinn steht und fällt die Versammlung noch mehr mit dieser Wahrheit als mit der Wahrheit der Rechtfertigung durch Glauben, wenngleich diese beiden Wahrheiten niemals getrennt werden können. Es ist ein wunderbares Vorrecht, den hochzuhalten, durch den allein wir gehalten werden – et teneo et teneor: „So wie ich (hoch)halte, so werde ich gehalten.“
„Gerechtfertigt im Geist“
Dies geschah öffentlich bei der Taufe unseres Herrn. Als Johannes der Täufer am Jordan in der Wüste von Judäa Buße predigte (Mt 3), kamen alle, die Gott fürchteten, und erkannten durch die Taufe die Wahrheit über sich selbst an: Sie waren Sünder, die den Tod und das Gericht verdienten. Unser Herr Jesus nimmt in vollkommener Gnade seinen Platz unter ihnen ein. Seine Taufe deutet die große Wahrheit seines stellvertretenden Todes für Sünder an. Johannes schreckt instinktiv davor zurück, den Heiligen mit bekennenden Sündern in Verbindung zu bringen, aber er wird durch die Worte des Herrn beruhigt: „So gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen“ (Mt 3,15). Gottes Gerechtigkeit konnte in Verbindung mit einem schuldigen Volk nur durch den Tod ihres Bürgen aufrechterhalten werden. Und als der Herr aus seinem symbolischen Grab aufsteigt, öffnet sich der Himmel und der Geist fährt wie eine Taube auf Ihn nieder und „er blieb auf ihm“ (Joh 1,32). So wurde Er öffentlich im Geist gerechtfertigt.
Und so galt für sein ganzes Leben der Liebe und des Gehorsams: „Jesus, den von Nazareth, wie Gott ihn mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat, der umherging, wohltuend und alle heilend, die von dem Teufel überwältigt waren“ (Apg 10,38). Das Zeugnis und die Kraft des Geistes war in jedem Wort und in jeder Tat, versiegelte und rechtfertigte alles, was der Herr tat. Daher war es auch eine furchtbare „Lästerung des Geistes“ (Mt 12,31), als diese offenkundigen Werke des Geistes dem Satan zugeschrieben wurden (Mt 12,24). Durch die Kraft des Geistes wurde Er auch von den Toten auferweckt (Röm 8,11).
„Gesehen von Engeln“
Mit welcher Freude werden die Engel ihren Dienst im Zusammenhang mit der Menschwerdung des Herrn ausgeübt haben.
Zacharias sollte die Geburt des Vorläufers des Messias verkündigen (Lk 1,11-20) Maria hatte die wunderbare Ehre, dass sie die Mutter dessen sein sollte, der „Sohn des Höchsten“ genannt werden sollte (Lk 1,26-33)
Und später verkündeten die Engel den Hirten auf dem Feld, dass „Christus, der Herr“ gekommen war!
Und wie kam dann eine Menge des himmlischen Heeres, um dieses wunderbare Geheimnis zu feiern (Lk 2,9-14): „Gott offenbart im Fleisch.“
Später dürfen sie Ihm nach seiner Versuchung in der Wüste dienen (Mt 4,11). Einem Engel wird die hohe Ehre zuteil, den Heiland im Garten zu stärken (Lk 22,43).
Ein Engel wälzt den Stein von dem Grab weg (Mt 28,2).
Zwei Engel hatten die Ehre, im leeren Grab zu sitzen, um seine Auferstehung verkünden (Lk 24,4).
Zwei Engel bezeugten seinen Jüngern seine Wiederkehr (Apg 1,10-11). Und mit welchem Beifall müssen die himmlischen Heerscharen den „König der Herrlichkeit“ empfangen haben, als Er „zur ewigen Pforte“ (Ps 24,7-10) einzog. Wenn Er im Tausendjährigen Reich wieder in den Erdkreis eingeführt wird als rechtmäßiger „Erbe aller Dinge“ (Heb 1,2), heißt es: „Und alle Engel Gottes sollen ihn anbeten“ (Heb 1,6).
„Gepredigt unter den Nationen“
Das mächtige Evangelium der göttlichen Liebe und Gnade „über seinen Sohn Jesus Christus“ (Röm 1,2.3) konnte nicht auf das Judentum begrenzt bleiben. Es begann in Jerusalem, und unter der Leitung des Geistes wurde die gute Botschaft bald nach Samaria, Cäsarea, Antiochien und „bis an das Ende der Erde“ getragen (Apg 1,8). Die Verfolgung der Christen fachte diese Ausbreitung nur an: „Sie aber gingen aus und predigten überall“ (Mk 16,20). Selbst der Unglaube und Widerstand Israels führte also dazu, dass die frohe Botschaft bis zu den Nationen gebracht wurde.
„Geglaubt in der Welt“
Das führt uns zu den gesegneten und weltweiten Ergebnissen: In Scharen werden Menschen zur Buße gebracht und empfangen mit demütiger Freude die Vergebung der Sünden durch den, der gekreuzigt wurde. Wenn die Seinen von Satan angegriffen wurden – sei es, dass er Feuer und Schwert gegen die Herde Christi einsetzte, sei es, dass er als Engel des Lichts auftrat und sich einschlich, um sie zu zerstören: Stets war es so, dass Christus mit den Seinen aufrecht stand. Unglaube und Aberglaube haben an den Grundfesten der Versammlung gerüttelt, doch das Evangelium ist heute noch stets dasselbe, was es schon immer war: „Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden“ (Röm 1,16). Auch wenn der Herr von den meisten Menschen abgelehnt wird, mehr und mehr von Ihm abfallen und das Ende nahe ist – Christus ist und bleibt der Gegenstand des Glaubens und der Freude seines Volkes. An Ihn wird in der Welt geglaubt.
„Aufgenommen in Herrlichkeit“
Dieser letzte Satz scheint fast etwas fehl am Platz zu sein, da er aus der chronologischen Reihenfolge herausfällt. Unser Herr wurde schließlich vor der Verkündigung des Evangeliums unter den Nationen und dem darauffolgenden Glauben an Ihn in Herrlichkeit aufgenommen. Aber der Satz folgt einer schönen moralischen Ordnung. Seine Herrlichkeit schließt alles ab, denn dort endet alles. Seine eigene Himmelfahrt und Aufnahme in Herrlichkeit ist das Unterpfand aller Triumphe der Gnade in seinem Volk, indem Er auch „viele Söhne zur Herrlichkeit brachte“ (Heb 2,10). Auch in dieser Schlussszene des Geheimnisses der Gottseligkeit sind die Erlösten mit Ihm verbunden, dem allein die Herrlichkeit ist. Wie in dem „männlichen Kind“, das in Offenbarung 12,5 entrückt wird, sehen wir Ihn als Repräsentant seines Volkes. Wer aber kann diese Herrlichkeit, in die Christus eingegangen ist, verkünden? Kein menschliches Auge hat je gesehen, kein Herz je begriffen, was Gott seinem eingeborenen Sohn gegeben hat. Die stärksten und vornehmsten Worte, die Menschenlippen formulieren könnten, und die edelsten und weisesten Gedanken der Erde würden versagen, die Herrlichkeit auszudrücken, die Er bei dem Vater hatte, bevor die Welt war (Joh 17,5). In diese Herrlichkeit ist Er nun auch als Mensch eingegangen, und an ihr soll, soweit es dem Menschen möglich ist, jedes bluterkaufte Kind Gottes teilhaben (Joh 17,24). Aber seine eigene persönliche Herrlichkeit ist einzigartig und wird es auch immer und ewig sein.
Dem, der hier als Sohn auf Erden hat den Vater offenbart, wird dann alle Ehre werden, wie es war nach Gottes Rat.37
Geliebte Geschwister, dieses große Geheimnis der Gottseligkeit soll das erlöste Volk im Haus Gottes in der Wüste hochhalten. Mit welcher Sorgfalt und welchem Eifer sollten wir die Herrlichkeiten dieses Anbetungswürdigen bewahren. Er hat sie seinem Volk hier anvertraut. In Ihm geborgen möchten wir Ihn so hochhalten, dass jeder seine Schönheit, seinen himmlischen Charakter, seine Heiligkeit, seine königliche Würde und Herrlichkeit sieht – damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren (Joh 5,23).
35Das Wort, das für „Säule“ benutzt wird, ist ammud und stammt von einer Wortwurzel, die „stehen“ bedeutet. Wir haben bereits die Bedeutung dieses Wortes betrachtet, als wir uns mit der Bedeutung der Bretter beschäftigt haben. Hier wird also derselbe Gedanke wiederholt und in der Bezeichnung „Säule“ unterstrichen: Der Wert der Person und des Werkes unseres Herrn Jesus ist so, dass die Seinen eine vollkommene „Stellung“ vor Gott haben – nicht nur in Bezug auf die Annahme, sondern auch in Bezug auf das Zeugnis im Haus Gottes.
↩︎ 36Es gibt mehrere Bibelübersetzungen (wie auch die Elberfelder, Edition CSV), die an dieser Stelle übersetzen: „er, der im Fleisch offenbart wurde“. Aber das ändert nichts an der Wahrheit, die wir hier betrachten, denn Er, der offenbart wurde, war und ist Gott, wie die Schrift klar zeigt.
37 Aus dem Lied „Hört! Vieltausend Stimmen rufen“. Vergleiche „Hark! ten thousand voices crying“ von J.N. Darby in Spiritual Songs: All the Father’s counsels claiming | equal honours to the Son; | all the Son’s effulgence beaming | makes the Father’s glory known.↩︎