Schriften von Samuel Ridout
Vorträge über die Stiftshütte (1-20)
Eine gerechte Bedeckung des gebrochenen GesetzesEine gerechte Bedeckung des gebrochenen Gesetzes
Das manchmal auch als „Gnadenstuhl“ übersetzte Wort bedeutet wörtlich einfach „Decke“. In der Lade selbst, so wird man sich erinnern, wurde keine Decke erwähnt. Unser ewig gelobter Herr benötigte keine. Alles stand offen vor den Augen seines Vaters, und so war es zu seinem Wohlgefallen. In die reinen Tiefen dieses vollkommenen Herzens konnte der Allwissende hineinschauen und erblickte nichts als das, was dem göttlichen Willen entsprach. Es war wirklich der gebührende Wohnsitz für das Gesetz eines heiligen Gottes. Nur so jemand konnte die Grundlage einer göttlichen „Decke“ sein für solche, die ihrer bedurften.
Es wäre jedoch nicht angemessen, das Wort kapporeth ohne weitere Erklärung mit „Decke“ wiederzugeben. Es leitet sich von der Intensivform des hebräischen Verbs für „bedecken“ ab und stellt daher den Gedanken einer vollständig bewirkten, ewigen Bedeckung vor. In Verbindung mit dem Gold, woraus sie gemacht wurde, spricht es also von einer göttlichen Bedeckung. Menschen denken bei einer Bedeckung daran, etwas zu verbergen, Gottes Gedanke jedoch ist Sühnung: „Wer seine Übertretungen verbirgt, wird kein Gelingen haben“ (Spr 28,13). „Als ich schwieg, verzehrten sich meine Gebeine … Ich tat dir meine Sünde kund und habe meine Ungerechtigkeit nicht zugedeckt“ (Ps 32,3.5). Für so jemand stellt Gott eine vollkommene und ewige Bedeckung bereit. Als der verlorene Sohn bei seiner Rückkehr sagt: „Ich habe gesündigt“, antwortet der Vater: „Bringt schnell das beste Gewand her“ (Lk 15,21.22). Dieser Gedanke einer Bedeckung ist sehr reichhaltig und wird noch weiter unsere Aufmerksamkeit verlangen.
Wie wir gesehen haben, wurde das Gesetz in die Lade gelegt. Die im Gesetz ausgedrückten Grundsätze absoluter Gerechtigkeit gegenüber Gott und Menschen sind die Kennzeichen von Gottes Thron: „Denn gerecht ist der HERR, Gerechtigkeiten liebt er“, und diese Gerechtigkeit muss in völliger Unparteilichkeit gegen jeden Sohn Adams handeln: „Seine Augen schauen, seine Augenlider prüfen die Menschenkinder.“ Er „prüft den Gerechten“ und Er „wird Schlingen auf die Gottlosen regnen lassen, Feuer und Schwefel“ (Ps 11,4-7). Das Gesetz kann bloß erklären, was wahr und richtig ist. Und so spricht es alle Menschen schuldig: „Darum, aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden; denn durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ (Röm 3,20). Nachdem das Gesetz den Menschen als Sünder erwiesen hat, kann es als Nächstes nur noch die Strafe über ihn aussprechen: „Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buch des Gesetzes geschrieben ist, um es zu tun!“ (Gal 3,10). Auf diese Weise schuldig und unter dem Fluch, wartet der Mensch nur noch auf den Vollzug des gerechten Urteils des Gesetzes: „Und wenn jemand nicht geschrieben gefunden wurde in dem Buch des Lebens, so wurde er in den Feuersee geworfen“ (Off 20,15).
Das ist das unausweichliche Verderben aller Menschen nach dem Urteilsspruch aus Gottes heiligem Gesetz. Der Einzige, der aufgrund seiner vollkommenen Gesetzestreue vor Gott bestehen könnte, ist unser Herr Jesus. Er hätte durch das Gesetz gerechtfertigt werden können, um daraufhin erhöht zu werden und das gerechte Verderben des gesamten Menschengeschlechts zu verkünden. Tat Er es? Nein, sein Name sei gelobt! Anstatt der Vollstrecker des Gesetzes zu sein, entblößte Er sein fleckenloses Herz dem Schwert der Gerechtigkeit. Er war ohne Fehl und ohne Flecken und damit als Stellvertreter geeignet – von unendlichem Wert. Für uns schuldige Menschen ließ Er das Gesetz sein gerechtes Werk an sich selbst statt an den Schuldigen verrichten: „Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist (denn es steht geschrieben: ‚Verflucht ist jeder, der am Holz hängt!‘)“ (Gal 3,13). Er trug nicht nur das Gesetz in seinem Herzen, sondern öffnete sein Herz für das Schwert der Gerechtigkeit: „Wegen der Übertretung meines Volkes hat ihn Strafe getroffen“ (Jes 53,8). Wunder der göttlichen Liebe! Dasselbe Herz, in dem das Gesetz in Unzerbrechlichkeit verwahrt wurde, empfing die Strafe dafür, dass der Mensch es gebrochen hat. Nachdem der Sturm des Zorns sich an Ihm aufgerieben hat, kann das Gesetz den Sünder, der bei Jesus Zuflucht nimmt, nicht mehr verfluchen.
Hier also haben wir den wahren Sühndeckel – eine göttliche, gerechte und ewige Decke für das Gesetz Gottes und für den schuldigen, aber glaubenden Sünder. „Gott hat ihn dargestellt als ein Sühnmittel {wörtlich: einen ‚Sühndeckel‘} durch den Glauben an sein Blut, zur Erweisung seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher {d.h. in vergangenen Heilszeitaltern} geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist“ (Röm 3,25.26). Es fällt auf, dass dieser Abschnitt eng mit dem vorhergehenden verbunden ist, der aufzeigt, wie unmöglich es für den Menschen ist, durch das Gesetz gerechtfertigt zu werden (Röm 3,20). Entsprechend sind die Gesetzestafeln durch den göttlichen Gnadenstuhl bedeckt.
Diese Wahrheiten werden durch die Maße des Sühndeckels noch einmal hervorgehoben: 5/2 ⋅ 5/2 · 3/2 Ellen oder, wie wir gesehen haben (Vortrag 11), im Verhältnis fünf zu drei. Die Zahl Fünf spricht von der Verantwortlichkeit, der unser Herr Jesus vollkommen entsprochen hat, und die Zahl Drei von göttlicher Fülle und Offenbarung. Wie vollkommen ist jedem göttlichen Erfordernis in seinem Sühnungswerk entsprochen worden und wie vollkommen ist die Herrlichkeit des dreieinen Gottes darin offenbart worden! Infolgedessen ist Gott nun für den Glaubenden, statt gegen ihn zu sein, und das in Übereinstimmung mit all seinen Wesenseigenschaften.
Indem der Sühndeckel dieselben Maße hatte wie die Lade, bedeckte er sie genau. Es gab keine freiliegende Stelle. Das Gesetz war von jedem Blick abgeschnitten. In einem sehr wahren Sinn konnte es nichts gegen das Volk tun, obwohl das Volk es gebrochen hatte. Wird die Notwendigkeit dieser Bedeckung nicht in dem Bericht über die Rückkehr der Lade aus dem Land der Philister angedeutet, die wir schon kurz erwähnt haben? Die Männer von Beth Semes schauten ehrfurchtslos in die Lade hinein. Zweifellos hoben sie dazu den Sühndeckel an (1Sam 6,19) und der Herr schlug sie deswegen. Sie nahmen die göttliche Bedeckung hinweg und so erfuhren sie gewissermaßen unmittelbar die Wirkung des Gesetzes. Es wird manchmal gelehrt, dass die Glaubenden zwar nicht unter dem Gesetz als Grundlage ihrer Rechtfertigung stehen, wohl aber als einer Lebensregel. Das heilige Handeln Gottes bei Beth Semes widerspricht dem und zeigt: „So viele aus Gesetzeswerken sind, sind unter dem Fluch“ (Gal 3,10). Das Gesetz unterscheidet die Menschen nicht. Es enthält Gottes gerechte Forderungen eines vollkommenen Gehorsams im Menschen. Wenn dieser nicht erbracht wird, kann es nur den Fluch aussprechen.
Damit ist aber keineswegs dem Fleisch oder einem gleichgültigen Lebenswandel auch nur der geringste Spielraum gelassen. „Die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm 6,14). Der Apostel erklärt: „Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe“ (Gal 2,19). Gott zu leben kann sicherlich keine Unheiligkeit bedeuten. „Denn das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war, tat Gott, indem er, seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleisch verurteilte, damit die Rechtsforderung {wörtlich: die gerechten Forderungen} des Gesetzes erfüllt würde in uns, die nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln“ (Röm 8,3.4). So ist die vom Gesetz beabsichtigte Gerechtigkeit, die aber das Fleisch nicht erbringen konnte, nun durch den Geist sichergestellt durch Gnade. Das ist ein Thema von großer Wichtigkeit, das wir hier nur kurz anschneiden können. Wir wenden uns jetzt wieder unserem eigentlichen Thema zu.