Schriften von Samuel Ridout
Vorträge über die Stiftshütte (1-20)
Zwei Felder von je fünf Teppichen – der Herr entsprach der Verantwortunggegenüber Gott und MenschenZwei Felder von je fünf Teppichen – der Herr entsprach der Verantwortunggegenüber Gott und Menschen
Die Teppiche wurden in zwei Feldern zu jeweils fünf zusammengefasst – insgesamt waren es also zehn. Die Zahl Fünf steht für die Fähigkeit des Menschen. So haben wir vier Finger und den Daumen an einer Hand, was für beide Hände insgesamt zehn ergibt. Die Zehn erinnert uns an die zehn Gebote, das Maß der vollen Verantwortung des Menschen. Die zehn Gebote waren auf zwei Tafeln niedergeschrieben und zeigten die Verantwortung des Menschen gegenüber Gott und Menschen.5 Die beiden Teppichfelder versinnbildlichen diese zweifache Verantwortlichkeit, der unser Herr entsprochen hat. Sieh auf seine Beziehung zu Gott: Mangelte es hier zu irgendeinem Zeitpunkt an etwas? Das Zeugnis unseres Herrn darüber lautet, dass Er allezeit das Ihm Wohlgefällige tat (Joh 8,29), das Zeugnis des Vaters erging aus der prachtvollen Herrlichkeit mit den Worten: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17), und schließlich haben wir das Zeugnis des Heiligen Geistes, der Ihn salbte und auf Ihm blieb.
Wir können jedes der ersten vier Gebote auf Ihn anwenden, und trotz unseres unvollkommenen Verständnisses kommen wir nicht umhin, hier die 4 Ellen und die 28 Ellen zu sehen: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ (2Mo 20,3). Wie wunderbar hat die jede Handlung des erniedrigten Menschen gezeigt. Gottes Vorstellung in Bezug auf dieses Gebot entfaltete sich in Ihm; stets war es Gott, der seine Gedanken erfüllte. So gab es nie die geringste Hinwendung zu dem im zweiten Gebot verbotenen Götzendienst, der in irgendeiner Ausprägung von jedem Menschen praktiziert worden ist. Habsucht ist Götzendienst (Kol 3,5). Hier war Einer, der in der ganzen Kraft seiner heiligen Seele sagen konnte: „Die Mess-Schnüre sind mir gefallen in lieblichen Örtern; ja, ein schönes Erbteil ist mir geworden“ (Ps 16,6). Und es war in diesem Zusammenhang, dass Er die Worte sprach: „Zahlreich werden die Schmerzen derer sein, die einem anderen nacheilen; ihre Trankopfer von Blut werde ich nicht spenden und ihre Namen nicht auf meine Lippen nehmen“ (Ps 16,4). Wie sehr stand das alles im Gegensatz zu Israel, dem geboten worden war: „Den Namen anderer Götter sollt ihr nicht erwähnen, er soll in deinem Mund nicht gehört werden“ (2Mo 23,13). Wer würde auch nur einen Augenblick daran denken, den Namen unseres Herrn Jesus mit dem geringsten Akt der Untreue zu seinem Gott und Vater in Verbindung zu bringen? „Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht zu Eitlem aussprechen“ (2Mo 20,7). Ach, eins der bösen Dinge, die aus dem menschlichen Herzen hervorkommen, ist Gotteslästerung. Der Name des Vaters war immer auf den Lippen unseres Herrn, jedoch nie in leichtfertiger Weise. Er lehrte und praktizierte in absoluter Vollkommenheit die Bitte „Geheiligt werde dein Name“ (Lk 11,2). Das Gleiche gilt für das Bezahlen von Gelübden: Niemand hatte je seine Verpflichtungen und Versprechungen Gott gegenüber erfüllt. Deshalb warnte unser Herr sie davor, Eide auf sich zu nehmen, die sie nicht erfüllen konnten (Mt 5,33-37). Er aber konnte sagen: „Auf mir, o Gott, sind deine Gelübde“ (Ps 56,13); „Ich will dem HERRN meine Gelübde bezahlen, ja, in der Gegenwart seines ganzen Volkes“ (Ps 116,14). Und was für Gelübde waren das! Gott im Hinblick auf Sünde zu verherrlichen; das Verlorene zu suchen und zu erretten (Lk 19,10); die ewigen Grundlagen der Erlösung tief, sicher und breit zu legen; viele zur Herrlichkeit zu bringen (Heb 2,10). Wenn wir über den Preis der Erfüllung dieser Gelübde nachdenken, führt uns das zur Anbetung dessen, der nie ein übereiltes Gelübde ablegte noch eine einzige Verpflichtung brach, die Er seinem Gott und Vater gegenüber einging. „Gedenke des Sabbattages, ihn zu heiligen“ (2Mo 20,8). Die Pharisäer beschuldigten Ihn wiederholt, den Sabbat gebrochen zu haben, weil Er an diesem Tag Kranke heilte. Er überführte sie nicht nur der Heuchelei, schließlich würden sie am Sabbat einen Ochsen aus einem Brunnen ziehen, sondern zeigte auch, worin die wahre Ruhe Gottes besteht – die Menschen von den Folgen der Sünde zu befreien. Diese sogenannten Sabbatverstöße waren moralisch die schönste und vollkommenste Einhaltung des Gebots.
Egal, welches Gebot der ersten Gesetzestafel wir nehmen – je mehr wir ins Detail gehen, desto klarer entfaltet sich seine absolute Vollkommenheit als Mensch. Indem Er Gott in jeder Beziehung verherrlichte, atmete sein Herz stets: „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust“ (Ps 40,9). Hier, in dem Allerheiligsten des Herzens und Lebens Christi, gab es tatsächlich eine passende Wohnung für die Herrlichkeit Gottes.
In den Anweisungen wird uns mitgeteilt, dass der Vorhang unter die Klammern aufgehängt wurde, die die beiden Teppichfelder vereinigte (2Mo 26,33). Dementsprechend bedeckte ein Feld aus fünf Teppichen das Allerheiligste (wobei wahrscheinlich ein Teil davon an der Rückseite der Stiftshütte überhing) und das andere das Heilige. Es ist nicht abwegig, anzunehmen, dass der Teil, der das Allerheiligste bedeckte, die Vollkommenheit unseres Herrn in aller Verantwortlichkeit gegenüber Gott versinnbildlicht und dass der Teil, der das Heilige bedeckte, auf die Verantwortlichkeit gegenüber Menschen hinweist. Wir wollen nun auch etwas bei diesem letzten Teil stehenbleiben.
Die Grundlage jeder rechten menschlichen Beziehung ist der Gehorsam gegenüber dem ersten Gebot der zweiten Tafel: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ (2Mo 20,12). Deshalb sehen wir bei unserem Herrn, wie Er diese Unterwürfigkeit vollkommen verwirklichte: „Er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth, und er war ihnen untertan“ (Lk 2,51). Wie viel ist in diesen einfachen Worten enthalten und wie vollkommen war Er in dieser grundlegenden Verantwortung. Es ist nicht verwunderlich, dass, als Er an Gestalt zunahm, Er auch „an Gunst bei Gott und Menschen“ zunahm. Das bedeutet, dass sein ganzes Wachstum gut war und sich keine enttäuschenden Charakterzüge offenbarten – denn es gab keine: Alles war sowohl Gott als auch den Menschen wohlgefällig.
Wenn wir so jedes dieser Gebote der zweiten Gesetzestafel ansehen, stellen wir fest, dass unser Herr nicht nur die geforderte Gerechtigkeit in seinem Leben erfüllte, sondern darüber hinausging. Voller Begierde streckt sich der Mensch nach dem aus, was ihm nicht gehört, und reißt es an sich, wobei er selbst vor Diebstahl nicht zurückschreckt. Im Gegensatz dazu steht unser Herr, von dem wir in Psalm 69,5 lesen: „Was ich nicht geraubt habe, muss ich dann erstatten.“ Er, der Fleckenlose und Reine, brachte armen Kindern der Sünde und Schande sowohl Frieden als auch Vergebung. Mochten die Menschen auch falsches Zeugnis ablegen, verkündigte Er doch die ernste Wahrheit, egal, wie schwer es war, und legte ein treues Zeugnis von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes ab. Als Schöpfer und Besitzer aller Dinge, hatte Er nicht, wohin Er sein Haupt legen konnte, und murrte dennoch nie.
Wir könnten davor zurückschrecken, diese Verbote auf Ihn anzuwenden, als ob es nötig gewesen wäre, Ihm Einhalt zu gebieten. Was im Menschen unterdrückt werden muss, existierte in Ihm nicht. Stattdessen bestand das Gesetz im Inneren seines Herzens. Deshalb war das Gesetz (innerhalb seiner Grenzen) ein Abbild seines vollkommenen Charakters – nicht nur in seinen äußeren Forderungen, sondern auch in seiner inneren und tiefgeistlichen Anwendung.
Aber Er ging über die reine Erfüllung der zweiten Gesetzestafel hinaus. Es heißt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, aber Er liebte seine Feinde bis zur Hingabe seines Lebens. Er war in der Tat der Nächste der Bedürftigen der ganzen Welt – „ein Freund von … Sündern“ (Lk 7,34). So zeigte jede Verantwortlichkeit gegenüber Gott und Menschen, der Er entsprach, seine Vollkommenheit. Wenn wir uns daran erinnern, dass das Gesetz, das durch Ihn geehrt und geziert wurde, dazu dient, das Beste der Menschheit von Sünde zu überführen, ist seine sündlose Vollkommenheit nur umso offensichtlicher. Das, was „die Kraft der Sünde“ (1Kor 15,56) in uns ist, war der Beweis der Gerechtigkeit in Ihm. Rufen wir uns einmal mehr ins Gedächtnis, dass diese ganze Vollkommenheit menschlich war: Es war ein Vielfaches von vier. Schwachheit, Abhängigkeit und Unterwürfigkeit bildeten den Hintergrund, auf dem sich alle Schönheiten seiner unvergleichlichen Wesensart zur Geltung kamen.
Das eine Maß aller Teppiche
Die zehn Teppiche hatten ein „Maß“. Dieses Wort bedeutet „ausdehnen, strecken“ und damit die Anwendung als Standard. Es ist ein treffendes Bild von dem Leben des Herrn, denn jeder Teil desselben entsprach einem unveränderlichen Standard. Nichts war unverhältnismäßig. In jeder Handlung und in Verbindung mit jeglicher Person entfaltete sich die gleiche Vollkommenheit in Schwachheit.
Sehen wir uns jedes einzelne der zehn Gebote an, könnten wir nicht behaupten, dass eins vollständiger gehalten wurde als das andere. Es ist diese Unausgeglichenheit des Charakters, die die Untauglichkeit des Menschen vor Gott und die Notwendigkeit einer neuen Geburt zeigt. Auch wenn es so aussieht, als ob jemand das ein oder andere der Gebote hielte, kommt er doch der Herrlichkeit Gottes in allen zu kurz: „Denn wer irgend das ganze Gesetz hält, aber in einem strauchelt, ist aller Gebote schuldig geworden“ (Jak 2,10). Wir müssen uns also, sowohl was die Errettung als auch die Heiligung betrifft, ganz von uns selbst abwenden. Christus ist die einzige Hilfsquelle. Hier finden wir das eine Maß für jede Tat. Gottes Herrlichkeit war der Test und diese Herrlichkeit zeigte sich überall in Vollkommenheit. Er war in dem Verurteilen der Sünde und der Heuchelei nicht vollkommener als im Vergeben und Heilen sündenkranker Seelen. Gnade verdunkelte nicht Gerechtigkeit noch Gerechtigkeit Gnade. Geduld war immer mit Unverzüglichkeit verbunden, Festigkeit mit Milde.
Ja, Er erschließt uns jede Gnade, die Gott als Mensch hier zeigen konnt, ein göttlich Leben ward gesehen in Ihm, in dem die Fülle wohnt.6
5Sehen wir uns an, wie häufig die Zahl Zehn und ihr Faktor Fünf in der Beschreibung der Stiftshütte zu finden sind. Es gab zehn innere Teppiche (2Mo 26,1) und die Bretter waren 10 Ellen hoch (2Mo 26,16). Außerdem gab es zehn Säulen und zehn Sockel an der West- und Ostseite des Vorhofs (2Mo 27,12). Die Ausmaße des Hofes betrugen 100 ∙ 50. Höchstwahrscheinlich war das Allerheiligste vollkommen würfelförmig zu je 10 Ellen. Es gab hundert Füße aus Silber, das heißt 10 ∙ 10 (2Mo 38,27), die aus dem Sühngeld gebildet wurden, 10 Gera für jeden Mann (2Mo 30,13). Es gab fünfzig (= 10 ∙ 5) Schleifen und Klammern (2Mo 26,5) sowie fünf Säulen am Eingang des Zeltes (2Mo 26,37). An den drei Seiten der Stiftshütte gab es jeweils fünf Riegel (2Mo 26,26). Der Brandopferaltar war 5 Ellen im Quadrat und die Umhänge des Vorhofs waren 5 Ellen hoch (2Mo 27,18).
↩︎ 6Übersetzt aus dem Lied „Jesus – how much Thy name unfolds“ von Mary Bowley (1813–1856):Thy name encircles every grace | that God as man could show. | There only could He fully trace | a life divine below.