ALLGEMEINES
Der Judasbrief ist nicht nur eine der kleinsten, sondern vermutlich auch eine der am wenigsten gelesenen Schriften des Neuen Testamentes. Dies mag zum Teil an der Eigenartigkeit des Inhalts liegen. Origenes sagt in seinem Matthäuskommentar:
«Judas schrieb einen Brief, zwar gering an Zeilen, aber voll von den Worten der himmlischen Gnade.»
VERFASSER
Der Verfasser nennt sich selbst «Judas, ein Knecht Jesu Christi, ein Bruder des Jakobus» (1,1). Das Neue Testament kennt mehrere Jünger namens Judas. Von welchem stammt wohl der Brief? Jedenfalls kaum vom «Apostel» Judas Thaddäus, da sich der Verfasser im 17. Vers deutlich von den Aposteln distanziert. Es scheint deshalb naheliegend, dass der Judas, der sich hier ganz schlicht einen «Knecht Jesu Christi» nennt, zugleich ein leiblicher Bruder Jesu war (Mt 13,55; Mk 6,3). Wir wissen, dass er, der vorerst wie sein Bruder Jakobus ungläubig war (Joh 7,5), später Christ wurde (Apg 1,14). Aus l.Kor. 9,5 zu schliessen, war er verheiratet und diente der Gemeinde als Reiseprediger oder Missionar. Dass er selbst, aus einer gewissen Scheu und heiligen Ehrfurcht Jesus gegenüber, seine Verwandtschaft mit ihm stillschweigend übergeht, ist verständlich.
EMPFÄNGER
Die Adressaten sind noch ungenauer bezeichnet als der Verfasser, werden sie doch angeredet als die «Berufenen, die da geheiligt sind in Gott, dem Vater, und bewahrt in Jesus Christus». Damit sind jedenfalls Christen gemeint, die sich nicht haben verführen lassen, die aber trotzdem einer Stärkung bedürfen. Die Eigenart der bekämpften Verirrung lässt darauf schliessen, dass der Brief trotz der allgemeinen Anrede an eine oder einige bestimmte Gemeinden gerichtet ist (vgl. Jud 4). Waren diese jüdischer oder heidnischer Herkunft? Wir wissen es nicht genau. Da aber der Verfasser bei den Lesern eine grosse Kenntnis des Alten Testaments und der jüdischen Überlieferung voraussetzt, ist anzunehmen, dass er sich an Gemeinden wendet, in denen das judenchristliche Element vorherrscht (Jud 5-7.9-11.14.18).
ABFASSUNG
Wir glauben nicht fehlzugehen, wenn wir die Abfassung des Judasbriefes ums Jahr 66—70 ansetzen. Die Empfänger haben, wenigstens zum Teil, die Apostel selber gehört (Jud 17).
Die Zerstörung Jerusalems ist mit keinem Wort erwähnt; hätte sie bereits stattgefunden, so wäre bestimmt in den Versen Jud 5-7 die Rede davon.
Der Ort der Abfassung ist uns nicht bekannt.
ECHTHEIT
Es ist verständlich, dass ein so kurzer Brief, der nicht einmal von einem Apostel stammt, nicht so rasch wie andere in Umlauf gesetzt wurde. Doch fehlt es ihm nicht an geschichtlichen Zeugnissen. In der alten Kirche begegnen wir ihm bei Tertullian, Clemens von Alexandrien und Origenes. Hieronymus anerkennt den Brief, lässt aber gleichzeitig durchblicken, dass ein Grund gegen seine allgemeine Anerkennung in der Anspielung auf zwei nichtkanonische Schriften liege: die jüdische «Himmelfahrt Moses» (Jud 9) und das «Henochbuch» (Jud 14-15). Warum sollte Judas aber solche Schriften nicht anführen? Auch Paulus führt Begebenheiten an, die nicht in der Heiligen Schrift berichtet sind, ja sogar heidnische Autoren (2Tim 3,8; Titus 1,12). Im Muratorischen Fragment finden wir den Brief aufgezeichnet. Nach dem 4. Jahrhundert kennt die kirchliche Überlieferung im allgemeinen keinen Zweifel mehr an der Echtheit des Judasbriefes.
ZWECK UND ZIEL
Diese gehen bereits aus dem Eingang klar hervor (Jud 3-4): Ermahnung zur Wahrung des reinen Glaubens und Warnung vor Irrlehrern, die mit verderblichen Lehren in die Gemeinde Eingang gefunden haben. — Man spürt dem Schreibenden die innere Not des verantwortungsbewussten Seelenhirten an, der den moralischen Ruin seiner Gemeindeglieder und die Herabwürdigung des Christentums bei den Heiden fürchtet.
INHALT UND EINTEILUNG
Anrede und Gruss Jud 1-2
Kampf um die Wahrheit Jud 3-4
Strafbeispiele aus der Geschichte Jud 5-7
Merkmale der Irrlehrer Jud 8-13
Weissagungen über die Irrlehrer Jud 14-16
Standhaftigkeit im Glauben Jud 17-23
Segen Jud 24-25Schlüsselwort: Bewahrung
Schlüsselvers: «Dem aber, der euch kann behüten ohne Fehl und stellen vor das Angesicht seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden...» (Jud 24).
VERSCHIEDENES
Besondere Merkmale
Die stilistische Ähnlichkeit mit dem Jakobusbrief
Möglicherweise haben die beiden Brüder die lebhafte dichterische Begabung von ihrer Mutter geerbt (vgl. deren Lobgesang) und die herbe, asketische Seite ihres Charakters vom Vater. Die Redeweise des Judas ist kraftvoll, leidenschaftlich, reich an drastischen Bildern; vgl.z. B. Jud 12-13!
Die inhaltliche Ähnlichkeit mit dem 2. Petrusbrief
vgl. Judas 4-16 mit 2Pet 2,1-19 und
Judas 17-18 mit 2Pet 2,2-3.
Anklänge an das Alte Testament
Die ungehorsamen und ungläubigen Israeliten, kommen in der Wüste um Jud 5 (4. Mose 14,35). Die gottlosen Städte Sodom und Gomorrha kommen im Feuer um Jud 7 (1. Mose 19). Der Sündenweg Kains Jud 11 (1. Mose 4,8) Der Mammonsgeist Bileams Jud 11 (4. Mose 22-24) Das Aufrührertum Korahs Jud 11 (4. Mose 16) Der gottesfürchtige Henoch Jud 14-15 (1. Mose 5,21-24)
Einzigartige, in der Bibel nur hier genannte Tatsachen
Die gefallenen Engel sind mit ewigen Banden verwahrt bis zum Gericht Jud 6 Der Erzengel Michael im Streit mit dem Teufel um den Leichnam Moses Jud 9 Die Prophezeiung Henochs über die Wiederkunft Christi und das kommende Gericht Jud 14-15
Zeichen eines wahren Christen
Festhalten am Wort Jud 17
Treue im Spott Jud 18
Geistliche Gesinnung Jud 19
Gemeinschaft und Gebet Jud 20
Bleiben in der Liebe Jud 21
Barmherzigkeit Jud 22
Rettersinn Jud 23
Siegesleben Jud 24