ALLGEMEINES
Die Persönlichkeit des Johannes gleicht einem lebendigen Spiegel, der nicht nur den ganzen Glanz der Herrlichkeit Jesu aufnehmen, sondern ihn auch widerspiegeln konnte. Mit den schlichtesten Worten, ohne kunstvolle Sprache, gibt er getreulich wieder, was er «gesehen und gehört» hat (1Joh 1,1).
VERFASSER
Der Verfasser nennt sich nirgends mit Namen, aber eine Anzahl Merkmale zeigen uns seine Identität.
Seine Ausdrucksweise, insbesondere die Namen, die er seinen Lesern gibt («Kinder» — «kleine Kindlein» — «Jünglinge» — «Geliebte» usw.), verrät einen betagten Mann.
Die genaue Kenntnis der Verhältnisse seiner Leser und die Autorität, mit der er sie anredet, beweisen, dass er seit langem ihre Achtung und ihr Vertrauen besitzt.
Er ist ein Augenzeuge des Lebens und Wirkens Jesu und der Kirchengeschichte des 1. Jahrhunderts (1Joh 1,1-3; 3,11-13).
Sein Vorwort bildet eine genaue Parallele zum Vorwort des
4. Evangeliums.
Er erweist sich in seiner Sprache, seinem Stil, seiner Auffassung des christlichen Lebens dem Verfasser des 4. Evangeliums so ähnlich, dass man in ihm dieselbe Person erkennen muss. Die charakteristischen Ausdrücke des johanneischen Wortschatzes finden wir in diesem Brief beständig wieder: Wahrheit und Lüge, Licht und Finsternis, Leben und Tod, Welt, Kinder, vollkommene Freude, Paraklet (Tröster, Fürsprech), usw.
In den beiden Schreiben herrscht der gleiche Zug, aufs Ganze zu gehen, nichts Halbes zu dulden. Johannes kennt keinen Mittelweg zwischen Leben und Tod, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Licht und Finsternis.
Aus diesem allem geht klar hervor, dass Johannes, der Apostel Jesu Christi, der Verfasser dieses Briefes ist. Im Altertum erhebt sich keine einzige Stimme, um diese Tatsache zu bestreiten. (Über die Person des Johannes siehe Evangelium Johannes.)
EMPFÄNGER
Der 1. Johannesbrief hat nicht das gewöhnliche Aussehen eines Briefes, da ihm Anrede, Unterschrift und Grüsse fehlen. Überdies enthält er keinerlei persönliche Nachrichten, was doch sonst ein Merkmal des Briefstils ist.
Aus diesem Grunde haben mehrere Ausleger angenommen, es handle sich hier weniger um einen Brief als um eine Art Homilie (Predigt) oder ein christliches «Handbuch», eine Ergänzung des Evangeliums. Andere betrachten das Schreiben als eine Streitschrift, die sich gegen die moralischen und dogmatischen Irrtümer wendet, die in der Gemeinde aufzukommen begannen. Jedoch die freie und schlichte Sprache, die mehrmalige Wiederholung des Ausdrucks: «Ich schreibe euch», die Innigkeit der Beziehungen zwischen Schreiber und Leser lassen viel eher auf einen Brief schliessen, und zwar auf die Botschaft eines Vaters an seine Kinder. Sehr wahrscheinlich ist dieser Brief an die Gemeinde zu Ephesus und die umliegenden Gemeinden gerichtet, in denen der ehrwürdige Apostel so lange gelebt hat.
ABFASSUNG
Uber den Ort der Abfassung wissen wir nichts. Auch das Datum ist schwer festzustellen. Wahrscheinlich liegt es in der Nähe der ersten Jahrhundertwende, wie aus den im Brief bekämpften Irrlehren hervorgeht.
ECHTHEIT
Die gesamte Urkirche bestätigt die Echtheit des 1. Johannesbriefes. Die frühesten Zeugen sind die Kirchenväter Polykarp und Papias, die beide Jünger des Apostels Johannes waren: Polykarp kannte und zitierte den Brief seines «geliebten Meisters», und Papias machte, wie Eusebius berichtet, «ebenfalls von den Zeugnissen des
1. Johannesbriefes Gebrauch».
Justin der Märtyrer führt den 1. Johannesbrief in seinem Brief an Diognetes an (ein Denkmal des christlichen Altertums, zwischen 120 und 150 entstanden).
Im «Hirten des Hermas» stossen wir auf Gedanken und Ausdrücke, die sonst einzig unserem Brief eigen sind.
Irenäus, Jünger des Polykarp, zitiert den Brief mehrmals. Die übrigen Kirchenväter, wie Tertullian, Clemens von Alexandrien, Origenes, Cyprian, führen in ihren Schriften den 1. Johannesbrief wiederholt an, gewöhnlich mit dem Nachsatz: «... hat Johannes, der Apostel, gesagt».
Der Brief hat in allen ältesten Sammlungen der neutestamentlichen Schriften seinen Platz.
ZWECK UND ZIEL
Die grossen Wahrheiten über Gottes Gemeinschaft mit den Menschen, wie das 4. Evangelium sie in Verbindung mit dem Leben und Wirken Jesu Christi darstellt, sind hier im Brief auf das Alltagsleben der Christen übertragen. Die Lehren des Evangeliums sind somit auf das Leben der Gläubigen praktisch angewendet.
Der Brief will offenbar einer wachsenden Tendenz steuern, die christliche Erkenntnis auf Kosten christlicher Lebensführung als das Höchste bewertete (vgl. 1Joh 1,6-7; 2,3-6; 3,6-10). In dieser Geistesrichtung erkennen wir bereits Spuren jener verderblichen Gnosis, die schon anfangs des 2. Jahrhunderts aufzutreten begann. Die christliche Botschaft stand in Gefahr, durch angeblich Erleuchtete (1Joh 4,1) verdreht zu werden. Diese «falschen Propheten» und «Antichristen» lehrten, dass Jesus nur scheinbar gestorben und auferstanden sei. Sie leugneten das echte Menschentum Christi, indem sie vorgaben, das göttliche Wesen wäre bei der Taufe über den Menschen Jesus gekommen und hätte ihn am Vorabend seiner Passion wieder verlassen.
«So hoch Johannes die religiöse Erkenntnis stellt, so bestimmt verwahrt er sich gegen eine Lösung derselben von der geschichtlichen Person Jesu; nur wer mit dieser in Geistesgemeinschaft steht, hat auch Gott als den Lebendigen« (Fritz Barth).
Von da aus gesehen, wundern wir uns nicht mehr über die kraftvollen Feststellungen des Apostels (vgl. 1Joh 2,22-23; 4,2-3.15;
1Joh 5,1.5-6). Einerseits bekämpft Johannes also einen christologischen Irrtum, anderseits hebt er hervor, dass nur ein Tatchristentum als echt gelten kann. Daneben warnt er die Gemeinden vor zwei weiteren Gefahren:
Vor Uneinigkeit, daher die zahlreichen Ermahnungen zu brüderlicher Liebe, die das sicherste Fundament für eine christliche Gemeinde bildet; vor dem Heidentum und seinen Auswüchsen
(1Joh 2,15-17; 5,21).
INHALT UND EINTEILUNG
Johannes folgt keiner scharfgegliederten Disposition. Seine Gedanken sind eher kurz hingeworfen als ausgeführt, oft aber rückgreifend wieder aufgenommen und erläutert, so dass der Gedankengang nicht immer deutlich hervortritt. Trotzdem können wir einen gewissen Plan erkennen.
Einleitung: Inhalt und Zweck des Schreibens 1Joh 1,1-4
1. Kennzeichen der wahren Gemeinschaft 1Joh 1,3 - 2,27
Wandelt im Licht 1Joh 1,5-10
Wandelt in seinen Geboten 1Joh 2,1-6
Wandelt in der Bruderliebe 1Joh 2,7-11
Wandelt in der Heiligung 1Joh 2,12-17
Wandelt in der reinen Lehre 1Joh 2,18-27
2. Kennzeichen der wahren Gotteskindschaft 1Joh 2,28 - 4,21
Seligmachende Hoffnung 1Joh 2,28 - 3,3
Sieghafter Glaube 1Joh 3,4-10
Ungeteilte Bruderliebe 1Joh 3,11-18
Ungetrübte Freudigkeit 1Joh 3,19-24
Wahrheit 1Joh 4,1-6
Wahre Liebe 1Joh 4,7-12
Gemeinschaft mit Gott und den Brüdern 1Joh 4,13-21
3. Kennzeichen des wahren Glaubens 1Joh 3,1-13
Die Wiedergeburt 1Joh 5,1-5
Das Vertrauen auf Gottes Zeugnis 1Joh 5,6-10
Die Gewissheit des ewigen Lebens 1Joh 5,11-13
Schluss: Einige Glaubensfrüchte 1Joh 3,14-21
Gebetsfreudigkeit 1Joh 5,14-15
Sünderliebe 1Joh 5,16-17
Heilsgewissheit 1Joh 5,18-20
Wachsamkeit 1Joh 5,21
Schlüsselwort: Gemeinschaft
Schlüsselvers: «So wir im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander» (1Joh 1,7a).
VERSCHIEDENES
Die Liebe Gottes
Die Offenbarung der Liebe
Die Person Jesu Christi 1Joh 4,9-10
Der Gegenstand der Liebe
Er hat uns geliebt 1Joh 4,11
Er hat uns zuerst geliebt 1Joh 4,19
Das Ziel der Liebe
Unsere Versöhnung mit Gott 1Joh 4,10
Unsere Gotteskindschaft 1Joh 3,1
Unsere Lebensgemeinschaft mit Gott 1Joh 4,9
Die Kennzeichen der Liebe
Das Halten seiner Gebote 1Joh 2,5; 5,3
Das Wandeln im Licht 1Joh 2,10
Die Trennung von der Welt 1Joh 2,15
Das furchtlose Vertrauen 1Joh 4,18
Das Wesen der Liebe
Sie ist ein Gebot Gottes 1Joh 3,11; 4,21
Sie ist ein Bedürfnis 1Joh 4,11
Sie ist eine Notwendigkeit 1Joh 4,20; 5,1
Sie ist der Abglanz der Liebe Gottes 1Joh 5,2
Sie ist selbstlos 1Joh 3,16
Sie ist praktisch und tatkräftig 1Joh 3,17-18
Sie ist ein Beweis unserer Errettung 1Joh 3,14
Die Sünde
Die Universalität der Sünde 1Joh 1,8.10
Die Frucht der Sünde 1Joh 1,10; 3,6
Der Vater der Sünde 1Joh 3,8
Das Bekennen der Sünden 1Joh 1,9
Die Vergebung der Sünden 1Joh 1,9; 2,12
Das Sühnopfer für unsere Sünden 1Joh 2,2; 4,10
Die Reinigung von den Sünden 1Joh 1,7
Der Sieg über die Sünde 1Joh 3,5-9
Frohe Gewissheit
Wir wissen, dass der Sohn Gottes gekommen ist 1Joh 5,20
Wir wissen, dass Christus gerecht ist 1Joh 2,29
Wir wissen, dass er erschienen ist, die Sünde 1Joh 3,5
wegzunehmen
Wir wissen, dass wir aus dem Tod ins Leben 1Joh 3,14
gekommen sind
Wir wissen, dass wir das ewige Leben haben 1Joh 5,13
Wir wissen, dass wir von Gott sind 1Joh 5,19
Wir wissen, dass er uns Sieg gibt 1Joh 5,18
Wir wissen, dass er Gebete erhört 1Joh 5,15
Wir wissen, dass wir ihm gleich sein werden 1Joh 3,2