ALLGEMEINES
Die Stadt Philippi trägt ihren Namen nach Philippus, dem König von Mazedonien und Vater Alexanders des Grossen. Vordem hiess sie Krenides (Quellenstadt), um der zahlreichen Bäche willen, welche die Hochebene, auf der die Stadt liegt, bewässern. Einige Zeit nach ihrer Gründung belagerte Octavian die Stadt; sie wurde zur römischen Kolonie mit italienischem Bürgerrecht. Wie alle Kolonien dieser Art wurde sie von Statthaltern — Duumvirat genannt — verwaltet.
VERFASSER
Das christliche Altertum hat diesen Brief einstimmig dem Apostel Paulus zugeschrieben. Der Name des Paulus auf dem Briefkopf war für die Urgemeinde stets eine genügende Garantie. Ausserdem trägt ja der ganze Brief den Stempel des Heidenapostels. Die mannigfachen persönlichen Beziehungen zwischen Schreiber und Lesern können kaum andere als die zwischen Paulus und der Gemeinde zu Philippi sein.
EMPFÄNGER
Dieser Brief ist an die Gemeinde zu Philippi gerichtet (Phil 1,1), die erste christliche Kirche auf europäischem Boden. Sie bestand hauptsächlich aus bekehrten Heiden, denen sich sehr wahrscheinlich eine Minorität von Juden angeschlossen hatte.
Über die Gründung der Gemeinde (Apg 16,12-40) klärt uns der biblische Bericht genügend auf. Paulus war auf besondere Weisung des Heiligen Geistes nach Philippi gekommen, und das im Gegensatz zu seinem eigentlichen Vorhaben (Apg 16,8-12). Bei seiner Ankunft, gegen Ende des Jahres 52, wandte er sich, seiner Gewohnheit gemäss, zuerst an die Juden, die wegen ihrer kleinen Zahl keine Synagoge besassen und ihre Gottesdienste am Ufer des Flusses abhielten. Die erste Person, die bekehrt wurde, war eine Proselytin, die Purpurhändlerin Lydia von Kleinasien, deren Haus zum Absteigequartier der Missionare wurde. Kurz darauf brach ein Konflikt mit der Stadtbehörde aus; Paulus und Silas wurden angeklagt und mussten Züchtigung und Einkerkerung über sich ergehen lassen. Die Frucht davon war die Bekehrung des Kerkermeisters und seiner Familie. Nach der Befreiung aus dem Gefängnis zogen die Missionare fort und liessen eine junge Gemeinde zurück.
Später, auf der dritten Missionsreise, ungefähr ums Jahr 58, besuchte Paulus zum zweitenmal diese Stadt (Apg 20,6). Die Beziehungen zwischen ihm und der Gemeinde waren immer besonders herzlich geblieben (Phil 1,5; 4,1.10). Diese Christen begleiteten den Boten Gottes mit ihrem warmen Interesse und freigebigen Erweisen ihrer Liebe überall hin. Und Paulus, der sonst seine Selbständigkeit durchaus wahrte, zögerte in diesem Fall angesichts des ungetrübten Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und dieser Gemeinde nicht, ihre Geldspenden anzunehmen. Wahrscheinlich waren es auch die Philipper, die seinen Unterhalt in Rom zum guten Teil bestritten (Phil 2,25; 4,10.18).
ABFASSUNG
Viele Ausleger sind sich einig, dass der Brief in Rom geschrieben worden sei, während andere (von der neuzeitlichen Forschung) den Ort der Abfassung eher nach Cäsarea oder Ephesus verlegen. Die Argumente zugunsten Roms, denen auch wir beistimmen, sind folgende:
Die Hoffnung auf Befreiung und einen glücklichen Ausgang seines Prozesses scheint unmittelbarer, als sie es in Cäsarea hätte sein können (Phil 1,23.24). Dort beruft sich Paulus ja erst auf «den Kaiser», wodurch er eher mit einer verlängerten Haft rechnen musste (Apg 25,11).
Mit dem Prätorium (Luther übersetzt Richthaus) ist die römische Kaserne gemeint, wo die Soldaten der prätorianischen Kohorte wohnten, die die Leibgarde des Kaisers bildete. Man kann diesen Ausdruck nicht, ohne dem natürlichen Sinn Gewalt anzutun, auf das Richthaus des Herodes in Cäsarea, noch weniger auf dasjenige von Ephesus anwenden.
Der Ausdruck «des Kaisers Haus» (Phil 4,22) kann sich noch viel weniger auf das Haus des Statthalters Felix beziehen, sondern nur auf die Christen, die zum Hofgesinde des Kaisers gehörten.
Was die Zeit der Abfassung anbetrifft, glauben wir, dass der Brief gegen das Ende der ersten Gefangenschaft des Paulus in Rom geschrieben worden ist. Dafür sprechen folgende Argumente:
Zur Zeit seines Schreibens sieht Paulus einen baldigen und glücklichen Ausgang der Gerichtsverhandlungen voraus und rechnet auf seine Befreiung (Phil 1,23-27; 2,23-24). Das war erst gegen Ende seiner Gefangenschaft möglich.
Die Gemeinde zu Philippi hatte seine schwierige Lage erfahren und Zeit gehabt, ihm Epaphroditus mit einer finanziellen Hilfeleistung zu senden (Phil 2,25). Dazu war unter den damaligen Umständen viel Zeit nötig. Schliesslich befanden sich Lukas und Aristarchus, die mit Paulus in Rom angekommen waren (Apg 27,1-2), nicht mehr dort; denn es stehen keine Grüsse von ihnen in diesem Brief, während sie in den Briefen an die Kolosser und Philemon nicht fehlen
(Kol 4,10.14; Phlm 24).
Auf Grund dieser biblischen Belege und des unbestrittenen Zeugnisses der altkirchlichen Überlieferung glauben wir, dass die Abfassung des Philipperbriefes gegen Ende des Jahres 60 oder zu Anfang des Jahres 61 n. Chr. in Rom stattfand.
ECHTHEIT
Schon Clemens von Rom scheint an die christologische Stelle
(Phil 2,5-11) gedacht zu haben, als er von der Demut des Herrn Christus redet, sagt er doch:
«Seht, geliebte Brüder, welch ein Vorbild er uns gegeben hat; denn wenn sich der Herr also erniedrigt hat, was sollen dann wir tun, die er unter das Joch der Gnade gebracht hat?»
Polykarp schreibt in seinem Brief an die Philippen
«Der herrliche Paulus, der, da er persönlich unter euch weilte, euch gewissenhaft und zuverlässig das Wort der Wahrheit lehrte, der auch, als er abwesend war, euch einen Brief geschrieben hat, in den ihr euch nur recht vertiefen müsst, um erbaut zu werden im Glauben, der euch geschenkt worden ist...»
Dieser Abschnitt setzt voraus, dass ein Brief des Paulus an die Philipper vorhanden war und dass dieser Brief in den Archiven der Gemeinde aufbewahrt wurde. Er zeugt auch von der Kenntnis, die Polykarp in Ephesus von diesem Brief hatte.
Der Philipperbrief figuriert in der Sammlung des Marcion und ist im Muratorischen Kanon aufgeführt. Der christologische Abschnitt ist wörtlich angeführt im Brief an Diognetes und in einem Brief, den die gallischen Christen in Vienne und Lyon um 177 an «die Brüder in Asia und Phrygia» richteten.
Ausserdem hat der Brief seinen Platz mit allen andern paulinischen Briefen in der Syrischen und der Lateinischen Version; er wird von Irenaus, Clemens von Alexandrien, Tertullian, Origenes und Eusebius zitiert.
Die Echtheit des Briefes ist von der ganzen Urgemeinde einstimmig anerkannt.
ZWECK UND ZIEL
Der unmittelbare Zweck dieses Briefes ist klar ersichtlich. Die Rückkehr des Epaphroditus, der während seines Aufenthaltes in Rom schwer krank gewesen ist und den Paulus in seine Heimat zurückschickt, um die Philipper zu beruhigen (Phil 2,25), gibt dem Apostel Gelegenheit, der Gemeinde zu Philippi seine Dankbarkeit zu bezeugen für die grosszügige Gabe, die sie ihm durch ihren Abgesandten Epaphroditus übermittelt hat (Phil 4,10-20). Paulus benützt diesen Anlass, um den Epaphroditus zu empfehlen und ihm ein gutes Zeugnis auszustellen (Phil 2,26-30) sowie den Philippern einige persönliche Nachrichten zu geben und sie zu ermahnen, des Herrn würdig zu wandeln.
Einige Kritiker haben gedacht, die Gemeinde sei in zwei scharf abgegrenzte Parteien gespalten gewesen, die paulinische und die judenchristliche Partei, und der Apostel oder ein späterer Schreiber habe ihre Wiedervereinigung bezwecken wollen. Zu dieser Behauptung meint Reuss ironisch:
«Die guten Diakonissen, die sich nicht vorstellen konnten, dass sie eines Tages in theologische Puppen verwandelt würden ...»
Es liegt ja auf der Hand, dass die Streitigkeiten, auf die der Apostel anspielt, rein persönlicher Natur sind (Phil 4,2); denn der ganze Brief lässt uns im Gegenteil in der Philippergemeinde eine vorbildliche Kirche erkennen.
INHALT UND EINTEILUNG
Einleitung Phil 1,1-11
Anrede und Gruss Phil 1,1-2
Danksagung und Fürbitte Phil 1,3-11
1. Persönliche Nachrichten Phil 1,12-26
Evangeliumspredigt trotz Gefangenschaft Phil 1,12-18
Freudiges Ertragen der Gefangenschaft Phil 1,19-21
Hoffnungsvolle Aussichten für die Zukunft Phil 1,22-26
2. Ermahnungen zum vollkommenen Wandel Phil 1,21 - 2,18
Standhaftigkeit im Leiden Phil 1,27-30
Demut nach dem Vorbild Jesu Phil 2,1-11
Völlige Hingabe und Gehorsam Phil 2,12-18
3. Nachrichten von den Mitarbeitern Phil 2,19-30
Empfehlung des Timotheus Phil 2,19-24
Rückkehr des Epaphroditus Phil 2,25-30
4. Warnungen an die Gemeinde Phil 3,1 - 4,3
vor bösen Arbeitern Phil 3,1-3
vor Gesetzeswesen und Selbstgerechtigkeit Phil 3,4-11
vor falscher Vollkommenheit Phil 3,12-14
vor selbstsüchtiger Christusnachfolge Phil 3,15-21
vor Streit und Spaltungen Phil 4,1-3
5. Ermahnungen an die Gemeinde Phil 4,4-9
zur Freude im Herrn Phil 4,4
zum Vertrauen und Bitten Phil 4,5-6
zum inneren Frieden Phil 4,7
zum tugendhaften Wandel Phil 4,8-9
Schluss Phil 4,10-23
Dank für die Gabe der Gemeinde Phil 4,10-20
Grüsse und Segenswünsche Phil 4,21-23Schlüsselwort: Freude
Schlüsselvers: «Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!» (Phil 4,4).
VERSCHIEDENES
Besondere Merkmale
Dieser Brief ist das einzige Dokument, das die kurzen Angaben in der Apostelgeschichte (Apg 28,30-31) über den Aufenthalt des Paulus in Rom ergänzt. Er trägt einen persönlichen Charakter dank dem besonderen Freundschaftsverhältnis zwischen Schreiber und Empfänger.
Der Brief führt uns eine Gemeinde vor Augen, die im grossen und ganzen den Erwartungen des Apostels entspricht. Sie glänzt nicht wie die Korinthergemeinde durch auffallende Geistesgaben, sondern ist vielmehr reich an Geistesfrüchten.
Der Brief zeigt uns die ausserordentliche geistliche Weitherzigkeit des Apostels (Phil 1,15-18).
Die Christologie (Phil 2,6-11) gibt dem Brief einen besonderen Wert. Der gesegnete Theologe Godet sagt hierzu folgendes:
«Paulus wusste aus eigener Erfahrung, dass es nur ein Mittel gibt, um das eigene Ich im natürlichen Menschenherzen zu entthronen, nämlich: ihm diesen Gottessohn vor Augen zu halten, der freiwillig den göttlichen Thron verlassen hat, um bis in die tiefsten Tiefen des menschlichen Abgrundes hinunterzusteigen, und der uns mit sich herausgebracht hat, indem er uns durch den Glauben an seiner Auferstehung teilhaben liess, das heisst indem er uns eine geistliche Höhenfahrt bis zu seinem Thron ermöglicht hat.»
Die Person Jesu Christi
Seine Göttlichkeit Phil 2,6a
Seine Gottgleichheit Phil 2,6b
Seine Menschwerdung Phil 2.7
Sein Sterben Phil 2.8
Seine Auferstehung Phil 3,10
Seine Herrlichkeit Phil 2,9
Sein Herrscherrecht Phil 2,10-11
Seine Wiederkunft Phil 3,20
Christus, alles in allem
Christus, Anfang und Ende meines Phil 1,6
Glaubenslebens
Christus, meine Gerechtigkeit Phil 3,9
Christus, mein Leben Phil 1,21
Christus, meine höchste Erkenntnis Phil 3,8
Christus, meine Kraft Phil 4,13
Christus, mein Ziel Phil 3,14
Christus, meine Freude Phil 4,4
Christus, meine Hoffnung Phil 3,20-21
Christus, mein Reichtum Phil 4,19
Christus, mein Gewinn Phil 3,8
Christus, mein Friede Phil 4,7
Die christliche Freude
Freude im Gebet Phil 1,4
Freude über die Christusverkündigung Phil 1,18
Freude in der Hoffnung Phil 1,20-21
Freude im Glauben Phil 1,25
Freude der Einigkeit Phil 2,2
Freude im Opfer Phil 2,17
Freude des Wiedersehens Phil 2,28
Freude in der Gastfreundschaft Phil 2,29
Freude in dem Herrn Phil 3,1; 4,4
Freude im Geben und Empfangen Phil 4,10
Freude an den Brüdern Phil 4,1
Freude zu jeder Zeit Phil 4,4
Das Einssein der Christen
Ein Herr Phil 1,18
Ein Geist Phil 1,27
Eine Liebe Phil 2,2
Ein Trachten Phil 2,4
Ein Sinn Phil 2,5; 4,2
Ein Ruhm Phil 3,3