ALLGEMEINES
Kolossä war eine der wichtigsten Städte von Phrygien. Sie lag im malerischen, fruchtbaren Tal des Lykus, eines Nebenflusses des Mäanders, der sich unweit von Laodizea und Hierapolis ins Ägäische Meer ergiesst. Diese Städte bildeten eine kleinasiatische Städtedreiheit, von der heute nur noch Ruinenhaufen übrigbleiben.
VERFASSER
An dem Inhalt des Briefes können wir den Verfasser, den Apostel Paulus, erkennen. Er nennt sich mehrmals: «Paulus, ein Apostel Jesu Christi» (Kol 1,1), «ich, Paulus» (Kol 1,23), «mein Gruss mit meiner, des Paulus, Hand» (Kol 4,18). Er befindet sich in Gefangenschaft
(Kol 4,18b). — Die verschiedenen Mitarbeiter, die erwähnt sind, sind uns alle als Genossen des Paulus bekannt (Kol 4,7-14). Gedankengang und Theologie können von keinem anderen als Paulus stammen.
Nach Kol 4,18 wurde der Brief sehr wahrscheinlich von Paulus einem Mitarbeiter diktiert, worauf er noch mit eigener Hand einen persönlichen Gruss hinzufügte.
Die Urgemeinde gibt Paulus, den Apostel Jesu Christi, als den Verfasser des Briefes an.
Die biblischen und geschichtlichen Zeugnisse bestätigen in unzweideutiger' Weise, dass Paulus der Verfasser dieses Briefes ist.
EMPFÄNGER
Der Verfasser nennt sie am Anfang seines Briefes «die Heiligen zu Kolossä und die gläubigen Brüder in Christo» (Kol 1,2). Über die im ersten Teil der Anrede genannten Leser besteht also kein Zweifel. Über die «gläubigen Brüder in Christo» scheint uns der Hinweis in Kol 4,13.15-16 Aufschluss zu geben. Es geht dort um die Gemeinden von Laodizea und Hierapolis, die vorwiegend aus Heidenchristen bestanden (Kol 1,21.27; 2,13), aber auch eine Minorität von Juden (Kol 2,14.16) aufwiesen. Der Apostel Paulus scheint nicht der Gründer der Gemeinde zu Kolossä gewesen zu sein, da er die Leser des Briefes nicht persönlich kennt (Kol 1,4). Er hatte wohl zweimal das Innere Kleinasiens durchquert (Apg 16,6; 18,23), doch scheint er sich nach Kol 2,1 nicht in der genannten Stadt aufgehalten zu haben.
Die Art und Weise hingegen, wie Paulus nach der Erwähnung der Anfänge der Gemeinde (Kol 1,5) von Epaphras spricht, lässt darauf schliessen, dass dieser der Gründer war (Kol 1,7). Nach Kol 4,10 könnte aber auch die Frage auftauchen, ob die Gemeinde nicht durch die Missionsarbeit des Kreises um Barnabas ins Leben gerufen wurde.
ABFASSUNG
Paulus schrieb den Brief in der Gefangenschaft, was klar aus
Kol 4,3-10.18 hervorgeht. Wo der Ort der Gefangenschaft zu suchen ist, ob in Rom oder Cäsarea, kann aus dem Kolosserbrief selbst nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Wir müssen dazu noch die weiteren Gefangenschaftsbriefe sowie die Apostelgeschichte heranziehen.
Entscheidend für die römische Gefangenschaft ist der Umstand, dass Paulus als Gefangener noch Gelegenheit hat, das Evangelium zu verkünden (Eph 6,19-20). Nach Apg 28,30, wo er in Rom ist, sehen wir, dass er sogar eine Privatwohnung hatte, in der er Besuche empfangen durfte. Der Besuch eines einfachen Sklaven wie Onesimus (Kol 4,9; Phlm 8-18) passt auch besser zu dieser Lage als zu derjenigen in Cäsarea, wo Paulus in aller Form im Gefängnis eingeschlossen war.
Ausdrücke wie «meine Bande, gebunden sein, Bote in Ketten»
(Kol 4,18; Eph 6,19-20) sowie «die von des Kaisers Haus grüssen euch» (Phil 4,22) sind auf den Umstand zurückzuführen, dass Paulus in Rom am Kaiserhof an Soldaten gekettet war, die sich bei ihm ablösten.
Ein dritter Grund für eine spätere Zeit als Cäsarea ist der Zustand der Gemeinde zu Kolossä. Wir sehen hier eine Form des Judenchristentums, die sehr abwich von der pharisäischen Gesetzlichkeit, die Paulus bis zu seiner cäsareischen Gefangenschaft zu bekämpfen hatte. Wäre dieser Brief in Cäsarea entstanden, so könnte man die rasche Veränderung des judaisierenden Gegners kaum verstehen.
Ein vierter, noch überzeugenderer Beweis für Rom ist die Tatsache, dass Paulus in seinem Brief an Philemon, der zur gleichen Zeit wie die Briefe an die Epheser und die Kolosser abgesandt wurde, diesen Christen in Kolossä auf fordert, ihm eine Wohnung zu bereiten
(Phlm 22). Nun ist es aber schwer vorstellbar, dass Paulus eine solche Bitte während seiner Haft in Cäsarea ausgesprochen hätte, zumal er sich in jener Zeit auf den Kaiser beruft (Apg 25,11; 26,32), wodurch er eine lange Reise nach Rom und einen längeren Aufenthalt in Rom voraussehen musste (Apg 28,30-31). Diese inneren Argumente werden durch die altkirchliche Überlieferung bestätigt, die einstimmig Rom als Abfassungsort der Gefangenschaftsbriefe angibt.
Zwei Tatsachen lassen uns vermuten, dass der Apostel den Kolosserbrief kurz nach seiner Ankunft in Rom schrieb:
Erstens sagt er kein Wort über seinen Prozess, während er im Philipperbrief, der später geschrieben wurde, seiner Hoffnung Ausdruck gibt, die Gerichtsverhandlungen bald zu einem guten Abschluss kommen zu sehen (Phil 1,23-25).
Zweitens befinden sich Lukas und Aristarchus, die beiden Freunde des Paulus, die ihn von Palästina nach Rom begleitet hatten (Apg 27,1-2), immer noch bei ihm (Kol 4,10.14), während sie später, als er den Philipperbrief schreibt, nicht mehr anwesend zu sein scheinen, da andernfalls ihre Grüsse kaum fehlen würden.
Das Datum der Abfassung des Briefes liegt demnach eher am Anfang der Gefangenschaft in Rom, das heisst gegen Ende des Jahres 59 n. Chr. oder zu Anfang des Jahres 60 n. Chr.
ECHTHEIT
Die Tatsache, dass in den Schreiben der Kirchenväter keine wörtlichen Zitate aus dem Kolosserbrief zu finden sind, ist von der neueren Kritik ausgiebig erörtert worden. Dabei steht aber fest, dass der Brief bereits Barnabas, Ignatius und Justin dem Märtyrer bekannt gewesen ist. Er steht als achter paulinischer Brief in der chronologischen Rangordnung im Kanon des Marcion, als fünfter im Muratorischen Fragment. Irenaus, Clemens von Alexandrien und Tertullian gebrauchen ihn als allgemein anerkannte neutestamentliche Schrift.
Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Echtheit dieses Briefes in Zweifel gezogen. Die wichtigsten Einwände von Mayerhoff und Baur gegen die Echtheit des Briefes berühren drei Gebiete: den Stil, die Christologie und die Verwandtschaft mit dem Epheserbrief.
Zu Stil und Gedankenwelt äussert sich Prof. W. Michaelis folgendermassen:
«Beigefügt sei einmal, dass insbesondere die Eigenheiten im Wortschatz sich beim Kolosserbrief hinreichend dadurch erklären, dass Paulus hier eine Irrlehre besonderer Prägung bekämpfen muss und deren Stichworte aufnimmt.*
In dieser Hinsicht sei beigefügt, dass die Einwendungen gegen die Sprache des Briefes je länger je mehr an Zugkraft verloren haben. Die Lehre von Christus z.B. entspricht ganz der Art und Weise, wie Paulus von Christus redet und schreibt. Er beschreibt den gekreuzigten Christus im Kolosserbrief als den von den Toten auferstandenen, im Himmel zur Rechten Gottes sitzenden und als Haupt der Gemeinde regierenden Herrn. Dass er hauptsächlich die Gottheit Jesu, die ewige Sohnschaft, seine Beziehungen zur Engelwelt usw. hervorhebt, ist ohne weiteres zu verstehen, wenn man bedenkt, dass die Schrift gegen eine spezielle Irrlehre gerichtet war (siehe Zweck und Ziel). Tatsächlich besteht eine offensichtliche Verwandtschaft, nicht nur zwischen dem Kolosser- und dem Epheserbrief, sondern auch zwischen dem Kolosser- und den Galater- und Korintherbriefen. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass hier wie überall sonst das gleiche Zeugnis über Jesus Christus, seine Souveränität, die Fülle seines Heils, seinen Triumph am Kreuz und die Macht seiner Auferstehung zu finden ist.
Godet weist darauf hin, dass Paulus in diesem Brief zeigt, was Christus für die Gemeinde ist, im Epheserbrief hingegen, was die Gemeinde für Christus ist; jemand anders hat fein bemerkt: «Im Epheserbrief zeigt Paulus die Gemeinde des Herrn, im Kolosserbrief den Herrn der Gemeinde».
Es sei hier noch betont, dass viele hervorragende Bibelausleger trotz der dreifachen Kritik in keiner Weise an der Paulinität und Echtheit des Briefes zweifeln.
ZWECK UND ZIEL
Der Brief ist aus einer ganz bestimmten Lage heraus entstanden. Die Christen zu Kolossä sind durch das Auftreten von gewissen Irrlehrern beunruhigt worden, was Paulus durch Epaphras oder andere Boten vernommen hat. Er benützt die Reise des Tychikus (Kol 4,7-8), um die Kolosser durch ein Schreiben zu warnen und aufzuklären. Gleichzeitig ist er bestrebt, die junge Gemeinde in der christlichen Erkenntnis weiterzuführen und ihr die Tür zur Fülle der Gottseligkeit zu öffnen. Die Gemeinde zu Kolossä zählte hauptsächlich Christen heidnischer Herkunft (Kol 1,13.25-27; 3,6-7). Die evangelische Unterweisung, die sie erhalten hatte, entsprach der Lehre des Paulus (Kol 1,6-7; 2,5-7). Der geistliche Zustand war derart, dass sich der Apostel darüber freuen konnte (Kol 1,3-6; 2,5). Darum ermahnt Paulus sie nicht, ihre Gedankenrichtung oder ihren Lebenswandel zu ändern, sondern er ermuntert sie, weiterzufahren wie bisher und Fortschritte zu machen.
Verschiedene Ausleger glauben, dass die Irrlehrer, die die Gemeinde zu Kolossä gefährdeten, Philosophen griechischer oder orientalischer Herkunft waren, die sowohl ausserhalb des Christentums als auch des Judentums standen. Doch diese Hypothese ist kaum annehmbar; denn der Lehre dieser Menschen ist doch der jüdische Stempel ziemlich stark aufgedrückt: sie schreiben die Beschneidung, die Beobachtung des Sabbats und der Neumonde vor, usw. (Kol 2,8.11.14.16). Dennoch sind diese Irrlehrer nicht zu verwechseln mit jenen, deren pharisäische und gesetzliche Tendenzen der Apostel im Galaterbrief bekämpft. Die Irrlehrer von Kolossä empfehlen das Gesetz nicht als Mittel zur Rechtfertigung, sondern zur asketischen Beobachtung. Es handelt sich um eine Art Zusatzreligion, die auf ein mystisches und asketisches System aufgebaut ist und sich mit dem Namen der Philosophie ziert
(Kol 2,8). Der Gläubige soll mit einer höheren, geistigen Welt in Verbindung treten und anstelle des einzigen Mittlers, Christus, Engelsmächte als Mittlergestalten anerkennen. Zu diesem Zweck muss der Leib hart behandelt werden, damit der Geist möglichst von der Materie gelöst und fähig werde, die himmlischen Offenbarungen zu empfangen. Es handelt sich also hier ganz unmissverständlich nicht mehr um die Erlösung in Christus allein, sondern um eine Selbsterlösung, ja eine Erziehung zum Spiritualismus.
Mehrere dieser Züge lassen uns einen Einfluss von seiten der Judäo-Essener vermuten, die darnach trachteten, sich vom Volksleben abzuschliessen und denen Ehelosigkeit, häufige Waschungen und Gütergemeinschaft geboten war. Nach ihnen lebte die Seele vor dem Leibe, die Anziehungskraft des Sinnlichen aber hatte sie vom reinen Äther herabgezogen und in den Kerker des Leibes eingehen lassen. Die Materie bildete für sie den Inbegriff des Bösen (wie für die heutige Christliche Wissenschaft).
Wie es sich auch mit dieser heiklen Frage verhalten mag, eins ist sicher: Paulus nimmt dieser gefährlichen Vergeistigung des Christentums und vor allem der Ausarbeitung eines ganzen theologischen Systems auf solcher Grundlage von vornherein den todbringenden Stachel und erledigt sie mit der Botschaft von der Person und dem Werk des Triumphators Christus. Er allein ist der Erhabene, und in ihm ist die ganze Fülle der Gottheit.
INHALT UND EINTEILUNG
Dieser Brief bildet ein einheitliches Ganzes und lässt sich schwer in deutlich abgegrenzte einzelne Teile zerlegen. Nachfolgende Einteilung ist ein Versuch.
Einleitung Kol 1,1-12
Anrede und Segensgruss Kol 1,1-2
Danksagung Kol 1,3-8
Fürbitte Kol 1,9-12
1. Lehrhafter Teil: Christus der Herr Kol 1,13-29
Die Erhabenheit der Person Christi Kol 1,13-20
Die Erhabenheit des Werkes Christi Kol 1,21-23
Die Erhabenheit des Dienstes für Christus Kol 1,24-29
2. Ermahnender Teil: Die Gemeinde Kol 2,1-23
Warnung an die Gemeinde Kol 2,1-8
Stellung und Reichtum der Gemeinde Kol 2,9-15
Gefahren für die Gemeinde Kol 2,16-23
3. Praktischer Teil: Der Christ Kol 3,1 - 4,6
Das wahre Leben des Christen Kol 3,1-4
Die Heiligung des Christen Kol 3,5-17
Die Pflichten des Christen Kol 3,18 - 4,1
Gebet und weise Haltung gegenüber der Welt Kol 4,2-6
Schluss: Persönliche Nachrichten Kol 4,7-18
Die Sendung des Tychikus und Onesimus Kol 4,7-9
Grüsse und Empfehlungen Kol 4,10-18
Schlüsselwort: Vollkommenheit
Schlüsselvers: «Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig» (Kol 2,9).
VERSCHIEDENES
Fülle (oder ähnliche Ausdrücke)
Die Fülle der Erkenntnis Kol 1,9
Die Fülle Christi Kol 1,19
Die Fülle der Weisheit Kol 2,2
Die Fülle der Gottheit Kol 2,9
Unsere Fülle in Christus Kol 2,10
Mit Christus
abgestorben Kol 2,20
begraben Kol 2,12
lebendig gemacht Kol 2,13
auferstanden Kol 3,1
verborgen Kol 3,3
offenbart Kol 3,4
Bitten des Paulus
um Erkenntnis des Willens Gottes Kol 1,9
um geistliche Weisheit und Verständnis Kol 1,9
um einen würdigen Wandel Kol 1,10
um Fruchtbarkeit in allen guten Werken Kol 1,10
um Wachstum in der Erkenntnis Gottes Kol 1,11
um Gotteskraft in allen Lagen Kol 1,11