ALLGEMEINES
Das Buch trägt seinen Namen nach den Männern, die in der Zeit von Josuas Tod bis zu Sauls Herrschaftsantritt bei den Kämpfen gegen die auswärtigen Feinde als Retter und Führer auftraten und die in Friedenszeiten richterliche Befugnisse hatten.
Das Buch der Richter hängt eng zusammen mit dem Buch Josua, beginnt es doch mit den Worten: «Nach dem Tod Josuas ...»
Es beabsichtigt nicht, einen geschichtlich lückenlosen Bericht zu bieten, noch weniger zielt es darauf hin, dem israelitischen Nationalstolz zu huldigen, sondern es will vor allem das Eingreifen Gottes ins Licht stellen. Gott, der Herr, ist der Held dieses Buches.
ZEITABSCHNITT
Das Buch der Richter beginnt mit dem Tode Josuas und endet mit dem benjaminitischen Bürgerkrieg.
Die Richterzeit kann unmöglich genau abgegrenzt werden. Berechnungen weisen Unterschiede von über 100 Jahren auf. Es ist unwahrscheinlich, dass sämtliche Richter in strikter Aufeinanderfolge amteten; im Gegenteil, es ist fast sicher, dass einige als Zeitgenossen nebeneinander tätig gewesen sind. Den geschichtlichen Hintergrund zeichnet Dr. B. Baischeit folgendermassen: «Die im Lande eingewanderten Israelstämme hatten sowohl mit den kanaanäischen Ureinwohnern, soweit diese ihre Selbständigkeit behaupten konnten, als auch mit ihren Nachbarvölkern mannigfache Kämpfe zu führen. Im Norden des Landes bestanden kleinere aramäische Königreiche, im Osten das ammonitische und das moabitische Königreich, die beide auf das Ostjordanland Anspruch erhoben. Von Süden her drohten die Stammesstaaten der Amalekiter, Edomiter und Midianiter, deren Kriegszüge gegen Israel eher den Charakter von Streifzügen räuberischer Beduinenhorden hatten. Im Westen, an der Küste des Meeres, lebte das wohl von Kreta stammende Kulturvolk der Philister, das jetzt schon, besonders aber dann später unter Saul und David, der Hauptfeind der eingewanderten Israeliten war. Israel hatte diesen Nachbarvölkern gegenüber den grossen Nachteil, dass es nach dem Tode des Josua keine einheitliche, alle Stämme erreichende Führung mehr hatte. Es hatte wohl das Heiligtum, und dieses Heiligtum sollte Gewähr dafür bieten, dass die Stämme in der Not einander beiständen. Das Israel dieser Zeit lebte aber in der ständigen Versuchung, in Einzelstämme auseinanderzufallen.»
VERFASSER
Der Verfasser ist uns unbekannt. Die Überlieferung schreibt das Buch Samuel zu, der es gegen das Ende seines Lebens geschrieben haben soll. Jedenfalls kann aus dem mehrfach wiederholten Satz:
«Zu der Zeit war kein König in Israel, und ein jeglicher tat, was ihn recht deuchte» (Ri 17,6; 18,1; 19,1; 21,25)
geschlossen werden, dass Israel zur Zeit der Abfassung bereits unter Königsherrschaft stand. Nach andern Anschauungen kämen auch Eli oder ein zur Zeit Samuels lebender Prophet als Verfasser in Betracht. Dass die Richter wirkliche geschichtliche Gestalten sind, wird durch Zitate und Hinweise im Alten und Neuen Testament bestätigt:
1Sam 12,9-11; 2Sam 11,21; Ps 83,10-12; Apg 13,20; Heb 11. Die gesamte jüdische und christliche Überlieferung bestätigt die Echtheit des Buches.
BOTSCHAFT
Das Buch zeigt uns die unermüdliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes, die immer wieder bereit ist, dem untreuen und in Sünde verfallenen, aber bussfertigen Volk zu vergeben und es neu anzunehmen. An Hand der Geschichte der Richterzeit ist Israel der Beweis gegeben, dass das Volk Gottes nur in der völligen Hingabe an Gott und im Beobachten seiner Gebote Frieden und Wohlfahrt finden kann.
EINTEILUNG
1. Politische und religiöse Verhältnisse Ri 1-3,6
Kriegszüge der Judäer und Simeoniter Ri 1,1-21
Kriegszüge der Josephiten Ri 1,22-36
Strafandrohung Ri 2,1-5
Allgemeine Zustände Ri 2,6 - 3,6
2. Hauptteil: Die Richter Ri 3,7 - 16,31
Othniel, Ehud, Samgar Ri 3,7-31
Debora und Barak Ri 4-5
Gideon Ri 6-8
Abimelech Ri 9
Thola und Jair Ri 10
Jephthah Ri 11-12
Simson Ri 13-16
3. Nachträge Ri 17-21
Michas Bilderdienst in Ephraim Ri 17-18
Benjaminitischer Bürgerkrieg Ri 19-21
Schlüsselwort: Anarchie
SYMBOLIK
Die Richter
— das Wort «Richter» kann auch mit Retter übersetzt werden — sind trotz ihren Unvollkommenheiten Schattenbilder von Christus, dem Befreier.
Der Engel des Herrn
Dreimal erscheint er in dieser dunklen Richterzeit: bei Bochim
(Ri 2,1), dem Gideon (6,11) und dem Manoah (Ri 13,11).
Dieser Engel, dessen Name in der Geschichte Simsons als «Wunderbar» bezeichnet wird, ist Christus selbst, der sein Volk in der Gefahr immer wieder besucht.
Das Leben Simsons
eine gedrängte Darstellung der Geschichte Israels
Schon vor seiner Geburt offenbarte Gott seinen Eltern, dass ihr Sohn geweiht sei und die Befreiung herbeiführen werde. So hatte Gott Abraham offenbart, dass aus ihm ein Volk heranwachsen würde, das heilig sein und den grossen Befreier hervorbringen sollte.
Simson entfernte sich immer wieder von Gott und sündigte. Auch Israel war immer wieder ungehorsam und verfiel in Sünde und Götzendienerei. Jedesmal, wenn Simson durch Feindeshand gebunden worden war, schenkte ihm Gott Befreiung. Ebenso durfte Israel jedesmal Gottes Befreiung erleben, wenn es von seinen Feinden unterdrückt wurde und zu Gott schrie. Eines Tages jedoch lief der Sündenbecher Simsons über, und Gott gab ihn in die Hände seiner Feinde, die ihn gefangennahmen. So führten auch die Sünden Israels zum unvermeidlichen Gericht: zur Gefangenschaft.
Am Ende seines Lebens wandte sich Simson noch einmal zu Gott, der ihn erhörte und wieder gebrauchte, um sich durch ihn zu bezeugen. Ebenso wird Israel sich eines Tages bekehren, und Gott wird sich seiner bedienen, um sich zu verherrlichen.
BESONDERE MERKMALE
Der Kreislauf der Ereignisse
Ungehorsam: «Die Kinder Israel taten übel vor dem Herrn» (Ri 3,7)
Strafe: «Und der Herr verkaufte sie in die Hand...» (Ri 3,8)
Busse: «Da schrien die Kinder Israel zu dem Herrn» (Ri 3,9)
Errettung: «Und der Herr erweckte ihnen einen Heiland» (Ri 3,9)
Die Gegensätze
Politische Anarchie, moralische und soziale Verderbtheit, religiöser Abfall finden sich Seite an Seite mit den glänzendsten Siegen und den herrlichsten Offenbarungen (zum Beispiel Ri 13).
VERSCHIEDENES
Die sieben grossen Lehren des Buches
- Die Gottlosigkeit ist die Wurzel aller sozialen und politischen Unordnung.
- Vorrechte sind keine Garantie gegen die Ansteckung durch das Böse.
- Schlechte Gesellschaft verdirbt gute Sitten.
- Wer nicht Sieger ist über die Sünde, wird ihr Sklave.
- Der Ungehorsam gegen die Gebote Gottes hat unvermeidliche Folgen.
- Gott erhört immer den Zurückgefallenen, wenn er sich wieder zu ihm wendet. Gottes Geduld ist nie erschöpft ( Ri 10,16).
- Wenn Gott Befreiungen schenkt, ist jeglicher Menschenruhm ausgeschlossen; alles ist reine Gottesgnade.
Die sieben grossen Zeiten des Abfalls
Kapitel | Ursachen des Abfalls | Unterjochende Macht | Jahre | Befreier | |
---|---|---|---|---|---|
1. | Ri 3,7-11 | Baalim und Ascheroth | Kusan-Risathaim, König von Mesopotamien |
8 | Othniel |
2. | Ri 3,12-31 | Ungehorsam | Eglon, Moabiterkönig Ammoniter und Amalekiter (Philister, 31) | 18 | Ehud und Samgar |
3. | Ri 4-5 | Ungehorsam | Jabin, Kanaaniter- könig |
20 | Debora |
4. | Ri 6-8,32 | Ungehorsam | Midianiter | 7 | Gideon |
5. | Ri 8,33 - 10,5 | Baal-Berith | Bürgerkriege | — | Thola, Jair |
6. | Ri 10,6 - 12,15 | Baalim, Astharoth und andere Götter | Philister, Ammoniter | 18 | Jephthah Ebzan, Elon Abdon |
7. | Ri 13-16 | Ungehorsam | Philister | 40 | Simson |
13 Richter |