ALLGEMEINES
Der Epheserbrief ist durch sein Thema: die Gemeinde Jesu Christi, ein ausserordentlich wichtiger Brief. Er bildet gleichsam das «Lehrfundament» vom Wesen der Gemeinde. Man hat ihn auch «die Krone aller Paulusbriefe» genannt.
Der Epheserbrief ist einer der Gefangenschaftsbriefe. Mit diesem Namen bezeichnet man die Briefe, die der Apostel Paulus als Gefangener schrieb. Es sind dies die Briefe: an die Philipper, die Epheser, die Kolosser und an Philemon. Zwei äussere Umstände verbinden den Epheserbrief eng mit dem Kolosserbrief und dem Brief an Philemon: Paulus schreibt zur gleichen Zeit aus der Gefangenschaft (Eph 3,1; 4,1; 6,20) und sendet die Briefe durch denselben Boten, Tychikus (Eph 6,21-22; vgl. Kol 4,7-8).
VERFASSER
Die vielen inneren Beweise lassen keinen Zweifel an der Verfasserschaft dieses Briefes aufkommen. Der Verfasser nennt sich: Paulus, ein Apostel Jesu Christi (Eph 1,1) — Paulus, der Gefangene Jesu Christi (Eph 3,1) — Gefangener in dem Herrn (Eph 4,1) — Bote des Evangeliums in Ketten (Eph 6,20).
Daraus ersehen wir, dass der Verfasser niemand anders sein kann als der Apostel Paulus in Gefangenschaft.
Im übrigen bestätigt der ganze Inhalt des Briefes die Autorschaft des Paulus. Die Errettung aus Gnaden durch den Glauben (Eph 2,5.8), die Erlösung durch das Blut (Eph 1,7), die Versiegelung mit dem Heiligen Geist (Eph 1,13; 4,30), der Leib als Bild der Gemeinde (Eph 1,23; 4,16), die Liebe, die Christus von Anfang an für uns gehabt hat, usw., dies alles sind Begriffe, die wir im Römer- und Galaterbrief und in den Korintherbriefen antreffen. Zahlreiche altkirchliche Beweise bestätigen ebenfalls, dass Paulus, der Apostel Jesu Christi, der Verfasser des Epheserbriefes ist.
EMPFÄNGER
Die Frage nach dem Empfänger wirft ein schwieriges Problem auf. Im Eingang heisst es in den meisten unserer Bibelausgaben: «Den Heiligen zu Ephesus und Gläubigen an Christus Jesus...» Die Worte «zu Ephesus» aber fehlen in vielen alten Dokumenten und besonders in den zwei ältesten Manuskripten, dem Vaticanus und dem Sinaiticus. Sie wurden in den letzteren später beigefügt, beim Sinaiticus im Text und beim Vaticanus am Rande. Dazu muss bemerkt werden, dass Paulus keinerlei Grüsse und Ermahnungen an Einzelpersonen richtet, wie es sonst in allen Briefen seine Gewohnheit ist. Und doch wissen wir, wie sehr er sich gerade mit der Gemeinde von Ephesus, wo er drei Jahre lang «unter Tränen» gewirkt hatte, verbunden fühlte. Viele führende Ausleger und Theologen sind der Meinung, dass dieser unpersönlichste von allen Paulusbriefen für eine ganze Gruppe von Gemeinden in Kleinasien bestimmt war. Es würde sich somit um ein «Rundschreiben» handeln, das sehr wahrscheinlich zuerst an die Gemeinde zu Ephesus gesandt wurde. Daraus erklärt sich das Fehlen persönlicher Erinnerungen und Ermahnungen sowie die Nichterwähnung des Mitarbeiters Timotheus. Es könnte gut sein, dass ein Beauftragter der Gemeinde in Ephesus diesem Rundschreiben einfach die Worte «zu Ephesus» beifügte, mit der Absicht, dass der Brief, nachdem er die Runde durch die Gemeinden gemacht haben würde, wieder nach Ephesus gesandt werden sollte, oder wie Prof. F. Godet erläutert:
«Tychikus sollte wohl in der Hafenstadt Ephesus landen. Wenn verschiedene Exemplare des Briefes hergestellt wurden, so wurde diese Arbeit bestimmt in Ephesus verrichtet, und es ist wahrscheinlich, dass dabei eine Kopie dieses wichtigen Schreibens Ephesus gewidmet wurde. Weil nun diese Stadt die Hauptstadt Kleinasiens und für alle anderen Gegenden der zugänglichste Hafen war, so wandten sich sehr wahrscheinlich die anderen christlichen Gemeinden, wenn sie eine Abschrift begehrten, dafür an Ephesus. So geschah es, dass auf den zahlreichen Abschriften, die den Archiven der Epheser-Gemeinde entstammten, die ursprünglich offengelassene Stelle in gutem Glauben mit den Worten ausgefüllt wurde, die wir in den gewöhnlichen Exemplaren finden, während nur einige wenige Dokumente die Form des ursprünglichen Exemplars beibehielten.»
Eines steht fest: Die Leser, für die der Brief bestimmt war, waren Christen der kleinasiatischen Gemeinden und heidnischer Herkunft (Eph 2,1-4.11-12.19; 4,17-19).
ABFASSUNG
Dieser Brief muss auf alle Fälle am gleichen Ort und zur gleichen Zeit wie der Kolosserbrief geschrieben worden sein; denn beide Briefe wurden durch denselben Boten, Tychikus, übersandt (vgl. Eph 6,21-22; Kol 4,7-8). Aus den im Brief selbst enthaltenen Angaben (Eph 3,1.13; 4,1; 6,20 usw.) entnehmen wir, dass sich der Verfasser, als er schrieb, in Gefangenschaft befand. Wenn wir Eph 6,20 mit Phil 4,22 vergleichen, wo Paulus aus derselben Gefangenschaft Grüsse von den Gläubigen «von des Kaisers Hause» ausrichtet, so sind wir geneigt, Rom als den Ort der Gefangenschaft anzusehen.
Allerdings war Paulus auch an anderen Orten in Gefangenschaft: in Cäsarea und Ephesus (vgl. 1Kor 15,32); aber es ist aus obigen Gründen wahrscheinlicher, dass der Brief von Rom aus geschrieben wurde, und gwar gegen Ende des Jahres 59 oder gu Beginn des Jahres 60, um die gleiche Zeit wie der Kolosserbrief. (Für Einzelheiten siehe Einführung in den Kolosserbrief.)
ECHTHEIT
Prof. F. Godet macht darauf aufmerksam, dass dieser Brief, der von der Kritik «am meisten unter allen paulinischen Briefen angegriffen wird, gerade derjenige ist, der die stärksten Garantien von seiten der kirchlichen Überlieferung besitzt».
Schon Ignatius von Antiochien (Anfang 2. Jahrhundert) macht in seinem eigenen Brief an die Epheser Andeutungen an unseren Brief (Eph 1,16; 3,3; 5,1); Polykarp schreibt bald darauf den Philippern und zitiert ihn dabei mehrfach (Eph 2,8-9; 4,26). Marcion (ums Jahr 140) reiht ihn in seinen Kanon chronologisch ein.
Die Syrische Übersetzung im Osten und die alte Lateinische Version nebst’, dem Muratorischen Pragment im Westen behandeln den Brief als Schreiben des Apostels Paulus. Ausserdem haben Irenaus, Clemens und Tertullian sowie Origenes und Eusebius öfters von diesem Brief Gebrauch gemacht. Die oben erwähnte Kritik, die erst im 19. Jahr-hundert auftritt, weist auf die Sprache und den Stil, die Gedankenwelt und das Verhältnis zum Kolosserbrief hin. Unsere Aufgabe ist hier nicht, diese Kritik zu bekämpfen, die schliesslich behauptet, der Brief sei eine Fälschung vom 2. Jahrhundert. Wir erwähnen nur, dass namhafte Forscher und Theologen nach sorgfältigem Studium eine solche Hypothese vollständig verwerfen.
Uns genügen die zahlreichen altkirchlichen Zeugnisse sowie die inneren Beweise, um an die Echtheit und Paulinität des Briefes zu glauben.
ZWECK UND ZIEL
Eine besondere Veranlassung ist bei unserem Schreiben nicht festzustellen, und doch handelt es sich sicher nicht um irgendeinen Gelegenheitsbrief. Sehr wahrscheinlich bildet die Lage des Apostels und die Bedrohung der Gemeinde Jesu (Eph 6,10-20) den Hintergrund des Briefes. Gerade in dieser äusseren Bedrohung soll sich die Gemeinde ihrer Stellung in Christus, ihrer Berufung und Vollkommenheit bewusst werden. Ist das wohl die «feste Nahrung», die Paulus gern den Korinthern verabreicht hätte und die sie wegen ihrer «fleischlichen Gesinnung» nicht empfangen konnten? Der Epheserbrief ist auf alle Fälle das Dokument, das am meisten Licht auf die Gemeinde Jesu wirft. Es zeigt uns die hohe Bedeutung der Gemeinde, die von Ewigkeit her von Gott bestimmt ist, ein Zeugnis in der gegenwärtigen und zukünftigen Welt zu sein (Eph 3,10.21). «Mit ihren Wurzeln in der Ewigkeit, in Gottes Vaterherzen ruhend — treibt sie ihre Krone wieder in die Ewigkeit zu Gottes Thron zurück und verzweigt ihre Äste in alle Generationen und durch alle Jahrhunderte hindurch.»
INHALT UND EINTEILUNG
Einleitung: Anrede, Gross und Segenswunsch Eph 1,1-2
1. Dogmatischer Teil: Die Gemeinde Jesu Christi Eph 1,3 - 3,21
Die Segnungen der Gemeinde Eph 1,3-10
Der Eintritt in die Gemeinde Eph 1,11-14
Die Fürbitte für die Gemeinde Eph 1,15-23
Das Einst und Jetzt der Gemeinde Eph 2,1-10
Die Einheit der Gemeinde Eph 2,11-22
Das Geheimnis der Gemeinde Eph 3,1-13
Der Reichtum der Gemeinde Eph 3,14-21
2. Ermahnender, praktischer Teil Eph 4,1 - 6,20
Die Einigkeit durch den Geist Eph 4,1-16
Der Wandel des neuen Menschen Eph 4,17-24
Der Umgang mit dem Nächsten Eph 4,25-32
Der sorgfältige Wandel der Gotteskinder Eph 5,1-21
Mann und Weib — Christus und die Gemeinde Eph 5,22-33
Kinder und Eltern — Knechte und Herren Eph 6,1-9
Vom geistlichen Glaubenskampf Eph 6,10-20
Schluss Eph 6,21-24
Die Mission des Tychikus Eph 6,21-22
Segenswunsch Eph 6,23-24
Schlüsselwort: Gemeinde
Schlüsselvers: «Und hat alle Dinge unter seine Füsse getan und hat ihn gesetzt zum Haupt der Gemeinde über alles, welche da ist sein Leib, nämlich die Fülle des, der alles inallen erfüllt» (Eph 1,22-23).
VERSCHIEDENES
Das Wesen der Gemeinde in drei Bildern
Die Gemeinde als göttlicher Bau Eph 2,19-22
Die Gemeinde als Leib Christi Eph 1,22-23; 4,12-16; 5,23-30
Die Gemeinde als Ehefrau Eph 5,25-33
Das Geheimnis des Lebens der Gemeinde
Dieses Geheimnis ist das «Leben in Christo-», ein Ausdruck, den Paulus gebraucht, um den normalen geistlichen Zustand des Gläubigen zu bezeichnen. Er lebt, ist und handelt nicht mehr in und aus sich selbst, sondern «in Christo». Dieser Ausdruck kommt im Urtext in unserem Brief 35 mal, im ganzen Neuen Testament 164 mal vor.
Das Amt des Heiligen Geistes in der Gemeinde
Die Person des Geistes Eph 4,30
Das Siegel des Geistes Eph 1,13
Das Pfand des Geistes Eph 1,14
Die Offenbarungen des Geistes Eph 1,17; 3,5
Der Zugang zum Vater durch den Geist Eph 2,18
Die Einigkeit im Geist Eph 2,18-22; 4,3-4
Die Macht des Geistes Eph 3,16
Die Fülle des Geistes Eph 5,18
Das Schwert des Geistes Eph 6,17
Das Gebet im Geist Eph 6,18
Der geistliche Kampf der Gemeinde Eph 6,10-20
Der Aufruf Eph 6,10
Der Feind Eph 6,11-12
Das Kampffeld Eph 6,12
Die Waffenrüstung Eph 6,11.13-17
Die Haltung Eph 6,18-20