ALLGEMEINES
Der Römerbrief enthält die grundlegende Heilsbotschaft, wie sie vom Apostel Paulus der Heidenwelt überbracht wurde. Er hat deshalb in der Kirchengeschichte eine einzigartige Rolle gespielt.
Augustinus wurde durch das Lesen der Stelle Röm 13,13-14 ein anderer Mensch. Chrysostomus hatte die Gewohnheit, den Römerbrief zweimal wöchentlich ganz durchzulesen. Luther sagt in der Vorrede zu seinem Kommentar zum Römerbrief:
«Diese Epistel ist das rechte Hauptstück des Neuen Testamentes und das allerlauterste Evangelium, welche wohl würdig und wert ist, dass sie ein Christenmensch nicht allein von Wort au Wort auswendig wisse, sondern täglich damit umgehe als mit täglichem Brot der Seele. Denn sie kann nimmer au viel und au wohl gelesen und betrachtet werden, und je mehr sie gehandelt wird, je köstlicher sie wird und schmeckt.«
Calvin schrieb:
«Ein jeder, der zum wahren Verständnis dieses Buches gelangt ist, hat vor sich wie eine offene Tür, um bis in die geheimsten Schätze der Schrift einzudringen.»
Es darf mit Recht behauptet werden, dass der Römerbrief die Reformation ausgelöst hat. «Der Gerechte wird seines Glaubens leben.» — Auch die Heiligungsbewegung des Jahres 1875 in England ist auf das vertiefte Studium von Röm 6-8 zurückzuführen.
Der Römerbrief enthält keimhaft die Antwort auf das höchste Trachten und Sehnen der menschlichen Seele: nach Gott und dem Heil der Welt, nach Heiligung und neuem Leben, und die Lösung vieler psychologischer, sozialer, rassenpolitischer und anderer Probleme.VERFASSER
Der Verfasser gibt sich schon in den ersten Zeilen zu erkennen: «Paulus, ein Knecht Jesu Christi, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes» (Röm 1,1).
Trotz seiner klaren, scharfen Dogmatik stellt er sich nicht vor allem als Lehrer vor, sondern als «Apostel, Botschafter an Christi Statt», der sich mit ganzer Seele und heiligem Ernst der Erfüllung seiner Aufgabe widmet. Paulus ist Jude von Geburt (Röm 9,1-5; 11,1) und liebt sein Volk leidenschaftlich; als früherer Pharisäer kennt er das Alte Testament ausserordentlich gut; er führt es in seinem Briefe
57mal an und macht sonst noch zahlreiche Anspielungen darauf. Lehre, Stil, Geist und Eigenart der Schrift sind dieselben wie in allen paulinischen Briefen.
Die kirchliche Überlieferung bestätigt einstimmig, dass Paulus der Verfasser des Römerbriefes ist.
EMPFÄNGER
Der Römerbrief wurde nicht an eine regelrecht organisierte und Paulus schon persönlich bekannte Gemeinde geschrieben (wie z.B. Korinth oder Philippi), sondern vielmehr an «alle, die zu Rom sind, den Liebsten Gottes und berufenen Heiligen» (Röm 1,7). Er ist also an die Gläubigen dieser Stadt gerichtet, unter denen der Apostel zweifellos eine schöne Anzahl Freunde zählt, wie die Grüsse des Schlusskapitels beweisen.
Es handelt sich hier um eine Gemeinde, die im Entstehen begriffen und nicht durch einen Apostel gegründet oder aufgebaut worden ist; denn als Paulus seinen Besuch ankündigt, erklärt er, dass er sich «befleissige, das Evangelium dort zu verkündigen, wo Christi Name nicht bekannt ist, auf dass er nicht auf einen fremden Grund baue» (Röm 15,20-23). Diese werdende Gemeinde setzte sich aus einer überwiegenden Mehrheit von bekehrten Heiden zusammen
(Röm 1,5-6.13-15), daneben aber aus einer wichtigen Minderheit von Christen jüdischer Herkunft; daher die Notwendigkeit gegenseitiger Toleranz, wie sie in Röm 14 und Röm 15,1-13 (siehe auch Röm 2,17) eindrücklich gelehrt wird. Diese Gläubigen waren durch das persönliche Zeugnis der ersten Christen einer um den andern gewonnen worden. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass das Neue Testament um jene Zeit noch nicht geschrieben war und dass diese Neubekehrten nur die stückweise Erkenntnis Jesu Christi besassen, die sie durch das mündliche Zeugnis der Jünger erhalten konnten, dann verstehen wir, was das dringendste Bedürfnis dieser werdenden Gemeinde war, nämlich: von berufener Seite eine zusammenhängende, systematische und vollständige Belehrung über die evangelischen Wahrheiten zu erhalten.
Die Überlieferung, die Petrus zum Gründer und ersten Bischof der römischen Gemeinde macht, steht im Widerspruch zu den Schriften des Neuen Testamentes. Nach dieser Überlieferung wäre Petrus ums Jahr 40 nach Rom gekommen, hätte dort sein Bischofsamt während 25 Jahren ausgeübt, das heisst bis gegen das Ende der Herrschaft Neros, um dann gleichzeitig mit Paulus den Märtyrertod zu erleiden. Der Tod des Petrus zu Rom scheint zwar historisch begründet zu sein, doch der übrige Teil dieser Überlieferung wird durch Tatsachen widerlegt.
Nach der Heiligen Schrift können wir folgendes feststellen:
Im Jahr 44, als Jakobus den Märtyrertod erleidet, übt Petrus sein Amt in Jerusalem aus (Apg 12,1-3).
Im Jahr 49, zur Zeit des apostolischen Konzils (Apg 15), befindet sich Petrus immer noch am selben Ort, als «Apostel der Beschneidung».
Im Jahr 53—55, während seines Aufenthaltes in Ephesus, fasst Paulus den Entschluss, nach Rom zu fahren, um dort das Evangelium zu verkünden (Apg 19,21), was er prinzipiell nicht getan hätte
(Röm 15,20), wäre Petrus Bischof jener Stadt gewesen.
Im Jahr 56, als Paulus seinen Brief an die Römer schreibt, grösst er alle wichtigsten Glieder der Gemeinde (Röm 16), aber Petrus erwähnt er mit keiner Silbe.
Im Jahr 60 kommt Paulus als Gefangener in Rom an. Der Bericht des Lukas (Apg 28) beweist deutlich, dass Petrus nicht zugegen war. Er befand sich weder »inter den Brüdern, die Paulus entgegenkamen, noch in der Stadt selbst.
Im Jahr 61, etwa zwei Jahre später, schreibt Paulus seinen Brief an die Philippen Indem er den Namen des Timotheus mit dem seinigen verbindet, grösst er diese Gemeinde von allen Brüdern, allen Heiligen, sogar jenen von des Kaisers Hause — aber von Petrus sagt er kein Wort.
Diese biblischen Beweise lassen uns den legendären Charakter der römischkatholischen Überlieferung erkennen, nach welcher Petrus der Gründer und Bischof der Gemeinde in Rom gewesen sein soll.
Über die Gründung der Gemeinde in Rom sind wir nicht genau unterrichtet. Man nimmt aber allgemein an, dass das Evangelium durch Festpilger, «Ausländer von Rom», die vom Besuch Jerusalems wieder heimkehrten (Apg 2,10), oder durch Juden, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren und nach Rom reisten, dorthin getragen wurde. Paulus nennt besonders zwei in den Gemeinden angesehene Männer, die vor ihm Christen gewesen waren (16,7).
Die Gegenwart zahlreicher Freunde des Apostels in Rom deutet auch darauf hin, dass manche Christen geschäftehalber aus Kleinasien in die Weltstadt kamen. Diese Leute zeugten jedenfalls von ihrem Glauben und öffneten ihre Häuser den Anhängern des Christentums; Priscilla und Aquila sind ein Beispiel dafür (Röm 16,3-5).
ABFASSUNG
Über die Zeit der Abfassung gibt uns der Brief selbst Aufschluss. Der Apostel hat Rom noch nicht besucht (Röm 1,10-13); das schliesst jedes Datum nach dem Frühjahr 60 aus, denn damals kam er zum erstenmal nach Rom. Zur Zeit des Schreibens verfügte der Apostel noch frei über seine eigene Person, spricht er doch offen von seinen Reiseplänen (Röm 15,23-25). Er schreibt deshalb noch vor seiner Verhaftung in Jerusalem, die am Pfingstfest des Jahres 57 statt fand.
Der Apostel hat soeben die grosse Sammlung zugunsten der Armen in der Gemeinde zu Jerusalem abgeschlossen (Röm 15,25-33) und beabsichtigt, nach Jerusalem abzureisen (56 n. Chr.). Vergleiche auch Apg 19,21-22.
Als Ort der Abfassung lassen uns zwei Einzelheiten aus unserem Brief Korinth erkennen:
Bevor er seine Grüsse aufgibt, empfiehlt Paulus den Römerchristen eine gläubige Frau, Phöbe, «Diakonisse» der Gemeinde zu Kenchräa, dem Hafen von Korinth (Röm 16,1-2). Phöbe stand also im Begriff, nach Rom abzufahren, und war sehr wahrscheinlich die Überbringerin des Römerbriefes. Paulus grösst die Gemeinde von Gajus, seinem Gastgeber (Röm 16,23). Dieser war wahrscheinlich ein Christ aus Korinth, den Paulus bei seinem ersten Aufenthalt in jener Stadt getauft hatte (1Kor 1,14).
Er grösst sie auch von Erastus, dem Schatzmeister der Stadt Korinth (Röm 16,23). Wahrscheinlich bezieht sich 2Tim 4,20 auf dieselbe Person.
Nach diesen Angaben können wir mit ziemlicher Sicherheit feststellen, dass Paulus diesen Brief in Korinth dem Tertius diktierte (Röm 16,22), und zwar am Ende seiner dritten Missionsreise, im Frühling des Jahres 56 n. Chr.
ECHTHEIT
Die Echtheit des Briefes ist nie ernstlich angegriffen worden, mit Ausnahme der Röm 15 und Röm 16, die — nach Ansicht einiger Kritiker — später hinzugefiigt worden seien. Anlass zu dieser Ansicht gab der Umstand, dass der Römerbrief in Marcions Fassung mit
Röm 14,23 abbrach. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Marcion diese Kapitel sehr wahrscheinlich aus tendenziösen Gründen wegliess. Schon Clemens von Rom führt ums Jahr 95 den Römerbrief an. Ausserdem zitieren ihn Ignatius und Polykarp, später Justin. Der Kanon der syrischen und lateinischen Kirche sowie das Muratorische Fragment weisen ihm unter den authentischen Büchern des Neuen Testamentes seinen Platz an. Irenaus, Tertullian, Clemens von Alexandrien, dann Origenes und Eusebius behandeln den Römerbrief als allgemein anerkanntes apostolisches Schreiben.
Die Echtheit des Römerbriefes ist also von der christlichen Kirche der ersten zwei Jahrhunderte einstimmig anerkannt worden.
ZWECK UND ZIEL
Der sichtbare praktische Zweck unseres Schreibens ist, des Apostels Besuch in Rom anzuzeigen. Die Schriftausleger, die diese Ansicht vertreten, halten dafür, dass Paulus die Gemeinde zu Rom gewinnen wollte, um aus ihr eine «Operationsbasis» für seine weitere Arbeit im Westen zu machen.
Neben diesem ins Auge springenden Zweck lassen sich noch andere Beweggründe erkennen:
Ein Lehrzweck: Die werdende Kirche soll durch eine objektive, planvolle und geistliche Darstellung der christlichen Lehre ein solides dogmatisches Fundament erhalten. Deshalb sind die Grundbegriffe der christlichen Lehre so eingehend erörtert: die Universalität der Sünde, die Rechtfertigung durch den Glauben, die Wiedergeburt durch den Geist, die Heiligung durch den Glauben und der Sieg über das Prinzip der Sünde, usw.
Ein Friedenszweck: Juden- und Heidenchristen sollen im Frieden miteinander leben lernen (Röm 14,15). Diese beiden Parteien bekämpften sich gegenseitig; besser als irgend jemand kann der Apostel Paulus ihnen zeigen, auf welcher gemeinsamen Grundlage sie sich verstehen, sich vertragen und miteinander arbeiten können.
Ein polemischer Zweck: Die judaisierenden Christen, die überall, wo das Evangelium gepredigt wird, sich in die Gemeinden einschleichen, um den alten Glauben wieder aufzurichten, sollen entlarvt und ihres Irrtums überführt werden.
INHALT UND EINTEILUNG
Eingang Röm 1,1-17
Anrede und Grüsse Röm 1,1-7
Danksagung und Reisepläne Röm 1,8-15
Thema der Epistel Röm 1,16-17
1. Die Universalität der Sünde Röm 1,18 - 3,20
Gottes Urteil über die Sünden der Heiden Röm 1,18-32
Gottes Urteil über die Sünden der Juden Röm 2,1-29
Zurückweisung von zwei jüdischen Argumenten Röm 3,1-8
(Beschneidung und Gottes Treue)Schlussurteil: Keiner ist gerecht Röm 3,9-20
2. Die Rechtfertigung durch den Glauben Röm 3,21 - 5,21
Ihre Grundlage: die Erlösung durch das Blut Röm 3,21-31
Ihr Beweis: die Schrift (Abraham) Röm 4,1-12
Ihre Vermittlung: der Glaube Röm 4,13-25
Ihre Auswirkung: Heilsgewissheit Röm 5,1-11
Adam und Christus Röm 5,12-17
Schlussfolgerung: Sünde und Tod oder Röm 5,18-21
Gnade und Leben
Der Sieg der Glaubensgerechtigkeit Röm 6-8
Die Tatsache des Sieges: Röm 6,1-2
«Das sei ferne»
Die Bedingung zum Sieg: Röm 6,3-23
Mitsterben
Der Kampf um das Bleiben im Sieg: Röm 7,1-25
«Ich danke Gott durch Jesum Christum»
Die Frucht des Sieges: Röm 8,1-16
das Leben im Geist
Der Segensstand des Sieges: Röm 8,17-30
die Gotteskindschaft
Die Unerschütterlichkeit des Sieges: Röm 8,31-39
Liebe Gottes
4. Juden und Heiden im Licht der Gerechtigkeit Gottes Röm 9-11
Die Ursache der Traurigkeit des Apostels: Röm 9,1-5
Israels VerwerfungDie Allmacht Gottes schliesst jeden Röm 9,6-29
Widerspruch ausIsraels Empörung rechtfertigt völlig Gottes Röm 9,30 - 10,21
HandlungsweiseGottes Treue waltet über Israels Untreue Röm 11,1-36
5. Die Verwirklichung der Gerechtigkeit Gottes im Leben der
Christen Röm 12,1 - 15,13
Das Prinzip des christlichen Lebens Röm 12,1-2
Die Demut als Norm des Dienstes in der Gemeinde Röm 12,3-8
Bruderliebe und neue Gesinnung Röm 12,9-21
Der Gehorsam gegen die staatliche Ordnung Röm 13,1-7
Die Pflichterfüllung gegen den Nächsten Röm 13,8-10
Die Heiligung im persönlichen Leben Röm 13,11-14
Freiheit und Gemeinschaft Röm 14,1-12
Das Gewissen des andern Röm 14,13 - 15,4
Eintracht in der Gemeinschaft Röm 15,5-13
Schluss: Persönliche Mitteilungen Röm 15,14 - 16,27
Apostelamt unter den Heiden Röm 15,14-21
Reisepläne Röm 15,22-33
Empfehlungen und Grüsse Röm 16,1-16
Letzte Warnung Röm 16,17-20
Mitarbeiter Röm 16,21-23
Segen und Doxologie Röm 16,24-27
(Rühmen der Herrlichkeit Gottes)
Schlüsselwort: Rechtfertigung
Schlüsselvers: «Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist» (Röm 3,23-24).
VERSCHIEDENES
Die Verderbtheit des Menschen
Selbstverschuldete Verblendung Röm 1,20-21
Religiöser Zerfall Röm 1,22-25
Leibliche Entwürdigung Röm 1,26-27
Geistige Erniedrigung Röm 1,28a
Moralischer Zerfall Röm 1,28-31
Verdunkelte Vernunft Röm 1,31
Die Rechtfertigung
Die Rechtfertigung ist Gottes alleinige Tat durch das versöhnende Opfer Jesu Christi, kraft dessen er den glaubenden Sünder gerecht erklärt. Somit ist Christus unsere Gerechtigkeit (1Kor 1,30). Er hat unsere Schuld durch ein gerichtliches Verfahren auf legalem Weg ausgelöscht, indem er unsere Gemeinschaft mit Gott wiederherstellte, die durch den Fall verloren gegangen war.
Ihre Notwendigkeit .... die Sünde Röm 1,18 - 3,20
Ihr Urheber .... Gott, der Vater Röm 3,22.26
Ihre Quelle .... die Gnade Röm 3,24-25
Ihr Mittel .... das Blut Christi Röm 3,25
Ihre Aneignung .... der Glaube Röm 3,24-28
Ihr Beweis .... die Auferstehung Röm 4,23-25
Ihre Segnungen .... die Geistesfrüchte Röm 5,1-5
Ihre Forderung .... die Heiligung Röm 6,1-23
Ihr Kampf .... mit dem Gesetz Röm 7,1-25
Ihr Sieg .... über das Fleisch Röm 8,1-39
Heilswirkungen der Rechtfertigung
Die Erlösung Röm 3,24
Die Vergebung Röm 4,7
Die Versöhnung Röm 5,10
Die Seligkeit (Errettung) Röm 5,10