ALLGEMEINES
Der Name Jeremia kann wörtlich übersetzt werden mit «Der Herr gründet» oder «Derjenige, den der Herr eingesetzt hat».
Jeremia hat unter den letzten sieben Königen Judas gelebt. Seine Kindheit fällt in die Regierungszeit des Manasse und Amon. Er war noch sehr jung, als er im 13. Regierungsjahr des Königs Josia, Sohn des Amon, zum Prophetenamt berufen wurde, das er dann weiterhin unter den Königen Joahas, Jojakim, Jojachin und Zedekia ausübte. Seine Zeitgenossen waren Zephanja und Habakuk, wahrscheinlich auch Nahum und die Prophetin Hulda. Seine Wirksamkeit erstreckt sich auf ungefähr 50 Jahre. Um seinem Gott besser dienen zu können, blieb er ledig (Jer 16,2). Kaum je lag eine schwerere Last auf den Schultern eines Sterblichen. Seine Mission gleicht derjenigen eines Seelsorgers, der einen Verbrecher zur Richtstelle führen soll. Dreimal wurde er ins Gefängnis geworfen; dort befand er sich auch, als Jerusalem eingenommen wurde (Jer 20,2; 32,2; 37,15). Mehrmals wurde er geschlagen und misshandelt; einmal wurde er von fanatischen Patrioten in eine leere Zisterne geworfen (Jer 38,6), wo er tage- und nächtelang blieb. Doch was sind die körperlichen Leiden im Vergleich zu dem seelischen Schmerz, den die Verkennung von seiten seines Volkes ihm verursacht? Weil er Israel und seinen König ermahnt, sich dem göttlichen Gericht zu unterwerfen, wird er als Landesverräter hingestellt! Zweimal verlangen seine Volksgenossen seinen Tod (Jer 26,11; 38,4). Nach der Einnahme Jerusalems liess der König von Babylon Jeremia die Wahl, mit in die Gefangenschaft zu gehen oder im Lande zu bleiben; er wählte das letztere. Sehr wahrscheinlich sind in der darauffolgenden Zeit seine fünf Trauergesänge, die «Klagelieder», entstanden. Zuletzt begleitete Jeremia den Rest seines Volkes nach Ägypten, um der undankbaren Mission, die Gott ihm anvertraut hatte, bis ans Ende treu zu bleiben.
Nach der jüdischen Tradition wäre Jeremia im Jahre 580 im Alter von 70 bis 80 Jahren gesteinigt worden — ein Opfer des Hasses seiner Landsleute.
ZEITABSCHNITT
Die entscheidenden geschichtlichen Ereignisse dieses Zeitabschnittes sind folgende:
Der Fall des assyrischen Reiches
Das assyrische Reich hatte den Höhepunkt seiner Macht unter Asarhaddon und Assurbanipal, den beiden Nachfolgern Sanheribs, erreicht. Ninive war damals die Hauptstadt eines Reiches, das sich von Westen nach Osten, vom Archipel bis zum Persischen Golf ausdehnte und von Süden nach Norden das ganze Gebiet zwischen Ägypten und dem Kaukasus umfasste. Ein gemeinsamer Aufstand der Meder und Chaldäer machte diesem Reich ein Ende, indem die beiden Könige Cyaxares und Nabopolassar Ninive einnahmen und das Land unter sich teilten (626—612).
Die Niederlage Ägyptens
Pharao Necho wollte den Fall Ninives ausnützen, um gegen Nebukadnezar, den Sohn Nabopolassars, zu ziehen. Nebukadnezar kam ihm bis an den Euphrat entgegen; die beiden Mächte stiessen im Jahre 606 in Karkemis aufeinander, und die Ägypter erlitten eine völlige Niederlage. Nebukadnezar jagte der ägyptischen Armee nach und gewann die ganzen ehemaligen Gebiete Assyriens zurück. Von da zog er nach Jerusalem, wo Jojakim, der König Judas, sich ihm unterwarf. Unter den Gefangenen, die Nebukadnezar aus Juda nach Babylon abführte, befand sich auch Daniel mit seinen drei Freunden. (Erste Deportation, im Jahre 605 v. Chr.)
Nach drei Jahren der Unterjochung erhob sich Jojakim, da auch die Nachbarstaaten versucht hatten, das chaldäische Joch abzuschütteln. Im Jahre 598 kam Nebukadnezar selbst nach Jerusalem, ergriff Jojakim und brachte ihn um. Darnach regierte Jojachin, der Sohn Jojakims, drei Monate und zehn Tage. Während dieser Zeit belagerte Nebukadnezar Jerusalem. Jojachin übergab sich samt seiner Familie und wurde mit der Elite seines Volkes, zirka 10000 Personen (darunter Hesekiel), nach Babylon in die Verbannung geführt. (Zweite Deportation, im Jahre 597.)
Zedekia (er hiess ursprünglich Matthanja, aber Nebukadnezar gab ihm einen neuen Namen) folgte seinem Neffen Jojachin auf dem Königsstuhl und regierte elf Jahre zu Jerusalem (597—586;
2Kön 24,18 bis 25 p. 25). Durch die Weissagung falscher Propheten verführt, verbündete er sich mit Ägypten und erhob sich dann gegen Babylon (2Kön 24,20). Damit begann die dunkelste Zeit in der Geschichte Israels: die Belagerung und Einnahme Jerusalems. Nach 18monatiger Belagerung wurde die Stadt eingenommen. Der Tempel, der königliche Palast und ein grosser Teil der Stadt gingen in den Flammen unter. Der Rest der Bevölkerung wurde in die Verbannung weggeführt. (Dritte Deportation, im Jahre 586.)
In diesem Endkampf des Königreiches Juda, wo seine Könige eine Schaukelpolitik trieben, trat nun Jeremia als letzter grosser Wegweiser Gottes auf.
VERFASSER
Die Sammlung der Reden Jeremias stammt von ihm selber. Im vierten Regierungsjahr des Königs Jojakim diktierte er seinem Sekretär Baruch die Reden, die er seit seiner Berufung zum Prophetenamt zu halten gehabt hatte. Baruch las die Schrift dem Volk und dem Königshofe vor, worauf der König sie verbrennen liess (Jer 36,23). Danach liess der Prophet die Weissagungen neuerdings aufzeichnen und fügte noch einige neue Reden bei (Jer 36,32). Diese Sammlung wurde nach dem Fall Jerusalems um die Prophezeiungen vermehrt, die der Prophet bis zur Zerstörung der Stadt gemacht hatte (Jer 1,1-3), und daran schloss sich später als letztes die Aufzeichnung der Ereignisse nach dem Fall Jerusalems.
Die jüdische wie die christliche Überlieferung betrachtet Jeremia als den Verfasser des Prophetenbuches.
BOTSCHAFT
Jeremias Botschaft ist vor allem eine Gericktsbotschaft. In seinen Predigten verurteilt er alle religiösen und sittlichen Verirrungen. Nur aufrichtige Rückkehr zu Gott im politischen, sozialen und privaten Leben kann Volk und Nation noch retten. Als die Verstocktheit des Volkes und seiner Führer immer offensichtlicher wird, muss er ihnen das unvermeidliche Gericht über Jerusalem verkündigen.
Nach dem Fall Jerusalems und der Demütigung des Volkes wird die Gerichtsbotschaft zur Trostbotschaft. Juda wird aus der Gefangenschaft zurückkehren und Jerusalem samt dem Tempel wieder aufbauen. Ein Nachkomme Davids, der Messias, wird ein neues Reich aufrichten und einen neuen Gottesbund schliessen, dessen Grundlage Gnade und Gerechtigkeit sein wird
(Jer 31,31-34; 33,14-16). Die Heidenvölker werden Kinder dieses neuen Bundes und Teilhaber des Heils werden.
EINTEILUNG
Die Einteilung des Buches ist schwierig, da die Kapitel nicht chronologisch geordnet sind. Immerhin ist folgende Einteilung möglich:
1. Reden und Ereignisse vor dem Fall Jerusalems Jer 1-39
Jeremias Berufung Jer 1
Allgemeine Vorwürfe und Drohungen Jer 2-29
Reden über das zukünftige Heil Jer 30-33
Geschichtliche Abrisse der beiden Jer 34-39
Belagerungen Jerusalems
2. Reden und Ereignisse nach dem Fall Jerusalems Jer 40-52
Ereignisse, die auf den Fall Jerusalems folgten Jer 40-45
Weissagungen gegen heidnische Völker Jer 46-51
Anhang: Berichte über die Zerstörung Jerusalems Jer 52
und den Untergang des Reiches Juda
Schlüsselwort: Warnung
SYMBOLIK
Jeremia ist ein Symbol des Glaubens, der sich inmitten von Ruinen behauptet. Er weiss sich in einer hoffnungs- und aussichtslosen Lage und handelt dennoch als einer, der alles hofft und alles glaubt.
Jeremia ist ein Symbol des Schmerzensmannes. Er steht nicht über seiner Zeit wie ein Jesaja, sondern ist ihr eingeordnet und trägt sie als eine ihm zugeteilte Last. Ohne irgendwie Rücksicht auf sich selbst zu nehmen, geht er in striktem Gehorsam seinen Weg. Aus Liebe zu seinem Gott, seiner Aufgabe und seinen undankbaren Volksgenossen nimmt er alles auf sich.
Zeichen und symbolische Handlungen
Der Mandelzweig | Wachsamkeit | Jer 1,11-12 |
Der siedende Topf | Gericht | Jer 1,13-16 |
Der leinene Gürtel | Verwerfung | Jer 13,1-11 |
Das Heiratsverbot | Enthaltsamkeit | Jer 16,1-9 |
Der Töpfer | Allmacht Gottes | Jer 18,1-10 |
Der zerbrochene Krug | Zerbrechung | Jer 19,1-13 |
Die zwei Feigenkörbe | Auslese | Jer 24,1-10 |
Das Joch | Auslieferung | Jer 27,2-11 |
Der Kauf des Ackers | Glaubenstat | Jer 32,6-15 |
Die verscharrten Steine | Unterwerfung | Jer 43,8-13 |
Das versenkte Buch | Unglück | Jer 51,59-64 |
VERSCHIEDENES
Die Sünde Judas
Abfall von Gott | Jer 2,5.13.17.19.29 |
Untreue gegen Gott | Jer 2,19; 3,20 |
Nichthören auf Gottes Stimme | Jer 3,13; 7,13; 9,12 |
Spott und Abneigung gegen Gottes Wort | Jer 6,10.19; 8,7.9; 11,10 |
Erzürnung Gottes, Abtrünnigkeit | Jer 4,17; 5,23; 6,28 |
Götzendienst | Jer 2,11-13.27; 7,18.30-31; 9,13; 11,10.12-13 |
Heuchelei | Jer 3,10; 5,2; 7,9-10 |
Rückfall | Jer 7,24; 15,6 |
Unbussfertigkeit | Jer 2,30-35; 6,15; 7,28 |
Unsittlichkeit | Jer 5,7-8; 7,9; 9,1 |
Soziale Ungerechtigkeiten | Jer 2,33-34; 5,28 |
Geiz und Lüge | Jer 6,13; 8,10; 9,2-8 |
Untreue der geistigen Führer | Jer 2,8; 5,31; 8,8; 10,21; 14,15 |
Die wichtigsten Weissagungen
Erfüllte Weissagungen
Zerstörung Jerusalems | Jer 26,6; 32,3; 34,2; 37,8-10 |
Siebzigjährige Gefangenschaft | Jer 25,11 |
Rückkehr aus der Verbannung | Jer 29,10 |
Wiederaufbau Jerusalems | Jer 30,18 |
Gericht über Babylon | Jer 50-51 |
Der neue Gnadenbund (in Christo) | Jer 31,31-34 |
Vereinigung Judas und Israels | Jer 3,18; 33,7; 50,4-5 |
Noch unerfüllte Weissagungen
Rückkehr der in alle Welt zerstreuten Juden nach Palästina (seit dem 14. Mai 1948 teilweise erfüllt) | Jer 16,14-21; 23,3-4; 30,3; Jer 31,1-25; 32,37-44 |
Aufrichtung des messianischen Friedensreiches |
Jer 30,21; 33,15 |
Bekehrung der Juden | Jer 33,6-8.16 |